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Firmenchef gegen Verschwörungstheoretiker »Wir geben den Begriff ›Querdenker‹ nicht so einfach auf«

Ansgar Oschwald hat sich immer gern als Querdenker bezeichnet und vor Jahren auch seine Firma so getauft. Seit Corona-Leugner den Begriff gekapert haben, geht er rechtlich dagegen vor.
Ein Interview von Verena Töpper
Ansgar Oschwald ist Chef der Innovations-Plattform Querdenker United

Ansgar Oschwald ist Chef der Innovations-Plattform Querdenker United

Foto: Thorsten Jochim

SPIEGEL: Herr Oschwald, Sie haben einen offenen Brief geschrieben , in dem Sie sich für den Namen Ihrer Firma rechtfertigen. Was ist da los?

Ansgar Oschwald: Unsere Gemeinschaft, die Querdenker United, gibt es seit mehr als 20 Jahren. Als im März Gegner der Coronapolitik die ersten Demos unter dem Motto »Querdenken« anmeldeten, habe ich mir noch nicht viel dabei gedacht. Doch dann stellte sich ziemlich schnell heraus, dass die Corona-Querdenker Verschwörungstheoretiker sind. Mit unserer Definition von Querdenken hat das nichts zu tun. Mit dem offenen Brief will ich das noch mal klarstellen.

SPIEGEL: Wie ist denn Ihre Definition eines Querdenkers?

Oschwald: Menschen wie Kant und Hegel, aber auch Günther Jauch oder Bully Herbig sind für mich Querdenker. Menschen, die kreativ sind und Innovationen anstoßen. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Kreativitätstechnik. Der Kognitionswissenschaftler Edward de Bono hat in den Sechzigerjahren zum ersten Mal vom lateralen Denken gesprochen: Dabei versucht man, eine Frage interdisziplinär von verschiedenen Seiten zu beleuchten und sich so der bestmöglichen Lösung anzupassen. Genau darum geht es uns Querdenkern.

SPIEGEL: Wie viele echte Querdenker gibt es denn?

Oschwald: Wir haben 500.000 Mitglieder in mehr als 200 Gruppen. Unsere größte Gruppe ist die auf Xing; dort haben wir mehr als 100.000 Mitglieder, die regelmäßig über alles Mögliche diskutieren – von philosophischen Fragestellungen bis zu konkreten Unternehmensideen. Der Kern unserer Community ist aber unsere eigene Plattform, auf der wir die nötigen Tools für kooperatives Arbeiten bereitstellen, zum Beispiel ein riesiges Whiteboard, auf dem bis zu 4000 Menschen gleichzeitig schreiben können.

SPIEGEL: Wann und wie wird das denn genutzt?

Oschwald: Sobald eine Gruppe den Wunsch dazu hat. Wir organisieren unsere Projekte nach Themen. In der einen Gruppe wird dann zum Beispiel überlegt, wie wir künftig CO₂ speichern können. Andere beschäftigen sich vielleicht damit, was wir tun können, um mehr Suizide zu verhindern. Wir verstehen uns als Thinktank mit starkem Fokus auf die Umsetzung. Wenn beispielsweise eine Gruppe in Paderborn einen Workshop organisieren will, schicken wir da auch einen Projektmanager hin. Eine schöne Idee zu haben, ist wundervoll, hilft aber niemandem weiter, wenn daraus nichts entsteht.

SPIEGEL: Und was ist aus Ihren Ideen schon entstanden?

Oschwald: Unternehmen, Vereine, neue Produkte, die Liste ist lang. Da wir oft im Auftrag von Firmen arbeiten, darf ich über die meisten Projekte leider nicht sprechen, aber es sind wirklich viele neue Dinge entstanden, von neuen Formeln für Duschgels bis zu Vortragsreihen.

SPIEGEL: Bekommen Ihre Mitglieder dafür Geld?

Oschwald: Wer an Projekten mitarbeitet, die von Unternehmen angestoßen wurden, wird dafür bezahlt. Geld zu verdienen ist aber nicht die Hauptmotivation unserer Mitglieder. Ihnen geht es darum, interdisziplinär zu arbeiten und Innovationen zu erfinden.

