Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Kryptologen: Und dann setzten sie die Enigma schachmatt

Enigma-Entschlüsselung Wie britische Schachspieler halfen, den Krieg zu gewinnen

Die Chiffriermaschine Enigma galt als unbezwingbar. Bis britische Geheimdienstler sie knackten. Neben Mathematikern leisteten Schachspieler, Meister der Mustererkennung, Großes bei der Entschlüsselung deutscher Funksprüche.

Die geheimste Einrichtung der britischen Regierung im Zweiten Weltkrieg befand sich in Bletchley Park. In einem alten, unscheinbaren Herrenhaus dieses Dorfes nördlich von London war die "Government Code and Cipher School" untergebracht: die noch junge Kryptologieabteilung des Geheimdiensts.

Schon im Ersten Weltkrieg war einem Marine-Grüppchen britischer Dechiffrierexperten ein bemerkenswerter Erfolg gelungen, als sie im Januar 1917 ein codiertes Telegramm an die deutsche Botschaft in Washington abfingen und entschlüsselten. Artur Zimmermann, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hatte darin den deutschen Gesandten in Mexiko aufgefordert, im Falle des amerikanischen Kriegseintritts Mexiko und am besten auch Japan zum Angriff auf die Vereinigten Staaten zu bewegen. Die Briten spielten den Telegrammtext der US-Presse zu und beeinflussten so maßgeblich die öffentliche Meinung.

Die Ver- und Entschlüsselung von Nachrichten ist keine moderne Erfindung - sie beschäftigte schon Experten in der Antike und im Mittelalter. Neu war vor dem Zweiten Weltkrieg die Möglichkeit einer maschinellen Verschlüsselung. Zuvor waren in mehreren Ländern unabhängig voneinander automatisierte Verfahren entstanden. Eine Sonderrolle spielte die von Arthur Scherbius entwickelte "Enigma". 1918 reichte er seine Erfindung zum Patent ein und gründete zur Vermarktung fünf Jahre später die "Chiffriermaschinen Aktiengesellschaft" in Berlin.

Fotostrecke

Kryptologen: Und dann setzten sie die Enigma schachmatt

Die Maschine wurde stufenweise weiterentwickelt und schon in den Zwanzigerjahren in Marine und Heer eingesetzt, dann auch in der Luftwaffe nach Machtübernahme der Nazis 1933. Zwischen 40.000 und 200.000 Stück wurden gebaut, die Schätzungen dazu schwanken sehr stark.

Schachspieler für den Geheimdienst

Die Enigma ähnelte einer Schreibmaschine mit 26 Tasten, in anderer Version mit 29 Tasten (mit Umlauten). Ihre ursprünglich drei Rotoren sind ähnlich wie die Ziffernwalzen eines Tachometers miteinander verbunden. Die Rotoren konnte man in verschiedene Ausgangsstellungen bringen, die bereits einen Teil der Verschlüsselung ausmachten. 26x26x26, das ergab 17.576 Anfangsmöglichkeiten.

Ein vierter Rotor, der nur Kontakte auf einer Seite hatte und daher Umkehrrotor hieß, schickte den Strom ein weiteres Mal durch die drei vorherigen Rotoren, was die Verschlüsselung noch sicherer machen sollte. Somit ließ sich eine Maschine sowohl zum Chiffrieren als auch zum Dechiffrieren verwenden. Die Technik der Umkehrwalze sorgte zudem dafür, dass kein Buchstabe auf sich selber abgebildet wurde. Ein Steckerbrett, mit dem man Einzelbuchstaben vertauschen konnte, erhöhte die Verschlüsselungsmöglichkeiten zusätzlich.

Ab 1926 war die Enigma nicht mehr im freien Handel erhältlich, doch ausländische Mächte fanden Beschaffungswege, um ihre Technik zu studieren. US-Dienststellen hielten es für unmöglich, die Enigma ohne Kenntnis des Schlüssels zu knacken.

