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Comic-Biografien Das Risiko der Nummer sicher

Star-Biografien sind auch in Corona-Zeiten zukunftssicher: Zu Beethoven, Rembrandt und David Bowie sind gerade drei erschienen – aber nur zwei haben auch was zu sagen.
Wiedererkennbar: David Bowie von Michael Allred

Wiedererkennbar: David Bowie von Michael Allred

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Michael Allred/ Carlsen Verlag GmbH

Zum Autor

Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren. Er studierte Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. 2012 veröffentlichte er den satirischen Roman "Er ist wieder da", von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Auch sein zweiter Roman "Die Hungrigen und die Satten" schaffte es auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Für den SPIEGEL schreibt er über Comics und Graphic Novels.

Biografien in Comic-Form erscheinen gerade geballt. Zufall? Oder wird das in Zukunft so bleiben? Klar, die Comic-Biografien, die gerade veröffentlicht werden, wurden alle schon vor Corona begonnen. Trotzdem dürften historische Themen in Zukunft stärker als bisher den Markt bestimmen: Weil keiner so recht weiß, was nach Corona noch wichtig sein wird. Und weil daher nur Bereiche zukunftssicher sind, in denen sich wenig ändert, etwa Geschichte. Die ist praktischerweise schon vorbei, ihre großen Namen waren Stars, sind es und werden es bleiben. Leute wie David Bowie, Rembrandt oder Beethoven. Zeitloses Krisenmaterial also - das deswegen aber nicht schlecht sein muss.

Das dickste Schiff hierbei ist fraglos "Rembrandt" von Typex, einem niederländischen Illustrator, der im Auftrag des Amsterdamer Rijksmuseums drei Jahre lang an der Comic-Biografie arbeitete. Herausgekommen ist ein erfreulicher Band, bei dem weder Gewicht, Preis noch der scheußlich-schöne Goldschnitt vom Lesen abhalten sollten. Ich wusste übrigens über Rembrandt vorher auch nicht viel. Typex versucht klugerweise gar nicht, meine Lücken zu stopfen, er macht stattdessen neugierig.

Macht Lust zum Weiterstöbern

Er erzählt von einem erfolgreichen Maler, der ständig pleite ist, der extra an den Hafen fährt, weil dort ein Elefant angeliefert wird, um ihn aus erster Hand zu zeichnen. Typex zeigt zerknautschte Gesichter in wundervoller Vielfalt, lebenspralle Wirtshausszenen und immer wieder Dialoge, Landschaften, Ansichten in einem nüchternen, modern-filigranen Stil, sodass nach wenigen Seiten klar ist, dass er Rembrandts Portfolio an Techniken nutzt und den Stil imitiert.

Die Frage "Was ist Rembrandt, was ist Typex" lockt geschickt ins Internet, wo wenige Klicks genügen, um diese Stile wiederzufinden, etwa auf dem (mir vorher unbekannten) Hundertguldenblatt. Ein Band, der unterhält und Lust macht zum Weiterstöbern – schon mal kein schlechter Anfang. Es kommt aber noch besser.

Obwohl Peer Meter mit "Beethoven" keine richtige Biografie geschrieben hat. Meter, der schon prima Szenarien für "Haarmann" und vor allem "Gift" lieferte, macht aus Beethovens Tod und seiner Beisetzung in Wien eine wunderbar-widerliche Abrechnung mit den Leuten an sich und dem Promikult samt Wien im Besonderen.

Schön fies aus Echtem und Erfundenem zurechtkomponiert

Die Story entstand, als Meter erfuhr, dass dem toten Beethoven der Schädel fehlt, und nicht nur der. Meter bastelt nun die Geschichte dazu: Wie noch auf dem Sterbebett jeder ein Autogramm will (dauert doch nicht lang, unterschreiben wird er dieses Notenblatt wohl noch können). Wie jeder eine Locke erbettelt, in die Wohnung reinschauen möchte, obwohl zugleich auch jeder denkt, der Meister sei längst nicht mehr so gut wie früher, aber, na ja, berühmt sei er halt schon noch. Wie ihn jeder am besten gekannt hat, jeder eine wirklich, wirklich wahre Geschichte erzählen konnte, das ist schon sehr schön fies aus Echtem und Erfundenem zurechtkomponiert.

Was der Geschichte dabei guttut, ist die Abwesenheit von jeglichem Fanatismus. Es ist unmöglich zu sagen, ob Meter Beethoven mag, deswegen kann er die Elemente umso rücksichtsloser zum Nutzen der Story einsetzen.

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Seiten aus den besprochenen Bänden

Foto: Carlsen Verlag GmbH

Die Zeichnungen von Rem Broo sind nicht so meins, was die Figuren angeht, ist aber Geschmackssache – die Einblicke in den Schmutz und die Unerfreulichkeit von Beethovens Ableben sind in jedem Fall schön abstoßend. Wer schimpfen will: Meter kann nicht gut Dialekt, mag's aber auch nicht völlig lassen, sein Kompromiss stört manchmal, aber vielleicht nur mich. Richtig gut gefallen hat mir "Beethoven" trotzdem. Jedenfalls mit Abstand mehr als "Bowie" von Michael Allred.

Über Reinhard Kleists "Nick Cave" habe ich noch gequengelt, weil man da zu viel selbst Fan sein müsste. Aber Kleist wagte eine Interpretation und bot damit Fans in seinem typischen Stil etwas Neues, Eigenwilliges an. Was Michael Allred zusammenschustert, ist nicht mehr als eine 200 Seiten lange Zeitleiste, geradezu hanebüchen brav illustriert.

Wenn Bowie mal wen wo getroffen hat, dann sieht man exakt das: Bowie auf einem Bild mit wem anders. Bowie trifft Marc Bolan und sagt, na was wohl? Genau: "Ah, hey, Marc." Und so quält sich das dahin, jedes Plattencover und jedes bekanntere Foto, jeder TV-Auftritt wird so dröge abgezeichnet, das man aus dem Gähnen nicht mehr rauskommt. Das Ziel ist das simple Wiedererkennen der Bilder, die man eh im Kopf hat – und wer sie nicht im Kopf hat, will die Originale meist nicht sehen, so hölzern wird da herumgestolpert.

Aber okay: "Two out of three ain't bad", wie mal einer gesungen hat, der auch biografietauglich wäre. Im Dezember war er schon mal bei der German Comic Con .