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Steuer-Skandal Eklat im Cum-Ex-Ausschuss – zwei Laptops mit 700.000 E-Mails betroffen

Bundeskanzler Olaf Scholz und Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher
Kanzler Scholz, Bürgermeister Tschentscher: Wo sind die E-Mails?
© Gregor Fischer / Getty Images
Eklat im Hamburger Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Affäre von Kanzler Olaf Scholz: Nach stern-Informationen fehlen in einem Sicherheitsraum zwei Laptops mit heiklen E-Mails. Weshalb?

Die heikelsten Dokumente rund um die Cum-Ex-Affäre von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind gut geschützt. Mannshoch steht der Tresor in einem fensterlosen Raum, einige Hundert Meter vom Hamburger Rathaus entfernt. Nur ausgewählte, sicherheitsüberprüfte Personen dürfen die schweren Türen öffnen, bringen die Akten dann in den benachbarten Lesesaal, wo Abgeordnete des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses und Mitarbeiter sie unter strenger Aufsicht einsehen dürfen.

Doch seit vergangener Woche fehlt etwas in dem Tresor: zwei Laptops mit mehr als 700.000 E-Mails, unter anderem von Olaf Scholz’ Büroleiterin, von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, von zahlreichen Topbeamten. Eigentlich sollten sie neue Erkenntnisse zu jener Affäre bringen, in der es so viele merkwürdige Gedächtnis- und Aktenlücken gibt. Jetzt wird nach den E-Mails gesucht.

Nach Informationen des stern und der WAZ soll ausgerechnet der Chefaufklärer aus den Reihen der SPD die Geräte aus dem Sicherheitsraum des Untersuchungsausschusses an sich genommen haben.

Er habe "verfügt, dass die Akteneinsicht sowie des Arbeitsstabes mit den Asservaten zunächst ausgesetzt wird", teilt Chefaufklärer Steffen Jänicke den Obleuten im Ausschuss mit. Aber kein Wort zu den Laptops aus dem Sicherheitsraum.

Wo sind die Geräte?

Mit den Recherchen von stern und WAZ konfrontiert, sagt CDU-Obmann Richard Seelmaecker: "Wir wissen nicht, wo sich die Geräte befinden und ob sie dort sicher sind." Der Bürgerschaftsabgeordnete überzeugte sich selbst und musste feststellen, dass die Geräte im Sicherheitsraum fehlen. "Die Laptops wurden ohne Rücksprache aus dem Tresor entfernt. Wir wissen nicht, ob sie zwischenzeitlich manipuliert oder ausgelesen wurden."

Die beiden schwarzen Laptops sehen unscheinbar aus, doch was auf ihnen schlummert, ist höchst brisant. Die Mails hat die Staatsanwaltschaft Köln beschlagnahmt im Rahmen der Ermittlungen gegen eine Hamburger Finanzbeamtin und zwei ehemalige hochrangige SPD-Politiker aus der Stadt: Alfons Pawelczyk, einst Innensenator und Vizebürgermeister Hamburgs, sowie seinen politischen Ziehsohn Johannes Kahrs, Ex-Bundestagsabgeordneter und einflussreicher Haushaltspolitiker.

Die Staatsanwaltschaft Köln geht in dem Verfahren der Frage nach, warum das Finanzamt in Hamburg 2016 zunächst darauf verzichtete, eine Millionen-Beute aus Cum-Ex-Geschäften von der Hamburger Privatbank M.M. Warburg zurückzufordern – und welchen Einfluss die beiden Politiker hatten. Sie berieten die Bank in der Zeit eng und stießen den beiden Bankeigentümern die Tür auf zu Olaf Scholz, damals Erster Bürgermeister Hamburgs.

Für seine Lobbyarbeit bekam Pawelczyk knapp 60.000 Euro, in zwei Tranchen. Und nach der Initiative von Kahrs flossen aus dem Firmengeflecht von Warburg insgesamt 45.500 Euro an die Hamburger SPD, vorzugsweise an den damaligen Wahlkreis von Kahrs. Scholz traf sich mehrfach mit den Bankiers und sprach mit ihnen über das Steuerverfahren.