Anzeige
Schulz, André

Das große Buch der Schach-Weltmeisterschaften: 46 Titelkämpfe - von Steinitz bis Carlsen

Verlag: New In Chess
Seitenzahl: 352
Für 22,80 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

05.05.2024 13.24 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Am 1. September 1939 überfiel die Wehrmacht Polen, zwei Tage darauf erklärten Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg. Zu dieser Zeit spielten in Buenos Aires gerade die besten Schachspieler der Welt die Schacholympiade, eine Art Mannschaftsweltmeisterschaft, erstmals außerhalb von Europa - aber plötzlich lagen einige Teilnehmerländer im Krieg miteinander. Also berieten die Mannschaftsführer, wie man das Turnier noch einigermaßen ordnungsgemäß zu Ende spielen könne.

Die englische Mannschaft bestand aus Conel Hugh O'Donel Alexander, Sir George Alan Thomas, Stuart Milner-Barry, Harry Golombek und Baruch Wood. Sie kehrten sofort auf dem Frachtschiff "Alcantara" zurück. Viele andere Teilnehmer blieben in Argentinien, wurden dort heimisch oder kamen erst nach dem Krieg wieder nach Europa. Anfang 1940 meldete sich Gordon Welchman bei Alexander und Milner-Barry, um die Schachspieler für die Geheimtätigkeit in Bletchley Park anzuwerben.

Ein erstes Schachprogramm, bevor es Computer gab

Der Mathematiker Welchman hatte sich schon vor dem Krieg für Kryptologie interessiert. Nun war er zusammen mit Alan Turing einer der führenden Köpfe bei der neu geschaffenen Code and Cipher School. Auch Alexander war Mathematiker, aber die Kryptologieabteilung suchte alle Arten von Tüftlern für ihre Aufgabe: Linguisten, Kreuzworträtsler und eben Schachspieler - denn die sind darauf trainiert, Muster zu erkennen, überaus nützlich beim Entziffern codierter Funksprüche.

Immer mehr Schachspieler wurden angeworben, darunter Nationalspieler Harry Golombek, der spätere schottische Meister James Aitken, Irving John Good, Anthony Perkins, der Fernschachmeister Theodor Henry Tylor und der Schachproblemspezialist R.C.O. Matthews. Die Abteilungen in Bletchley Park, zuständig für unterschiedliche Verschlüsselungsmaschinen, wurden nach den Hütten benannt, in denen sie untergebracht waren.

Conel Hugh Alexander wurde Stellvertreter von Alan Turing in Hütte acht ("Hut 8"). Turing war ein Mathematikgenie und intellektueller Motor der Code- und Chiffrenschule. Mit seinem Aufsatz "On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem" - so lautete tatsächlich der Titel - hatte Turing 1937 die Grundlagen der Theoretischen Informatik geschaffen. Er hatte sich gründlich mit den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz beschäftigt und im Bemühen, abgefangene Funksprüche nach der Schlüssel-Entdeckung zügig in Klartext zu übersetzen, eine spezielle Maschine gebaut, eine Art Vorläufer der heutigen Computer.

In Bletchley Park spielte er gern Schach gegen Harry Golombek. Der machte sich einen Spaß daraus, in Partien, die Turing als hoffnungslos aufgegeben hatte, das Brett zu drehen und mit der anderen Farbe nochmals zu gewinnen. Solche Begegnungen inspirierten Turing zu Überlegungen, ob eine Maschine Schach spielen könnte. Noch bevor es überhaupt Computer gab, schrieb er das erste Schachprogramm, "Paper Engine" genannt - denn Turing notierte die Abfolge von Befehlen auf einem Papierstreifen. Viele Jahre später wurden die Befehle als Computerprogramm umgesetzt: Es funktionierte.

