Werden Worte nicht ernst genommen oder kleingeredet, können bald Taten folgen: „Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht!“, hieß es auf einem Flugblatt der radikal antibürgerlichen Kommune 1 in West-Berlin 1967. Doch zur allgemeinen Überraschung bewertete das zuständige Landgericht am 22. März 1968 diese Flugblätter als Satire statt als strafbaren Aufruf zur Gewalt; die Angeklagten wurden freigesprochen.
Dieses Urteil empfand der charismatische Kleinkriminelle Andreas Baader offenbar als Ansporn, Ernst zu machen. Mit seiner Freundin Gudrun Ensslin fuhr er von West-Berlin nach Frankfurt am Main; dort legten die beiden mit zwei Bekannten am späten Nachmittag des 2. April in zwei Kaufhäusern an der Einkaufsstraße Zeil Brandsätze mit Zeitzündern. Kurz vor Mitternacht hörten Anwohner Detonationen; die Flammen zerstörten mehrere Etagen der beiden Kaufhäuser, darunter eine Spielwaren- und eine Möbelabteilung. Der Sachschaden betrug mehr als zwei Millionen Mark.
Schon wenige Stunden später nahm die Polizei Baader und Ensslin sowie die Mittäter fest. Denn noch während der Löscharbeiten hatte das Pärchen aus West-Berlin in einem nahe der Tatorte gelegenen Szenelokal gefeiert und Andeutungen fallen lassen, die auf sie als Täter deuteten. Sie kamen in Untersuchungshaft; im Oktober 1968 begann ihr Prozess.
Alle vier Angeklagten störten das Verfahren und provozierten das Gericht nach Kräften. Sie verfolgten ein Ziel, das Ensslin festgelegt hatte: Öffentliches Aufsehen sollte die ihrer Meinung nach unterdrückten Massen Westdeutschlands bewegen, es den vier Brandstiftern gleichzutun und sich gegen den Staat zu erheben. Die linksradikale Journalistin Ulrike Meinhof vertrat in der Politillustrierten „Konkret“ wortgewaltig die Sichtweise von Baader und Ensslin.
Ricarda Lang, eine der beiden Parteivorsitzenden der Grünen, hat jetzt die Öko-Radikalen der selbst ernannten „Last Generation“ gegen Vergleiche mit der linksextremen Terrorgruppe Rote-Armee-Fraktion (RAF) um Baader, Ensslin und Meinhof verteidigt, die ab 1970 in Deutschland mordete, bombte und entführte. Doch die pauschale Apologie geht gleich doppelt fehl.
Erstens ist es eine Banalität, dass Vergleiche immer zulässig sind, weil nur durch sie Ähnlichkeiten wie Unterschiede festgestellt werden können; vergleichen heißt eben nicht gleichsetzen. Zweitens muss man für einen Vergleich zwischen den Aktionen der „Klimaschutz“-Radikalen und der RAF nicht auf den Terror ab Mitte Mai 1970 schauen, sondern auf den Weg dorthin.
Schlagartig sind Parallelen unübersehbar: Die Wurzeln der späteren RAF liegen in der Selbstradikalisierung einiger Mitlieder einer nicht großen, aber in der Öffentlichkeit sehr stark wahrgenommenen Gruppe linker Aktivisten, die sich von der Mehrheitsgesellschaft nicht ernst genommen vorkamen. Um das zu ändern, setzten sie neben öffentlichen Protesten (einfallsreich und sogar lustig war etwa der Gruppenauftritt auf dem Kurfürstendamm mit bemalten T-Shirts, deren Buchstaben die Botschaft „Albertz abtreten“ ergaben) auf Gewalt. So wollte Baader eigentlich den Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sprengen, legte aber stattdessen die Brandsätze in Frankfurt.
Als das Frankfurter Landgericht trotz des hohen Sachschadens milde Urteile (nur je drei Jahre Haft; die Staatsanwaltschaft hatte doppelt so viel beantragt) fällte, fühlten sich Baader und Ensslin davon wieder angespornt. Ihre beiden Mittäter dagegen hatten den Warnschuss verstanden und beendeten ihren Weg in den Terror rechtzeitig.