Auch E-Mail-Postfach von Kanzler-Vertrauter in Laptops

Die E-Mail-Postfächer wurden kurz nach der Bundestagswahl im September 2021 beschlagnahmt. Zwei Tage nach der Wahl kam es damals zu einer Razzia in Hamburg. Neben der Finanzbehörde durchsuchten die Ermittler auch bei der Finanzbeamtin zu Hause und bei Johannes Kahrs. Zusätzlich durchforsteten die Ermittler über Monate hinweg die elektronischen Briefkästen von Politikern, Staatsräten und Beamten. Die Betroffenen bekamen davon nichts mit.

Unter den Postfächern ist auch das von Scholz’ Büroleiterin Jeanette Schwamberger, einer engen Vertrauten des heutigen Kanzlers. Schon bei einer ersten Auswertung des E-Mail-Postfachs stießen die Ermittler auf brisante Korrespondenz. Es ging um eine Anfrage des Untersuchungsausschusses. Die Abgeordneten verlangen darin die Kalendereintragungen über die Treffen und Telefonate von Scholz mit Kahrs und Pawelczyk, im Zusammenhang mit der Cum-Ex-Affäre. Schwamberger schlägt in Mails dem heutigen Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt vor: Es sei "mit Olaf zu diskutieren", wie man die Termine "einsortieren" solle. Das Verb einsortieren setzt sie in Anführungszeichen.

Im August 2022 berichtete der stern über den Vorgang. CDU-Mann Seelmaecker kam damals zu dem Schluss, die Justiz in Nordrhein-Westfalen um die Herausgabe der sichergestellten Mails zu bitten. Der Christdemokrat versprach sich neue Erkenntnisse über die Rolle von Olaf Scholz in der Cum-Ex-Affäre rund um die Warburg-Bank. Seelmaecker hoffte, in den Mails auch Antworten auf die Frage zu finden, ob Scholz den Ausschuss möglicherweise anlog, was sein Wissen über die Treffen angeht. Scholz sagt heute, er könne sich an die Treffen mit den Bankiers nicht erinnern.

Die Justiz in NRW wollte die Mails dem Untersuchungsausschuss in Hamburg zunächst allerdings nicht überlassen. Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte juristische Bedenken. Es kam zum Streit, die Auseinandersetzung zog sich über Monate. Erst als Seelmaecker mit einer Klage drohte, lenkte Limbach ein. Anfang Oktober 2023 ließ er zwei Laptops mit den 700.000 E-Mails nach Hamburg bringen.

Unruhe in der SPD

Seit Freitag, den 13. Oktober, haben dort die Aufklärer Zugriff auf die Mails. Doch die Arbeit damit hat die SPD schon wieder gestoppt. Zwei Tage nach der Anlieferung, am Sonntag, den 15. Oktober, beschwerte sich SPD-Obmann Milan Pein bei seinem Genossen und Ausschussvorsitzenden Mathias Petersen, in den Postfächern befänden sich Mails ohne Bezug zum Untersuchungsauftrag. Es handele sich um vertrauliche politische Korrespondenz, es seien persönliche Daten betroffen. Die Einsichtnahme sei rechtswidrig, möglicherweise sogar strafbar.

Nach Informationen von stern und WAZ befinden sich neben SPD-internen Vorgängen, wovon der politische Gegner keine Kenntnis bekommen soll, auch Mails der Scholz-Vertrauten Schwamberger zu ihrem Bankkonto. Die Büroleiterin des Kanzlers hatte offenbar private Bankgeschäfte über ihren Dienstaccount abgewickelt.

Für die Hamburger Genossen ist dies offensichtlich willkommener Anlass, sämtliche Mails und damit auch wichtige Beweismittel vorerst aus dem Verkehr zu ziehen. Ausschussmitglieder und ihre Mitarbeiter sollen bis zur Klärung über den Umgang mit den Mails keinen Zugang mehr zu den Laptops bekommen.