SPIEGEL: Zusätzlich zu einer 40-Stunden-Arbeitswoche?

Oschwald: Sehr viele Menschen sind bereit, Zeit in eine gute Sache zu investieren. Das ganze Vereinsleben basiert ja auf ehrenamtlicher Arbeit. Und Deutschland hat eine lange Tradition des Querdenkens. Das Schöne ist ja, dass ein Querdenker alles sein kann: männlich, weiblich, alt, jung. Der Begriff ist wundervoll. Deshalb wollen wir ihn auch nicht so einfach aufgeben.

SPIEGEL: Haben Sie überlegt, sich umzubenennen?

Oschwald: Ja, darüber haben wir lange diskutiert. Wir werden jetzt ständig verwechselt, und das führt dazu, dass wir mit Nachrichten geflutet werden – von Verschwörungstheoretikern und von deren Gegnern. Wir haben auch schon Mitglieder verloren, weil sie keine Kraft mehr haben, sich ständig für ihr Engagement bei uns zu rechtfertigen. Und klar: Wenn ich jetzt einen Querdenker-Vortrag in einem Münchner Restaurant planen würde, hätte der Wirt sicher einige Fragen. Aber die können wir alle beantworten. Querdenken-Demonstranten sind für mich keine Querdenker, sondern Querulanten.

SPIEGEL: Und wie verhindern Sie, dass die Querulanten-Querdenker Ihre Gruppen kapern?

Oschwald: Auf Seiten wie Facebook ist das leider schwierig, da haben wir deshalb einige Gruppen schon geschlossen. Wir versuchen jetzt, den Diskurs auf unsere eigene Seite zu verlagern. Wer dort Zugang bekommen will, muss bei der Anmeldung einige Fragen beantworten. Wir haben eine Charta, die ganz klar vorgibt, wie wir miteinander diskutieren wollen, und wer gegen die Regeln verstößt, wird ausgeschlossen.

SPIEGEL: Wie viele Leute haben sich da denn schon angemeldet?

Oschwald: Aktuell sind es über 820, was ich als großen Erfolg empfinde, denn wir sind mit der Seite erst im September gestartet. Aber der Streit um den Namen ist für uns schon existenzbedrohend, das ist ganz klar.

SPIEGEL: Michael Ballweg, der Initiator der Proteste, hat beim Deutschen Patent- und Markenamt »Querdenken 711« als Marke angemeldet. Gehen Sie dagegen vor?

Oschwald: Ja, und zwar gegen jede einzelne der mehr als zwei Dutzend Markenanmeldungen. Wir haben einen Anwalt eingeschaltet, und ich gehe davon aus, dass wir mit unserem Einspruch Erfolg haben werden. Teilweise werden auch Videos und Formulierungen von uns ohne unser Einverständnis genutzt. Auch dagegen gehen wir vor.

SPIEGEL: Wie lange halten Sie das durch?

Oschwald: Lange genug, hoffe ich! So traurig es ist: Je voller die Notaufnahmen werden, desto mehr Corona-Leugner wachen auf. Und wenn nun die Impfungen starten, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Querdenken-Bewegung von Herrn Ballweg zerfällt. Denn dahinter steht kein tragfähiges Konzept. Es gibt außer dem Protest gegen die Corona-Regeln nichts, was diese Menschen eint.

SPIEGEL: Der Begriff Querdenker wird jetzt trotzdem immer mit Anti-Corona-Protesten verbunden sein.

Oschwald: Ich habe selbst schon an der Uni zu Verschwörungstheoretikern geforscht, ich weiß, wie gefährlich solche Leute sind, wie sie die Angst anderer zu monetarisieren versuchen. Aber ich bin auch ein unverbesserlicher Idealist. Der Mensch ist von Natur aus gut, davon bin ich überzeugt. Und gerade jetzt werden doch echte Querdenker gebraucht: Wie wollen wir miteinander umgehen? Wie reagieren wir auf den Klimawandel? Es gibt so viele offene Fragen, die wir nur gemeinsam beantworten können. Deshalb sehe ich diese Krise sogar als Chance für uns.