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Neue Gereiztheit: Eine Szene aus „Vervirte Zeiten“.

© Illustration: Ralf König / Rowohlt

Ralf Königs Krisen-Comic „Vervirte Zeiten“: Mit Humor gegen den Corona-Blues

Ernste Lage, unterhaltsam kommentiert: Comiczeichner Ralf König legt mit dem Covid-19-Tagebuch „Vervirte Zeiten“ eine Chronik der Pandemie vor.

Er hat den schönsten Bauchnabel der Welt, einen wohlgeformten Hintern, und auch sonst ist der bärtige Rewe-Filialleiter ziemlich unwiderstehlich. Und so lässt sich der testosterongetriebene Paul, eine der langjährigen Hauptfiguren des Comiczeichners Ralf König, in dessen jüngstem Buch „Vervirte Zeiten“ (Rowohlt, 192 S., 24 €, E-Book 19,99 €) auf eine Affäre ein, die in jener Form stattfindet wie im vergangenen Jahr ein Großteil der menschlichen Kommunikation: Als Videochat.

Das geht allerdings nicht lange gut. Dank Pauls unkontrollierbarer Libido, des speziellen Charakters seines Flirtpartners und der Besonderheiten digitaler Kontaktpflege geraten die Skype-Dates schon bald außer Kontrolle.

Die Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie und die Herausforderungen des Lockdowns für den Menschen als soziales Wesen – das sind die großen Themen, die sich als roter Faden durch „Vervirte Zeiten“ ziehen wie die Corona-Inzidenzzahlen durch das vergangene Jahr.

Eigentlich hatte Ralf König, der seit seinem Durchbruch 1987 mit „Der bewegte Mann“ weit über die Comicszene hinaus bekannt ist, etwas ganz anderes vor, als er sich vor einem Jahr in seinem Kölner Atelier an ein neues Projekt setzte. Doch dann kam das Virus und der Zeichner verarbeitete die ersten Lockdown-Erfahrungen in humorvollen Cartoons, die er auf Facebook und Instagram teilte – und tausende Fans gaben ihm dafür digitale Herzchen und „Gefällt mir“-Daumen.

Das beflügelte den 60-Jährigen. Von Frühling bis Herbst 2020 zeichnete König fast täglich einen jeweils aus vier Panels bestehenden Comicstrip über die Auswirkungen der Coronakrise. „Ich bekam durch die allgemeine Ausbremsung einen bemerkenswerten kreativen Arschtritt“, schreibt er im Vorwort von „Vervirte Zeiten“, das einen Großteil der Arbeiten aus dem vergangenen Jahr sowie zusätzliche Episoden versammelt und an diesem Dienstag in den Handel kommt.

Ralf König an seinem Arbeitsplatz.
Ralf König an seinem Arbeitsplatz.

© vvg Köln / Promo

Königs Figuren geht es ähnlich wie wohl vielen Menschen in den vergangenen zwölf Monaten: Sie versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und sich von Kontaktsperren, Klopapiermangel und Krisenstimmung nicht unterkriegen zu lassen – auch wenn sich der Ausnahmezustand manchmal nur schwer aushalten lässt.

[Nach „Vervirte Zeiten“ arbeitet Ralf König an einem völlig anderen Comic: Er zeichnet einen Lucky-Luke-Comic. Hier gibt es erste Einblicke in das ungewöhnliche Projekt.]

Vor allem der rollige Paul, der ein Autor homoerotischer Science-Fiction-Romane ist und sich auch mit inzwischen knapp 60 Jahren ungebremst von seinen Trieben steuern lässt, leidet unter dem Social Distancing wie ein eingesperrter Hund. Sein Mann Konrad hingegen, Klavierlehrer und introvertierter Geistesmensch, genießt die plötzliche Ruhe und Zweisamkeit enorm.