Ohne einen Beschluss des Ausschusses oder seiner Obleute abzuwarten, wurde dann offenbar ein weiterer SPD-Mann aktiv: Steffen Jänicke, Leiter des Arbeitsstabs. Obwohl in die Affäre zahlreiche aktive und ehemalige SPD-Politiker verwickelt sind, stellt die SPD aufgrund der Regularien für Untersuchungsausschüsse in Hamburg sowohl den Ausschussvorsitzenden als auch den Leiter und den Stellvertreter des Arbeitsstabs, der für die Abgeordneten viele Ermittlungsaufgaben übernimmt oder vorbereitet.

Nach Informationen des stern und der WAZ nahm Jänicke die Laptops aus dem Safe im streng gesicherten Aktenraum des Ausschusses an sich. Der Aktenraum und ein benachbarter Lesesaal für die Ausschussmitglieder wurden einige Straßen vom Hamburger Rathaus entfernt eigens eingerichtet, damit dort unter Aufsicht mit streng vertraulichen Unterlagen gearbeitet werden darf.

Die Opposition ist entsetzt

Wohin Jänicke die Laptops gebracht hat, ist unklar. Im Raum steht die Frage, ob er gegen die Regeln zur Wahrung der Geheimhaltung des Ausschusses verstoßen hat, in denen es heißt: "Die Akten und sonstigen Unterlagen sind in vom Arbeitsstab zu bestimmenden Akten- und Leseräumen im jeweiligen Gebäude zu verwahren." Jänickes Büro ist in einem anderen Gebäude und verfügt nicht über die gleichen Sicherheitsvorkehrungen wie der Aktenraum. Unklar ist auch, warum er die Laptops aus dem Safe an sich nahm – auf ihn haben ohnehin nur ausgewählte Mitglieder des Arbeitsstabs Zugriff.

"Wir sind höchst verwundert über diesen Umgang mit den sensiblen Daten", sagt Linken-Obmann Norbert Hackbusch. Der Ausschussvorsitzende Mathias Petersen erklärte auf Anfrage, die Laptops würden "im Arbeitsstab unter Einhaltung der Geheimhaltungsvorschriften" aufbewahrt. Das reicht Hackbusch allerdings nicht: "Es muss jetzt aufgeklärt werden: Wo sind die Laptops? Waren sie die ganze Zeit sicher? Und warum wurden wir nicht sofort informiert?"

"Mangels Wissens" könne er Fragen nach Verbleib der Laptops nicht beantworten, sagt Farid Müller von den Grünen, Koalitionspartner der SPD in Hamburg. Müller verweist an den Arbeitsstab. Jänicke selbst teilt auf Anfrage mit, "aus dienstrechtlichen Gründen" könne er auf die Fragen "weder antworten noch anderweitig eingehen".

AfD-Obmann Alexander Wolf erklärte: "Es wird zu untersuchen sein, ob an den genannten Laptops in der Zwischenzeit Änderungen vorgenommen oder Kopien angefertigt wurden."

Heikel ist die Sache aus Sicht der Opposition auch, weil Jänicke schon einmal als Ausschussvorsitzender in die Schlagzeilen geraten war: Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz hatte im Sommer 2022 wegen familiärer Verbindungen nach Russland Bedenken geäußert, ob Jänicke vertrauenswürdig genug ist, Einsicht in streng geheime Unterlagen zu nehmen. Die SPD-geführte Hamburger Bürgerschaftskanzlei hatte sich über die Bedenken hinweggesetzt, auch damals wurden allerdings die Obleute zunächst nicht informiert.

Als die Sache durch Medienberichte aufflog, einigte man sich intern auf einen Kompromiss: Jänicke dürfe im Amt bleiben, aber keinen Zugang zu sensiblen Daten oder zum Tresor haben. Wie er an die Laptops gekommen ist, ist unklar. Als Seelmaecker ihn auf den Verbleib der Geräte anspricht, soll der SPD-Mann geantwortet haben: "Machen Sie sich keine Sorgen, die Laptops sind an einem geeigneten Ort."

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wurde aus rechtlichen Gründen nachträglich bearbeitet. Steffen Jänicke, der inzwischen nicht mehr als Arbeitsstabsleiter tätig ist, hat beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der stern hat hiergegen bereits Rechtsmittel eingelegt.

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