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Freund oder Feind: Wer arbeitet für den KGB?

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Imaginärer CIA-Maulwurf Hetzjagd auf ein Hirngespinst

Seine Paranoia kannte keine Grenzen: 1961 erhielt der Chef der CIA-Gegenspionage den zweifelhaften Hinweis auf einen Sowjet-Maulwurf. 13 Jahre lang durchkämmte er den Geheimdienst, feuerte Agenten und zerstörte Leben. Am Ende verdächtigte er selbst Willy Brandt, für den KGB zu arbeiten.

Nachmittag für Nachmittag verschanzte sich James Jesus Angleton in seinem Büro. Sorgfältig schloss er die Tür ab und zog die Jalousien herunter. Der erste Griff galt dann einer Zigarette, der zweite einer der vielen Personalakten von CIA-Mitarbeitern, die sich in seinem Zimmer stapelten. Akribisch blätterte er Seite für Seite um, zog hektisch am Glimmstängel und lies seine Augen rastlos über das Papier gleiten. Mehr als ein Jahrzehnt lang wühlte sich der Chef der CIA-Spionageabwehr so verbissen durch die Papierberge, sortierte Akten aus und lagerte das seiner Einschätzung nach hochbrisante Material in geheimen Safes hinter seinem Büro.

Angefangen hatte Angletons fanatische Suche im Winter 1961. Wenige Tage vor Heiligabend war in Helsinki der KGB-Agent Anatoli Golizyn übergelaufen - und brachte aus CIA-Sicht überaus heikle Informationen mit: Der KGB, so Golizyn, habe in den westlichen Geheimdiensten etliche Maulwürfe installiert. Auch die CIA sei unterwandert, und zwar auf höchster Ebene. Golizyn zufolge lautete der Deckname des CIA-Maulwurfs "Sascha", sein Klarname beginne mit K und er sei einige Jahre in Westdeutschland gewesen. Er sei Teil eines sowjetischen Masterplans zur Desinformation und gesellschaftlichen Unterwanderung des Westens.

Seitdem suchte Angleton panisch nach entsprechenden Hinweisen in den CIA-Personalakten. Über 50 Sowjetspezialisten der CIA gerieten ins Fadenkreuz seiner Ermittlungen. Obwohl sich in keinem Fall der Verdacht bestätigte, stellte er sie alle kalt - zum Teil mit perfiden Methoden. Seine Hetzjagd nahm immer fanatischere Züge an. Am Ende sollte Angletons fanatischer Kreuzzug der CIA mehr Schaden zufügen als jeder Maulwurf es gekonnt hätte.

Der meisterhafte Agentenjäger

1954 hatte Angleton die Leitung der Spionageabwehr der CIA übernommen und genoss das ungebrochene Vertrauen von Allen Dulles, der bis 1961 die CIA leitete, und dessen Nachfolgern John McCone und Richard Helms, der bis 1973 im Amt war. Angleton galt als akkurater und brillanter Mitarbeiter, als meisterhafter Agentenjäger. Er war die "objektivste Autorität in der Spionageabwehr", wie es die Londoner "Times" beschrieb. Alle drei CIA-Direktoren ließen ihm daher vollkommen freie Hand und nickten damit auch seine Hetzjagd auf den vermeintlichen Sowjet-Maulwurf ab. Sie bemerkten nicht, wie seine vielgelobte Objektivität schleichend einer ausgeprägten Paranoia wich.

Angletons Angst vor Verrätern in den eigenen Reihen kam nicht von ungefähr: Anfang der fünfziger Jahre waren fünf hochrangige Agenten des britischen Geheimdienstes MI 5 aufgeflogen, die über Jahre den KGB mit hochbrisanten Informationen gefüttert hatten. Weil sie alle in Cambridge studiert hatten, wurden sie die "Cambridge Five" genannt. Einer davon war Angletons Freund Kim Philby gewesen, der zwar erst 1963 endgültig enttarnt wurde, aber schon damals über die Affäre stolperte und in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Regelmäßig hatten die beiden Freunde in Washington gemeinsam zu Mittag gegessen und womöglich das eine oder andere Geheimnis ausgetauscht, ohne dass Angleton etwas gemerkt hatte.

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Seit Philby traute Angleton niemandem mehr. Überall witterte er Lug und Trug. Golizin hatte bei ihm darum einen empfindlichen Nerv getroffen. Nie wieder durfte ein Verrat wie der der "Cambridge Five" vorkommen. Also brachte Angleton sich in Stellung: Operation "Honetol" nannte er seine Maulwurfjagd - eine Kombination aus dem Nachnamen des FBI-Gründers Edgar Hoover und dem Vornamen des KGB-Überläufers Anatoli Golizyn. Alle Personalakten, die das Misstrauen von Angleton weckten, bekamen auf den Deckel ein großes "H" gestempelt. Es war gleichbedeutend mit dem Karriereende des abgestempelten Mitarbeiters bei der CIA.

Operation "Honetol"

Eines der ersten Opfer von Operation "Honetol" wurde Peter Karlow, der so etwas wie das CIA-Pendant von James Bonds "Q" war und sich technische Hilfsmittel für die Agenten ausdachte. Weil sein Name mit K anfing, hatte Angleton ihn als einen der Hauptverdächtigen ausgemacht. 1962 zwang der Chef der Spionageabwehr Karlow zu kündigen, obwohl nichts gegen ihn vorlag. Trotz der mehr als dürftigen Beweislage hielt niemand Angleton auf. Ähnlich erging es Richard Korvich, der jahrelang in Europa unterwegs gewesen war und russische Agenten für den Dienst im CIA gewann. Auch er geriet allein wegen des K in seinem Nachnamen unter Verdacht, der sich aber nie erhärtete. Dennoch verbaute ihm Angleton sämtliche Karrierechancen innerhalb der CIA und schob ihn als Lehrer in die CIA-Kaderschmiede in Camp Peary ab.

