Comic:Umschwärmt wie ein alter Brie

Comic: Oh, wie süß? Wie chauvinistisch! Zu den Frauen im Schatten berühmter Männer zählt Liv Strömquist auch Barbamama.

Oh, wie süß? Wie chauvinistisch! Zu den Frauen im Schatten berühmter Männer zählt Liv Strömquist auch Barbamama.

(Foto: Avant)

Liv Strömquist stößt in "I'm Every Woman" männliche VIPs vom erhöhten Sockel.

Von Catrin Lorch

Der Fernseh-Moderator zählt rückwärts; wie bei einer Fernsehshow werden "Die unsäglichsten Lover der Weltgeschichte" präsentiert. Er beginn mit Platz sieben, auf dem - "nicht ganz unerwartet" - Karl Marx steht. Mit hartem Stift hat Liv Strömquist das bekannte Bild des breitbärtigen Denkers noch einmal vereinfacht und geht auch sonst nicht zimperlich mit ihm um. "Seine Forderung, dass die Arbeiter aller Länder sich gegen ihre Ausbeuter erheben sollten, hinderte Karl Marx nicht daran, mit seinem Dienstmädchen ins Bett zu gehen", erklärt der Ansager. In der Denkblase über dem Weißhaarigen kann man unterdessen lesen: "Ich habe Lust, mich mit dieser Proletarierin zu vereinigen."

Vaginas, aus denen Sprechblasen steigen, erinnern an frühe feministische Kunst

Der jüngste Band der feministischen schwedischen Cartoonistin Liv Strömquist, deren Kulturgeschichte der Vulva "Der Ursprung der Welt" (2017) ein Skandalerfolg war, fängt mit dieser ultrafeministischen Fernsehshow an, auf deren Bühne unter anderen Percy Shelley (dessen Frau sich ertränkte, weil er mit zwei Halbschwestern durchbrannte) und Pablo Picasso ("Frauen umschwärmten ihn wie Fliegen einen alten Brie") als Kandidaten gehandelt werden. Es ist ein passendes erstes Kapitel für ein Comic-Buch, das die Welt- und die Mediengeschichte in gewohnter Sachcomicmanier, aber unter feministischen Vorzeichen neu betrachtet - und sich so lose zusammen schüttelt wie ein TV-Abend, bei dem auf den Quiz die Doku und die Nachrichten folgen: Nach Strömquist Erfolg mit "Der Ursprung der Welt" hat sie in "I'm Every Woman" nun ältere Arbeiten versammelt; überwiegend sind sie 2006 bis 2008 entstanden

Ein Kapitel erzählt, warum Kinder konservativ sind (Weil sie "Hausfrauen favorisieren" und "gegenständliche Kunst lieben"). Danach geht es um schwule Tiere und Barbapapa: "Es gibt bei Barbapapa eine Sache, die krass sozialrealistisch anmutet", heißt es, "Barbapapas Beziehung zu Barbamama! Ihre Beziehung sieht aus wie aus einem Enthüllungsbericht über Sextourismus in Kongo-Kinshasa. Also: Ein superdicker, rosaner, unförmiger Mann ist mit einer sexy schwarzen Frau zusammen." Ein weiterer Exkurs zu Geschlechterstereotypen im Comic gilt den Simpsons, zeigt Marge dick, halbnackt und biertrinkend auf dem Sofa, während Homer ihr schlank, das Baby im Arm gegenübertritt.

Die schönsten Seiten des Buchs sind die, auf denen Strömquist jede erzählerische Klammer aufgibt und sich in freien Assoziationen verliert. Dann folgen auf die beiläufig skizzierten Bildfolgen ganz unerwartet Einzelmotive - wie ein Ornament aus Vaginas aus denen Sprechblasen aufsteigen -, die an frühe feministische Kunst erinnern. Der über viele Seiten ausgebreitete Bericht über die verquaste Beziehung der Künstler Lee Krasner und Jackson Pollock endet mit einer ganzseitigen Kopie eines Selbstporträts der Künstlerin, übersetzt in die klaren Linien des Comics. Und der Satz "Wenn also die Kernfamilie so verdammt toll ist - warum braucht sie dann so viel Propaganda?" darf sogar einmal quer über die ganze Seite laufen und zitiert so die Komposition klassischer Propaganda. Wo Liv Strömquist ihren visuellen Einfällen so viel Raum gibt, gewinnt der Band an Komplexität und Tiefe - und wird zum Bilderbuch, zu einer Fibel des Feminismus.

Liv Strömquist: I'm Every Woman. Avant Verlag, Berlin 2019. 112 Seiten, 20 Euro.

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