Die Staatskassen leer, das Land hochverschuldet, bei den privaten Haushalten sieht es beinah noch schlimmer aus. Die Rede ist nicht von Griechenland, sondern von Großbritannien. Seit Monaten schon geht in der City von London und in Westminster die Furcht um, Großbritannien könnte tatsächlich zum "Island an der Themse" zum finanziellen Pflegefall werden. Heute wird die britische Situation eher mit dem besorgniserregenden Zustand Griechenlands verglichen.

Düsteres Omen: Die Rating Agenturen lassen durchblicken, sie müssten die Kreditwürdigkeit Großbritanniens herabstufen, sollte die nächste Regierung in London nicht sofort drastische Einschnitte durchsetzen. Klar ist eines: Das Haushaltsdefizit von 178 Milliarden Pfund wird über Jahre hinweg schmerzliche Kürzungen bei den Staatsausgaben erzwingen, die unweigerlich zu sozialen und politischen Spannungen führen werden.

Vor allem aber wird die weltpolitische Rolle des Vereinigten Königreiches von den finanziellen und ökonomischen Verwerfungen betroffen sein. Nach 30 Jahren stehen die Zeichen wieder auf decline, drehen sich die Debatten in Denkfabriken, akademischen Kreisen und Presse um den Abstieg ihres Landes. Der bittere Streit um die Prioritäten für die bewaffneten Streitkräfte, ob neue Flugzeugträger oder besser ausgestattete Infanterie, ist ein untrügliches Indiz dafür, dass magere Zeiten anbrechen.

Die Bevölkerung spürt, dass sich etwas verändert hat: Umfragen künden von tiefem Pessimismus über broken Britain; zwei Drittel der Bevölkerung finden, das Land sei "zerbrochen" und habe die "falsche Richtung" eingeschlagen. Hier äußert sich tiefes Unbehagen über die dunklen Seiten des wachsenden Wohlstands der letzten Dekaden, über Hedonismus, maßlosen Konsum, Kreditkartenpump und exzessiven Alkohol- und Drogengenuss einer unterhaltungsgetränkten Gesellschaft, in der sich soziale Fehlentwicklungen häufen.

Ende der siebziger Jahre befand sich Großbritannien schon einmal in einer Spirale des Niedergangs und musste vom Internationalen Währungsfond gerettet werden. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die politische Klasse resignierend mit dem unaufhaltsam scheinenden Abstieg ihres Landes abgefunden, das wenige Jahrzehnte zuvor noch ein weltumspannendes Empire sein eigen nannte. Bis Margaret Thatcher kam, mit harter Hand die destruktive Macht der Gewerkschaften brach, ökonomische Reformen durchpaukte und mit dem erfolgreichen Krieg um die Falklandinseln das nationale Selbstbewusstsein stärkte, selbst wenn der Sieg über die argentinische Militärdiktatur ohne amerikanische Hilfe nicht möglich gewesen wäre.

Es folgten drei Jahrzehnte, die in der Rückschau als, wenn auch flüchtiges, Goldenes Zeitalter erscheinen. Alles passte zusammen: Ein selbstbewusstes, wohlhabendes Großbritannien, im engen Schulterschluss mit der amerikanischen Hegemonialmacht, "boxte in einer höheren Gewichtsklasse", wie Lord Hurd, der frühere konservative Außenminister, es anschaulich formulierte. London war ein global player mit erheblichem Einfluss, untermauert durch die Insignien internationaler Sonderstellung: Ein permanenter Sitz im Weltsicherheitsrat, eine eigene atomare Abschreckungsmacht und das zusätzliche Plus besonders guter, kampferprobter Truppen. Nordseeöl und die global operierende Finanzindustrie halfen, den politischen Status des Landes zu untermauern, sorgten für steigende Staatseinnahmen, die Labour vor allem in Erziehung und Gesundheit steckte. Hinzu kam die ungewöhnliche Machtstellung des Premiers, der theoretisch allein über Krieg und Frieden entscheiden konnte.

All diese Faktoren verhalfen Großbritannien zu einer Sonderstellung unter Staaten vergleichbarer Größenordnung. Blair nutzte sie, um auf einen ethisch unterfütterten liberalen Interventionismus zu drängen, in Bosnien, im Kosovo und in Sierra Leone, bevor es zu den Kriegen im Irak und Afghanistan kam. Doch während des Irakkriegs deutete sich an, was nun offenkundig geworden ist. Großbritannien hatte sich bereits übernommen, bevor die Finanzkrise zuschlug; es führte Krieg mit einem Verteidigungsetat, den Gordon Brown schon in den guten Jahren eingedampft hatte. Nun aber wird es beim Militär ans Eingemachte gehen.