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«Was für Streit sorgt, finden wir Karikaturisten oft gar nicht so gut»

2006 kam es zu gewalttätigen Protesten gegen Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung «Jyllands Posten». Foto: Keystone

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Die «New York Times» hat beschlossen, künftig auf Karikaturen zu verzichten. Grund dafür war ein sogenannter Shitstorm, ausgelöst von einer Zeichnung, auf der Donald Trump mit Kippa und der israelische Premier Benjamin Netanyahu als dessen Blindenhund mit Davidstern zu sehen sind. Ich finde die Karikatur vor allem deshalb missglückt, weil die Kippa auf Trumps Kopf sachlich falsch und irreführend ist und weil sie das Ganze in ein antisemitisches Licht rückt. Auch die Darstellung eines Juden als Hund greift ein antisemitisches Klischee auf. Ein Karikaturist zeichnet heute nicht mehr bloss für die lokale Leserschaft einer lokal verankerten Zeitung. Seine Beiträge sind dank Internet und Social Media weltweit sichtbar, was dazu führt, dass sie aufgrund völlig unterschiedlicher Wertesysteme und Empfindlichkeiten beurteilt werden. Bei Tiermetaphern zeigt sich dies besonders deutlich. Jemanden als Hund darzustellen, ist in unserem Kulturkreis nicht beleidigend, in der muslimischen Welt hingegen ist es eine tödliche Schmähung. Dafür ist es bei uns sehr heikel und vielleicht sogar justiziabel, jemanden als Schwein zu zeichnen. Was in einer aufgeklärten Umgebung problemlos durchgeht, kann anderswo als zutiefst kränkend empfunden werden. Die Globalisierung einer Karikatur funktioniert meist nicht.

Die umstrittene Trump-Netanyahu-Karikatur von António Moreira Antunes. Foto: PD

Religion und Religiosität sind bei Karikaturen die Tabuzonen schlechthin. Wenn ich erzürnte Reaktionen auf eine Zeichnung erhalte, ist es fast immer, weil sich jemand in seiner Religiosität beleidigt fühlt. 1919 schrieb Kurt Tucholsky: «Was darf die Satire? Alles.» Er betonte aber auch, dass er immer nur die irdischen Vertreter der Religionen karikiere, niemals religiöse Wertsysteme als solche. Die umstrittenen Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung «Jyllands Posten» oder viele Karikaturen der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» zielen hingegen aufs Ganze. Das ist ein Trend, den ich auch in anderen Ländern bei vielen Medien feststelle. Die Journalisten von «Charlie Hebdo» haben sich mit dem Argument rechtfertigt, sie nähmen ja alle Religionen gleichermassen dran, würden also jeder dieselbe Aufmerksamkeit entgegenbringen.

Die meisten Karikaturen, die für Streit und Furore sorgen, finden wir Karikaturisten gar nicht so lustig. Das sind oft nicht unbedingt hochwertige Zeichnungen, weil sie stark und ausschliesslich mit Klischees arbeiten. Genau deshalb funktionieren sie auch am heftigsten und schnellsten. Eine gute Karikatur wirkt zwar wie ein Boxstoss in den Magen, überraschend, direkt. Ohne dass der Betrachter lange über ihre Aussage nachdenken muss. Gescheit muss sie trotzdem sein, und sie sollte auch eine moralische oder humanistische Botschaft transportieren. Im besten Fall grenzt das Lachen, das sie hervorruft, nicht aus, sondern erzeugt etwas Verbindendes.

Zeichnet man über andere Kulturkreise oder Religionen, ist es fast unvermeidlich, zugunsten von Verständlichkeit und Erkennbarkeit Klischees zu benützen. Das donnert zwar, geht aber selten in die Tiefe. Besonders deutlich merken wir das bei ausländischen Karikaturen über die Schweiz, die fast alle Sujets wie Schokolade, Käse, Uhren, Bauern und Berge aufgreifen. Am anregendsten und intelligentesten sind Karikaturen, die den eigenen Kulturkreis, die eigenen Werte, das eigene politisch-soziale System betreffen. Bei der skandalumwitterten Karikatur über Trump und Netanyahu in der «New York Times» zeichnete ein Portugiese über den Nahen Osten. Statt gleich ganz auf Karikaturen zu verzichten, hätten die Verantwortlichen auch sagen können: In Zukunft zeichnen bei uns nur noch Karikaturisten aus Israel oder aus anderen Ländern der Region über den Nahen Osten. Karikaturen sind ein hochkomplexes Medium, auch wenn das auf vielen Zeitungsredaktionen anders wahrgenommen wird.

«Der häufig verwendete Begriff ‹Stürmer›-Karikatur ist falsch.»

Bei Karikaturen aus dem kulturellen Nahbereich finde ich es reizvoll, mich auf einer Grenze zu bewegen, nämlich zwischen dem, was gerade noch geht, und dem, was nicht mehr geht. Oder genauer: etwas zu zeichnen, das formal noch keinen Tabubruch darstellt, aber im Kopf des Betrachters zu einem Tabubruch wird. Im Nachhinein habe ich öfters das Gefühl, ich sei zu wenig weit gegangen als umgekehrt. Wenn man sich anschaut, was heute auf der Welt abgeht, dann bin ich eigentlich immer noch sehr nett.

Es gibt auch in der Schweiz Leute, die eine Karikatur schlicht nicht lesen können. Aber grundsätzlich akzeptiert das Schweizer Publikum sehr viel. Persönlich kann ich nicht sagen, dass die Empfindlichkeit oder Aggressivität gegenüber meinen Zeichnungen in jüngster Zeit zugenommen hat. Es ist auch nicht so, dass die Rechten empfindlicher wären als die Linken oder umgekehrt. Besonders hart im Nehmen ist jene Partei, von der wir Karikaturisten am meisten zehren, nämlich die SVP. Karikierte Personen haben noch nie direkt auf eine meiner Zeichnungen reagiert.

«Ihr einziger Zweck war die Beleidigung von Juden.»

Der häufig verwendete Begriff «Stürmer»-Karikatur ist falsch. Denn das Naziblatt hat keine Karikaturen publiziert im Sinn, wie wir das verstehen, sondern reine Schmäh- und Hetzzeichnungen. Ihr einziger Zweck war die Beleidigung von Juden.

Ich fertige von einer Karikatur für die Seite eins des «Tages-Anzeigers» meist verschiedene Vorschläge an, die sich der jeweilige Tagesleiter dann anschaut. Das gibt mir einen ersten Hinweis, wie die Zeichnung ankommt und ob man sie überhaupt versteht. Wenn es auszuwählen gilt zwischen einem Vorschlag, der moralisch, integer und korrekt ist, und einem, der einfach nur lustig ist – dann wird immer der Lustige gewählt.