Neben Verteidigern aus dem linksbürgerlichen Milieu wie Otto Schily und Horst Mahler gehörte zu den Unterstützern der Angeklagten auch Ulrike Meinhof. Sie hatte die vergangenen Jahre mit ihrem Ehemann Klaus Rainer Röhl in Hamburg-Blankenese gelebt, in mindestens gut-, eigentlich eher großbürgerlichen Verhältnissen.
Doch zu ihrer politischen Radikalisierung – auch durch die Bekanntschaft mit der unerbittlichen Gudrun Ensslin, über deren Straftat Meinhof nach einem Gefängnisbesuch schrieb: „Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch“ – kam eine persönliche: Sie trennte sich von Röhl, besetzte mit Freunden die „Konkret“-Redaktion und die jahrelang mit den gemeinsamen Zwillingstöchtern genutzte Villa, die verwüstet wurde.
Später behauptete Meinhof, dabei nicht anwesend gewesen zu sein – doch einer der Mittäter, Bernward Vesper (übrigens ehemals der Freund von Ensslin und Vater ihres Sohnes), schrieb in sein Tagebuch: „Ulrike dabei“ und fügte hinzu: „Es war ihr Haus. Sie hatte es eingerichtet, bewohnt, mit den Kindern verlassen. Sie ging darin herum wie eine Ruine.“
Nicht die letzte derartige Aktion: Die Ex-Blankeneserin Meinhof war jetzt praktisch auf einem Drogentrip, musste die Dosis ständig erhöhen, also noch radikalere Aktionen initiieren. Sie tat es, indem sie etwa versuchte, die Bewohner im West-Berliner Neubauquartier Märkisches Viertel für einen Aufstand zu begeistern. Ein Versuch, der scheitern musste, waren diese Menschen doch überwiegend glücklich, in warmen und trockenen Wohnungen leben zu können.
Meinhof verfasste mit einem Co-Autor ein „Strategiepapier zum Kampf im Märkischen Viertel“, in dem es etwa hieß: „Der Hauptwiderspruch im Viertel ist der Widerspruch zwischen der Masse seiner Bewohner, der Mieter, und der Gesobau als derjenigen Wohnungsbaugesellschaft, die zugleich Grund- und Bodeneigentümer und Eigentümer nahezu aller Bauten im Viertel ist. Hauptkapitalgeber der Gesobau ist der Berliner Senat.“
Ziemlich willkürlich versuchte Meinhof, eine Verbindung zur „großen Politik“ herzustellen: „Vorläufig lässt sich so der Zusammenhang zwischen Basisarbeit im MV und anti-US-imperialistischem Kampf nachweisen als Zusammenhang zwischen der Bautätigkeit der Gesobau und der Wohnungsbaupolitik des Berliner Senates, der Bonner Berlin-Politik und der US-amerikanischen Präsenz in Berlin, das heißt der Berlin-Politik des amerikanischen Imperialismus.“
Keine zwei Wochen nach diesem Papier ermöglichte Ulrike Meinhof die bewaffnete Befreiung des Strafgefangenen Andreas Baader, bei der ein Unbeteiligter lebensgefährlich verletzt wurde. Für sie war es der „Sprung in die Illegalität“, wie es WELT-Herausgeber Stefan Aust in seinem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ treffend nennt – die wahre Geburtsstunde der RAF.
Neben der Selbstradikalisierung Baaders, Ensslins und Meinhofs lassen sich im Umfeld der späteren RAF noch mindestens ein Dutzend ähnliche Wege von linken Aktivisten in den Terror schlüssig rekonstruieren. Die Mechanismen ähneln jenen, die gegenwärtig bei den selbst ernannten Klimaschützern zu beobachten sind. Daher ist es mindestens fahrlässig, mit Hinweis auf die Gewalttaten der Linksterroristen ab 1970 die aktuellen Vorgänge kleinzureden. Denn auch die RAF begann eben mit „Gewalt gegen Sachen“ und aktivistischen Protestaktionen.
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