Tusks Besuch in der Ukraine :
Polen will wieder erster Verbündeter sein

Von Gerhard Gnauck, Warschau
Lesezeit: 3 Min.
Begegnung in Kiew: Polens Premierminister Donald Tusk und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sieht den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland als „Konflikt zwischen Gut und Böse“. Die Zeit der Wortgefechte mit Kiew scheint vorbei zu sein.

Der neue Ministerpräsident Polens, Donald Tusk, ist am Montag zu seiner ersten bilateralen Auslandsreise in Kiew eingetroffen. Er wolle der Welt klarmachen, dass sie der von Russland mit Krieg überzogenen Ukraine mehr helfen müsse, sagte Tusk, der bis 2019 EU-Ratspräsident gewesen war.

Bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Kiewer „Haus mit den Chimären“, einem für Begegnungen genutzten Jugendstilgebäude, sagte er: „Es ist nicht nur unsere moralische Pflicht, sondern auch unser gemeinsames Interesse, in Polen wie in Europa, der Ukraine in jeder Hinsicht zu helfen.“

Der russische Angriff auf das Nachbarland habe einen „Konflikt zwischen Gut und Böse, zwischen Schwarz und Weiß“ entstehen lassen. Hier dürfe man nicht „den Hamlet spielen“ (zögerlich sein), es gebe keinen Raum für Neutralität, und er sehe seine Rolle darin, das allen Staatslenkern zu erklären.

Wie die Solidarität Risse bekam

Beide erinnerten sich vor den Kameras an einen gemeinsamen Tag in der Ostukraine kurz vor dem russischen Großangriff, „als wir besprachen, wie die Ukraine gegen eine mögliche Aggression geschützt werden könnte“, wie Tusk sagte. Als Putin wenig später den Befehl zum Angriff gab, flohen mehrere Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, nach Polen. Das Land wurde zur wichtigsten Fluchtroute, aber auch zu einem Zielland, in dem Hunderttausende ihre Wohnungen für die „Gäste“, wie sie genannt wurden, öffneten.

Nach neuesten Behördenangaben halten sich etwa 960.000 Kriegsflüchtlinge weiterhin in Polen auf, während weitere etwa 1,3 Millionen schon in den Jahren zuvor als Arbeitsmigranten gekommen waren. Im ersten Kriegsjahr überließ Polen dem angegriffenen Nachbarn einen großen Teil seiner Kampfpanzer und weitere Bewaffnung; die Lücken werden seitdem nur langsam aufgefüllt.

Im zweiten Kriegsjahr, seit Frühjahr 2023, bekam die Solidarität zwischen Polen und Ukrainern jedoch Risse. Die EU hatte die Importzölle für Getreide und weitere Agrarprodukte der Ukraine aufgehoben, um den kriegsbedingten wirtschaftlichen Einbruch im angegriffenen Land abzufedern. Daraufhin strömten riesige Mengen dieser für Kiew wichtigen Exportgüter durch Polen, vieles blieb auch im Land und sorgte für Marktturbulenzen. Eine Quotenregelung für ukrainische Lastwagenfahrer auf dem polnischen Markt war ebenfalls aufgehoben worden, worauf die polnischen Fahrer seit Herbst Blockaden der Grenzübergänge zur Ukraine organisierten.

Blockaden an Grenze ausgesetzt

Befeuert vom Wahlkampf, schaltete die rechte PiS-Regierung plötzlich rhetorisch auf „Verteidigung der polnischen Interessen“ um. Zwischen Kiew und Warschau, selbst zwischen Selenskyj und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda, die sich 2022 herzlich umarmt hatten, fielen scharfe Worte.

Jetzt versucht der neue Regierungschef Tusk mit seiner Mitte-links-Koalition einen Neuanfang. Die Regierung hat die Grenzblockierer dazu gebracht, ihre Aktionen, die die Wirtschaft beider Länder schwer geschädigt hatten, bis März zumindest auszusetzen. Er wolle zeigen, sagte Tusk, dass Polen „der zuverlässigste und stabilste Verbündete der Ukraine in diesem tödlichen Kampf gegen das Böse“ sei. Die russische Invasion betreffe die Sicherheit der ganzen Welt. „Es gibt nichts Wichtigeres, als die Ukraine bei ihren Kriegsanstrengungen gegen den russischen Angriff zu unterstützen.“

Die nächsten „Monate und Jahre“ würden für die ganze freie Welt eine große Herausforderung werden. Beide Regierungen würden bald „Gespräche über gemeinsame Investitionen in die Waffen- und Munitionsproduktion zum Abschluss bringen“, sagte der Gast. Den mitreisenden Politiker und Osteuropakenner Paweł Kowal stellte Tusk als Warschaus künftigen Beauftragten für den Wiederaufbau der Ukraine vor, woran auch polnische Unternehmen beteiligt sein sollen. Über bestehende Interessenkonflikte werde man „im Geiste der Freundschaft sprechen, um diese Probleme so schnell wie möglich zu lösen“.