Straßenschild in Potsdam-Babelsberg | Bildquelle: DRA/Fischer

»Bundeskanzler der Alliierten«

1949: Konrad Adenauer versus Kurt Schumacher

Beide waren Vollblutpolitiker, beide waren beherrschende politische Akteure auf der deutschen Nachkriegsbühne: Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der die möglichst rasche Gewinnung der Souveränität für die Bonner Republik anstrebte und dessen bestimmendes Konzept darin bestand, durch die Westintegration der Bundesrepublik Handlungsfreiheit zu gewinnen. Und sein Gegenspieler Kurt Schumacher, Vorsitzender der SPD für die drei westlichen Besatzungszonen, Oppositionsführer im ersten Bundestag und beherrschende Figur der Nachkriegs-SPD, der, geprägt unter dem Martyrium zehnjähriger KZ-Haft, heftig die Innen- und Außenpolitik Adenauers attackierte, ohne sie nachhaltig beeinflussen zu können.

Schumacher stand in einem gespannten Verhältnis zu den Besatzungsmächten und lehnte Adenauers Politik der Westintegration ab, weil er befürchtete, dass durch sie die Wiedervereinigung Deutschlands für lange Zeit verhindert werden würde. Er strebte ein geeintes, souveränes Deutschland an, eingebunden in ein demokratisches Europa, eine Haltung, die wiederum die Westalliierten verprellte.

Auf dem Weg zur Souveränität der Bundesrepublik war das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 ein früher Erfolg für die von Konrad Adenauer geführte Bundesregierung. In diesem Abkommen gestattete die auf dem Petersberg über Bonn residierende Alliierte Hohe Kommission der Bundesregierung die Aufnahme konsularischer Beziehungen sowie wirtschaftliche Erleichterungen: Lockerung bei der Beschränkung im Bau von Hochseeschiffen; Verringerung des Demontageprogramms. Im Gegenzug verpflichtete sich die Bundesrepublik, die internationale Kontrolle der Kohle- und Stahlproduktion im Ruhrgebiet zu akzeptieren und dem so genannten Ruhrstatut beizutreten. Innenpolitisch war dieser Schritt höchst umstritten. Vor allem die internationale Kontrolle der Bodenschätze und Montanerzeugnisse des Ruhrgebiets kritisierten die Sozialdemokraten als eine einseitige Knebelung. Kurt Schumacher sah dadurch die Möglichkeit genommen, die Wirtschaft in eigener Verantwortung zu führen. Für Adenauer hingegen war es lediglich eine Übergangslösung auf dem Weg einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa. 

Dieser Zwischenruf rief – unter anhaltenden Glockenzeichen des Bundestagspräsidenten – stürmische Protestrufe, fortdauernden Lärm und fortgesetzte Pfuirufe hervor. 

In einer mehr als 20 Stunden dauernden Debatte am 24. und 25. November rechtfertigte Adenauer vor dem Bundestag die Entscheidung seiner Regierung für das Petersberger Abkommen und den Beitritt zur Ruhrbehörde. Er wies noch einmal auf die Folgen einer Ablehnung des Petersberger Abkommen hin. Bei einer Ablehnung, so seine Einschätzung, würde die Demontage wichtiger Betriebe bis zum Ende durchgeführt: »Zu dieser Frage muß die Opposition Stellung nehmen (…) – das ist die Frage, um die es sich handelt, und um keine andere Frage: Ist sie bereit, einen Vertreter in die Ruhrbehörde zu schicken, oder nicht? Und wenn sie erklärt: nein, dann weiß sie auf Grund der Erklärungen, die mir der General Robertson abgegeben hat, daß die Demontage bis zu Ende durchgeführt wird«. Dieser Vorwurf war mit größerer Schärfe und Lautstärke gesprochen worden. Kurt Schumacher titulierte daraufhin seinen Widersacher Adenauer gallig als den »Bundeskanzler der Alliierten«. Dieser Zwischenruf rief – unter anhaltenden Glockenzeichen des Bundestagspräsidenten – stürmische Protestrufe, fortdauernden Lärm und fortgesetzte Pfuirufe hervor. 

»Der Bundeskanzler der Alliierten« – Empörung im Bundestag. Ausschnitt aus der 18. Sitzung des Deutschen Bundestages. 25.11.1949 (KONF 607667)

Es war dies eine der längsten und am heftigsten geführten Parlamentsdebatten in der Geschichte der Bundesrepublik. In der Folge wurde Schumacher vom Bundestagspräsidenten zur Ordnung gerufen und für 20 Tage von den Parlamentsdebatten ausgeschlossen. Nach einer Aussprache zwischen Adenauer und Schumacher wurde der Ausschluss bereits in der folgenden Sitzung wieder aufgehoben. 

Das Ruhrstatut, dem die Bundesrepublik am 30. November 1949 beitrat, wurde 1952 durch die Montanunion ersetzt. Die Kontrollen und Beschränkungen der westdeutschen Schwerindustrie waren damit aufgehoben.

Jörg-Uwe Fischer

Quelle und weiterführende Literatur:

  • Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949-1953, Stenografische Berichte, Bd. 1: 18. Sitzung, 24./25.11.1949, S. 525f.
  • Michael F. Feldkamp: Der Zwischenruf »Der Bundeskanzler der Alliierten!« und die parlamentarische Beilegung des Konfliktes zwischen Konrad Adenauer und Kurt Schumacher im Herbst 1949. In: Markus Raasch, Tobias Hirschmüller (Hrsg.): Von Freiheit, Solidarität und Subsidiarität – Staat und Gesellschaft der Moderne in Theorie und Praxis. Festschrift für Karsten Ruppert zum 65. Geburtstag (= Beiträge zur Politischen Wissenschaft. Band 175), Berlin 2013, S. 665–708.

 

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