Im Weltbild des chinesischen Staats- und Parteichefs ist das Ende des Kapitalismus vorgezeichnet. Mit dieser Botschaft schwor Xi Jinping die Kader der Kommunistischen Partei vor mehr als sechs Jahren auf einen langen Kampf ein. Dass seine Rede erst diese Woche veröffentlicht wurde, wirft Fragen auf.
Mehr als sechs Jahre hat es gedauert, bis eine im Januar 2013 gehaltene Rede des chinesischen Partei- und Staatschefs Xi Jinping veröffentlicht worden ist. Geschehen ist dies nun im Partei-Magazin «Qiushi», was «Suche nach Wahrheit» bedeutet. Warum die Publikation erst Jahre später und gerade zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt, wurde nicht mitgeteilt. Bei der Rede war Xi seit wenigen Wochen Parteichef, und Chinas Kommunisten befanden sich nach dem verlorenen Jahrzehnt unter Xis Vorgänger auf Sinnsuche. Xi lehrte die Kader, wie wichtig die Treue zu Marxismus, Sozialismus und Kommunismus sei. Die Parteimitglieder sollten an den Kommunismus und Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften von ganzem Herzen glauben und ihn praktizieren.
Xi schöpfte bei der Rede aus dem Vollen. Zwischen 1998 und 2002 hatte er sich an der Tsinghua-Universität in Peking im Zuge eines berufsbegleitenden Studiums mit marxistischer Theorie befasst. So sagte er im Januar 2013, dass die Kritik von Karl Marx und Friedrich Engels am Kapitalismus noch immer Gültigkeit habe. Dieser gehe unter, und der Sozialismus werde obsiegen. Chinas starker Mann schwor die Kader auf einen langen Kampf zwischen dem chinesischen und dem westlichen Gesellschaftssystem ein. Die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten und das Ergebnis des Brexit-Referendums werden Xi später in seinem deterministischen Weltbild bestärkt haben. Das pluralistische westliche System ist in dieser Perspektive zum Scheitern verurteilt.
Für viele Chinesen handelt es sich bei Xis Rede über Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften um theoretische Ergüsse, die kaum jemand versteht und noch weniger interessieren. Die schlichte Botschaft und der Grund für die jetzige Publikation lauten: Die Chinesen sollen sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten um die Partei und ihren Führer scharen, denn nur diese seien in der Lage, den Wohlstand zu mehren. Xis Hoffnung – damals wie heute – lautet: Prosperiert China weiter, werden seine Landsleute den Alleinvertretungsanspruch der KP auch künftig nicht infrage stellen.
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