„Die Krise macht mich ganz porös“

Die beiden sind Königs Publikum seit rund 20 Jahren vertraut, gemeinsam mit ihrem knollennasigen Freundes- und Familienkreis repräsentieren sie einen bunten Querschnitt der Gesellschaft und der unterschiedlichsten Umgangsweisen mit den neuen Herausforderungen.

Maskenball: Konrad und Paul in einer Szene aus „Vervirte Zeiten“.
Maskenball: Konrad und Paul in einer Szene aus „Vervirte Zeiten“.

© Illustration: Ralf König / Rowohlt

Ein Freund driftet beim Videochat in wilde Verschwörungstheorien über den Ursprung des Virus ab, ein anderer lässt sich verwahrlosen, ein dritter konstatiert: „Die Krise macht mich ganz porös.“ Und immer wieder gibt es kleine Ausbruchsversuche aus der Zwangslage – auch wenn über allem die Hoffnung schwebt, dass sich die Dinge bald bessern.

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All das fasst König in gewohnt pointierten Dialogen zusammen, die vielen aus der Seele sprechen dürften. Vor allem aber vermittelt der Zeichner, dessen Strich über die Jahre immer feiner und akzentuierter geworden ist, die Emotionen seiner Figuren über deren herrlich expressive Gesichtsausdrücke, die trotz ihrer karikierenden Überzeichnungen ganz lebensnah wirken.

Auch ein Tagesspiegel-Interview wird im Comic diskutiert

Fein gestrichelte Glupschaugen über den für König typischen Knollennasen vermitteln das Auf und Ab der Gefühle, Riesenmünder mit Überbiss verstärken in dramatischen Momenten die Empfindungen. Und eine geschickt eingesetzte Kolorierung gibt zusätzliche Akzente und Orientierungshilfen.

Stubenarrest: Konrad und Paul in einer Szene aus „Vervirte Zeiten“.
Stubenarrest: Konrad und Paul in einer Szene aus „Vervirte Zeiten“.

© Illustration: Ralf König / Rowohlt

Immer wieder schwappt die Tagespolitik in Königs Mikrokosmos: Konrad, Paul und Co. diskutieren Merkels Reden an die Nation, Trumps Corona-Erkrankung und an einer Stelle auch ein Tagesspiegel-Interview mit Wolfgang Schäuble vom April vergangenen Jahres.

„Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig“, hatte der Bundespräsident damals gesagt, und König lässt seine Figuren das Für und Wider dieser Position angeregt diskutieren.

[Comiczeichner Flix ist ein großer Fan von Ralf König. In diesem Tagesspiegel-Text hat er aufgeschrieben, wieso sein Leben ohne Königs Comics anders verlaufen wäre.]

Wie er überhaupt die Komplexität des Coronadiskurses bemerkenswert differenziert vermittelt und es dabei schafft, für fast jede Szene eine – nicht immer jugendfreie – Pointe zu finden. Trotz aller Ernsthaftigkeit ist Königs Chronik der Krise ein großer Lesespaß, der an vielen Stellen hochkomisch und anrührend zugleich ist.

Konrad und Paul auf dem Titelbild des besprochenen Buches.
Konrad und Paul auf dem Titelbild des besprochenen Buches.

© Rowohlt

Das meiste, was seinen Figuren widerfährt, hat sich im vergangenen Jahr spontan ergeben, schreibt König im Vorwort. Während er bei früheren Büchern planvoller vorging, reagierte er hier mit dem Plot unmittelbar auf den Gang der Dinge in der realen Welt – und auf Publikumsreaktionen auf Facebook und Instagram: „So hatte ich ursprünglich gar nicht vor, aus dem atemberaubend erotischen Rewe-Filialleiter einen Running-Gag zu machen, hätte die LeserInnengemeinde nicht kollektiv aufgeseufzt.“

Wenn eines Tages in ferner Zukunft Menschen wissen wollen, wie ihre Vorfahren damals im Jahr 2020 mit der Coronakrise umgegangen sind, dürfte ihnen „Vervirte Zeiten“ viele Antworten geben – und sie dabei oft zum Lachen bringen.

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