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Szenen auf einem Heft der Serie "The Amazing Spider-Man", das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erschien.

© Matthias Balk/dpa

Comicfestival München: 60 Jahre Marvel-Comics, 60 Jahre US-Zeitgeist

Das Comicfestival München setzt wegen Corona in diesem Jahr primär auf Ausstellungen. Die größte taucht tief in die Geschichte der Populärkultur.

Captain America, Hulk - und natürlich Spider-Man: Den US-amerikanischen Marvel-Comics entspringen einige der wohl berühmtesten Superhelden der Welt. Heute überblicken nur noch die vielen eingefleischten Marvel-Fans das riesige Universum - vor 60 Jahren aber musste man sich nur vier Namen merken: Mr. Fantastic, Das Ding, Die Unsichtbare und Die menschliche Fackel.

„Mit den „Fantastic Four“ ging alles los“, sagt Michael Kompa, einer dieser eingefleischten Fans und Kurator der Ausstellung „60 Jahre Marvel Comics Universe“, die jetzt im Rahmen des Münchner Comic-Festivals (das wegen der Coronakrise in stark reduzierter Form stattfindet) im Amerikahaus zu sehen ist, der Deutschen Presse-Agentur.

Der erste Comic erschien im November 1961 und gilt als Geburtsstunde von Marvel, wie wir es heute kennen. Zwar erschien 1939 „Marvel-Comics Nummer eins“ - „der hatte aber nicht so viel mit dem heutigen Marvel-Universum zu tun“, sagt Kompa. „Da ging es vor allem um den Kampf gegen Nazis.“

Und dann kam Pionier Stan Lee, der eigentlich weg wollte von Marvel. „Seine Frau hatte ihm damals den Tipp gegeben, wenn er eh' kündigen wolle, könne er doch einen Comic genau so entwerfen, wie er wolle. Das hat er getan und so entstanden die „Fantastic Four““, sagt Kompa.

Ihre Entstehung ist eng geknüpft an die Anfänge der US-amerikanischen Raumfahrt. 1961 flog Alan Shepard als erster US-Amerikaner ins Weltall. Die vier Helden werden sogleich dann auch im Weltall verstrahlt und kommen so an ihre Superkräfte.

Der erste schwarze Superheld

Der Hauptgrund für den Erfolg der Marvel-Comics, die längst auch an der Kinokasse zu Blockbustern geworden sind, beschreibt die US-Generalkonsulin in München, Meghan Gregonis: „Marvel hat immer schon den Zeitgeist projiziert“, sagte sie zur Eröffnung der Ausstellung. „Und manchmal waren sie ihrer Zeit auch voraus.“

„Während Bürgerrechtler wie Martin Luther King Jr. sich stark für die Rechte schwarzer Amerikaner engagierten, versuchten auch Stan Lee und Jack Kirby, Afroamerikaner in ihre Comics stärker zu integrieren“, heißt es im Katalog zur Ausstellung.

Michael Kompa, Kurator der Ausstellung "60 Jahre Marvel Comics Universe" im Amerikahaus München.
Michael Kompa, Kurator der Ausstellung "60 Jahre Marvel Comics Universe" im Amerikahaus München.

© Matthias Balk / dpa

Im Jahr 1966 war es dann so weit: Lee und Kirby stellten in einem „Fantastic Four“-Comic den ersten schwarzen Superhelden vor: T'Challa, einen Prinzen aus dem geheimnisvollen und hoch entwickelten afrikanischen Staat Wakanda.

Die Themen der „Black-Lives-Matter“-Bewegung - vor allem Polizeigewalt gegen Schwarze - waren nach Angaben Kompas bei Marvel schon Jahre oder sogar Jahrzehnte präsent, bevor es zur breiten gesellschaftlichen Debatte kam. Ein Titel, der Polizeigewalt gegen Schwarze thematisiert, stammt laut Ausstellungsmachern aus dem Jahr 1972.