Am härtesten von allen traf es Juri Loginow. Er war ein KGB-Spion, der regelmäßig im Westen im Einsatz war und bei einer dieser Gelegenheiten der CIA seine Dienste angeboten hatte. Jahrelang hatte er sich als zuverlässige Quelle erwiesen. Als aber 1964 der Sowjet-Agent Juri Nosenko in die USA überlief, wendete sich das Blatt: Angleton hielt Nosenko - so wie es Golizyn angekündigt hatte - für einen weiteren von Moskau übersandten Maulwurf, der sich lediglich als Überläufer tarnte, und war von dieser fixen Idee nicht abzubringen. Loginow beging daraufhin den Fehler seines Lebens: Er bestätigte, dass Nosenko ein echter Überläufer war, und geriet daraufhin selbst unter Maulwurf-Verdacht.

Auf perfideste Art räumte Angleton den unbequem gewordenen Agenten aus dem Weg: 1966 schickte der KGB Loginow nach Südafrika. Angleton ließ beim dortigen Geheimdienst durchsickern, dass Loginow vom KGB war. Er wurde sofort verhaftet, zwei Jahre in Isolationshaft gehalten und verhört. Ohne Ergebnis. Angleton befürchtete, dass die Südafrikaner ihn gehen lassen würden, und fädelte einen Agententausch auf der Glienicker Brücke am Rande Berlins ein: Loginow gegen ein paar westdeutsche Agenten. Loginow tat alles, um den Austausch zu verhindern. Er wusste, dass Moskau seine Doppelagenten-Tätigkeit im Nu herausfinden würde. Mit verschlüsselten Botschaften versuchte er den Agenten, die ihn überführten, klar zu machen, dass er auch für die CIA arbeite. Doch niemand verstand ihn, und so landete er wieder in Moskau, wo er kurz darauf hingerichtet wurde.

Die Wahrheit kam erst ans Tageslicht, als es für Loginow längst zu spät war: Nach drei Jahren Isolationshaft und unzähligen Verhören und Lügendetektortests wurde Nosenko freigelassen und doch noch als "echter Überläufer" eingestuft.

"Ohne Zweifel paranoid"

Als William Colby 1973 Chef der CIA wurde, beobachtete er mit Sorge die Machenschaften Angletons, die immer paranoidere Züge annahmen. Der Chef der Spionageabwehr verdächtigte schließlich sogar den damaligen Berliner Bürgermeister Willy Brandt, den schwedischen Premierminister Olof Palme und den britischen Premierminister Harold Wilson, im Dienste des KGB zu stehen. 22 KGB-Überläufer lehnte Angleton ab, weil er sie für getarnte Maulwürfe hielt. Er begründete die Entscheidungen meist mit der Lebensweisheit: "Je solider die Information eines Überläufers, je weniger darf man ihm trauen."

An Golizyn hingegen, der ihn auf seine Idee erst gebracht hatte, hielt er fest, obwohl der Chef-Psychologe der CIA längst festgestellt hatte, dass der Russe "ohne Zweifel paranoid" sei. Colby wurde Angletons Tun immer unheimlicher, bis er schließlich 1974 beschloss, ihn zu entlassen. Die offizielle Sprachregelung lautete, dass Angleton in den vorzeitigen Ruhestand gehe. "Angletons forcierter Rücktritt wurde von vielen seiner Kollegen begrüßt, weil die CIA damit ein hochrangiges Element an Irrationalität loswurde", schrieb die "New York Times" 1978 und fasste damit die Stimmung innerhalb des US-Nachrichtendienstes treffend zusammen.

Colby begründete Angletons Rauswurf wenig später in seinem Buch "Honorable Men": "Ich habe lange nach greifbaren Ergebnissen der Arbeit der Spionageabwehr gesucht. Ich konnte nur nicht herausfinden, was sie überhaupt tat." Nun, da er seines Amtes enthoben war, wurde die Kritik an Angleton immer lauter. Er habe sich immer hinter seinen Akten verschanzt und den imaginären Maulwurf gejagt, klagten Kollegen. Die Spionageabwehr sei dadurch in seiner Zeit wie gelähmt gewesen und hätte ihre wesentlichen Aufgaben vernachlässigt. Eine Sichtweise, der sich auch Colby anschloss: "Ich sehe leider nicht, dass wir unter Jim auch nur einen Spion gefangen haben."

Kurz nachdem Angleton sein Büro geräumt hatte, durchstöberte ein von Colby beauftragter Recherchetrupp die Räume. Sie fanden nicht weniger als 40 gewissenhaft verriegelte Safes, in denen er das vermeintlich hochbrisante Maulwurfs-Beweismaterial abgelegt hatte. In manchen der Panzerschränke entdeckten sie "bizarre Dinge, über die ich nie sprechen werde", wie es Angletons Nachfolger George Kalaris formulierte.

Auch wenn die Suche des CIA-Mannes ein verheerender Misserfolg gewesen war - ein Vermächtnis Angletons überdauerte: Bis heute verwenden Amerikaner den Begriff "Angletonian", um paranoides, hysterisches oder überzogenes Verhalten zu beschreiben.