"Heil Hitler" kam sehr oft vor

Die Schachspieler leisteten bei der Entzifferung codierter Funksprüche wertvolle Arbeit. Es kam darauf an, durch schnelle, präzise Arbeit mit maschineller Unterstützung an die jeweiligen Tagesschlüssel heranzukommen. Maschinen wie die "Turing-Bombe" oder die RM-26 halfen, die Funktionsweise einer Enigma zu simulieren, die Lage, Stellung und vor allem die Verdrahtung der Walzen zu erschließen. Von großer Bedeutung war zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Wörter wiederholt auftauchen - denn das erleichterte die Entschlüsselung erheblich.

Die Mustersuche zeigte, dass Begriffe wie "Oberkommando der Wehrmacht" oft vorkamen, ebenso beispielsweise "Wettervorhersage" oder auch "Heil Hitler". So knöpfte sich Schachspieler Golombek deutsche Wetternachrichten in unterschiedlichen Verschlüsselungen vor. Indem er die Routine-Wettermeldungen verfolgte, gelang es ihm, einen Code zu knacken.

Den britischen Kryptologen half die meisterhafte Arbeit polnischer Spezialisten um den Mathematiker Marian Rejewski, außerdem unter anderem 1941 die Erbeutung einer Enigma in einem deutschen U-Boot. Millionenfach konnten im Zweiten Weltkrieg deutsche Funksprüche entschlüsselt werden, strategisch ungemein wichtig - die Alliierten lasen die wichtigsten Geheimmeldungen von deutschem Heer und Marine praktisch kontinuierlich mit, vor allem im U-Boot-Krieg. Und die verschwiegenen Briten verstanden es, ihr Wissen zu hüten. Premierminister Winston Churchill bezeichnete die Codebreakers als "meine Gänse, die goldene Eier legten und niemals gackerten".

Alan Turings tragisches Schicksal

Von der Geheimabteilung in Bletchley Park erfuhren die Deutschen im Zweiten Weltkrieg nichts, auch wenn sich besonders Heer und Marine wunderten, warum so viele ihrer Angriffe und Aktionen von Misserfolgen begleitet waren. Mithilfe entschlüsselter Enigma-Funksprüche wurden beispielsweise Rommel und sein Afrikakorps zeitweise völlig vom Nachschub abgeschnitten.

Hugh Alexander blieb nach dem Krieg beim Geheimdienst. In Cheltenham war er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1971 Leiter der Sektion H (Kryptoanalyse) im GCHQ, dem Government Communication Headquarter. Nebenher nahm er weiter an Schachturnieren teil, aber nicht mehr in Osteuropa.

Irving John Good, auch ein begeisterter Go-Spieler, arbeitete nach dem Krieg noch eine Weile als Kryptologe für den britischen Geheimdienst, beteiligte sich an der Entwicklung eines Computers in Manchester und wanderte 1967 in die USA aus; dort hatte sein Auto das Kennzeichen 007 IJG. Stuart Milner-Barry machte Karriere in Regierungsbehörden und wurde Unterstaatssekretär im Schatzamt, Harry Golombek ein bekannter Schach-Schiedsrichter und Autor von 35 Schachbüchern.

Ein tragisches Ende nahm Alan Turing, genialer Mathematiker und auch ein hervorragender Marathonläufer. Dass er homosexuell war, machte ihn aus Sicht britischer Behörden zum Sicherheitsrisiko. Man zwang ihn zur "chemischen Kastration". Diese Hormonbehandlung stürzte Turing so tief in eine Depression, dass er sich 1954 umbrachte, offenbar mit einem durch Zyankali vergifteten Apfel. Angeblich soll das Firmenlogo von Apple daran erinnern, wozu auch die Regenbogenfarben passen würden. Firmengründer Steve Jobs verneinte das aber ebenso wie Designer Rob Janoff, der das Logo gestaltete.

Schach-WM 2018
Foto: FACUNDO ARRIZABALAGA/EPA-EFE/REX

In London läuft vom 9. bis 28. November 2018 das Duell um die Krone, Titelverteidiger Magnus Carlsen spielt gegen Herausforderer Fabiano Caruana. Hier finden Sie alle Informationen und können alle Partien nachspielen.

Mitarbeit: Jochen Leffers