Kurator Kompa sagt: „Marvel ist immer am Puls der Zeit.“ Oft seien Konflikte, die erst später gesellschaftlich voll ausbrechen, schon Jahre vorher in Marvel-Comics thematisiert worden. Ein großer Vorteil aus seiner Sicht: „Die Marvel-Comics sind sehr tolerant.“

„Ich war in den Tod von Captain America involviert“

Gewissermaßen, so sagt es Kompa, sind Marvel-Comics für ihn auch eine umfassende Chronik US-amerikanischer Zeitgeschichte. In der Ausstellung, die 180 Original-Zeichnungen umfasst, berühmte Titelblätter und viele andere Exponate auf drei Etagen, ist beispielsweise die Spider-Man-Ausgabe nach dem 11. September 2001 zu sehen - deren Titelbild ist komplett in Schwarz gehalten.

Letzte Vorbereitungen kurz vor der Eröffnung der Ausstellung "60 Jahre Marvel Comics Universe".
Letzte Vorbereitungen kurz vor der Eröffnung der Ausstellung "60 Jahre Marvel Comics Universe".

© Matthias Balk / dpa

Die Comiczeichnungen aus sechs Jahrzehnten, die nun in München ausgestellt sind, zeigen die Geschichte und Entwicklung der populärsten Superhelden wie der X-Men und der Avengers, beschäftigen sich aber auch mit weniger bekannten Charakteren wie dem Punisher und Kung-Fu-Meister Shang-Chi.

Am Punisher, so sagt Kompa, sei zu sehen, dass Marvel-Charaktere in einzelnen Fällen auch aus der Zeit fallen können: „Der Punisher ist ein ehemaliger Elitesoldat, der durchdreht, weil seine Familie vor seinen Augen umgebracht worden ist“, sagt Kompa. „Das ist vielleicht nicht mehr so ganz der Zeitgeist.“

Wovon das Marvel-Universum auch lebt, ist das Herzblut, das die Zeichner in ihre Arbeit stecken, wie ein Gespräch mit dem britischen Comic-Zeichner Mike Perkins, der große Marvel-Helden wie Captain America, Spider-Man und die X-Men zu Papier gebracht hat, zur Ausstellungseröffnung zeigt. Er selbst verfiel dem Marvel-Kosmos, als er als Sechsjähriger das britische Pendant zu Captain America, Captain Britain, zum ersten Mal sah.

„Von dem Moment an wusste ich, dass es das ist, was ich tun wollte“, sagt er. Einige Jahre später hatte er es dann zum Marvel-Zeichner gebracht - und musste mit einem für einen Comic-Fan einigermaßen traumatischen Erlebnis zurecht kommen: „Ich war in den Tod von Captain America involviert“, gibt er zu.

2005 löste der Tod des Comic-Helden in den USA eine Schockwelle aus - auch bei Perkins, der monatelang über das bevorstehende Ende schweigen musste. Er sei mit der Idee konfrontiert worden und habe daran nichts ändern können. „Ich habe Captain America also nicht tatsächlich umgebracht“, betont er. „Ich übernehme dafür keine Verantwortung.“

Weitere Ausstellungen an mehreren Orten

Vom 3. bis 6. Juni gibt es im Rahmen des Comicfestivals München neben der Marvel-Schau noch weitere Ausstellungen in der Stadt zu sehen. So werden in der Alten Kongresshalle Arbeiten von Uli Oesterle („Vatermilch“), Benjamin von Eckartsberg und Thomas von Kummant („Gung Ho“), Kristina Gehrmann („Bloody Mary“), dem Münchener Donald-Duck-Zeichner Jan Gulbransson und Chris Kloiber („Tracht Man“) gezeigt.

Bis Ende August sind zudem im Foyer des Jüdischen Museums Szenen aus der beim Carlsen-Verlag erschienenen Graphic Novel „Beate & Serge Klarsfeld – Die Nazijäger“ von Pascal Bresson und Sylvain Dorange zu sehen.

Und im Institut Français München ist noch bis zum 11. Juni die vom Internationalen Comic-Salon Erlangen organisierte Ausstellung „Vorbilder*innen – Feminismus in Comic und Illustration“ zu sehen. Vorgestellt werden dort 30 Comic-Künstlerinnen und Illustratorinnen. Die Ausstellung wird danach in weiteren Städten gezeigt. Weitere Informationen zum Ausstellungsprogramm des Comicfestivals München unter comicfestival-muenchen.de.

Am 5. Juni werden im Rahmen einer virtuellen Zeremonie auch die Gewinnerinnen und Gewinner des Comicpreises Peng! verkündet, mehr dazu in Kürze auf den Tagesspiegel-Comicseiten. (dpa/Tsp)

Britta Schultejans

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