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RÖHREN-EMBARGO Hieb ins Leere

Washington verhängte vorige Woche Sanktionen gegen deutsche Lieferanten der sowjetischen Gas-Pipeline. Die Strafen werden wirkungslos bleiben.
aus DER SPIEGEL 41/1982

Morgens um sieben beim Frühstück sprachen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein amerikanischer Kollege George Shultz in New York die Weltlage durch. Doch das Wichtigste erfuhr der Bonner Gast erst am nächsten Tag aus der »New York Times«.

Was Shultz seinem Gesprächspartner nicht erzählen wollte: Das Handelsministerium der Washingtoner Regierung hatte kurz nach Genschers Ankunft zum Schlag gegen die Deutschen ausgeholt.

Vier Unternehmen von Rhein und Ruhr kamen auf die schwarze Liste der US-Regierung und werden ab sofort nicht mehr mit amerikanischer Erdöl- und Erdgastechnologie beliefert.

Der Washingtoner Bann trifft drei Mannesmann-Firmen - die Kocks Pipeline Planungs GmbH, die Essener Hochdruck-Rohrleitungsbau GmbH und die Mannesmann Anlagenbau AG - sowie die AEG-Tochter AEG-Kanis.

Ebenso wie andere europäische Unternehmen mochten sich die deutschen Firmen nicht an ein US-Embargo für die über 5000 Kilometer lange Gas-Pipeline von Sibirien bis Bayern halten. John Brown aus England, Nuovo Pignone aus Italien und Dresser aus Frankreich hatten schon in den letzten Wochen die ersten von 125 vorgesehenen Turbinen für die Pipeline geliefert.

Alle diese Turbinen, die das Gas durch die Rohrleitungen drücken sollen, waren mit Rotoren des US-Konzerns General Electric (GE) ausgerüstet. 26 Stück hatte der amerikanische Multi rechtzeitig vor Reagans Boykott nach Europa geschafft.

Der Anlagenbauer AEG-Kanis hat noch fünf GE-Rotoren abbekommen. Vor wenigen Tagen lieferte die Essener AEG-Tochter ihre ersten zwei von insgesamt 47 Turbinen ab. Kaum hatte der deutsche Frachter »Horst Bischoff« am 3. Oktober im sowjetischen Ostseehafen Klaipeda die 128 Tonnen schwere Fracht gelöscht, da verkündeten die Amerikaner ihre Sanktionen.

Die Attacke aus Washington gegen die deutschen Firmen ist ein Hieb ins Leere.

Bis zum Jahresende wollen die Essener Maschinenbauer drei weitere Turbinen mit GE-Rotoren versandfertig machen. Danach wollen der französische Maschinenbauer Alsthom-Atlantique und der britische Turbinenkonzern Rolls-Royce für General Electric einspringen. Die Ingenieure beider Konzerne arbeiten an einem Ersatzrotor. S.131

Seit Monaten konnten sich die Turbinenbauer gegen die Sanktionen wappnen. Die Verzögerungen beim Pipelinebau werden daher nicht so gravierend sein, wie die Manager vor Wochen befürchtet hatten. AEG-Kanis rechnet damit, daß die Lieferfristen allenfalls um sechs Monate überschritten werden.

Der Streich gegen Mannesmann, allerdings, kam völlig überraschend. Washington nahm den Düsseldorfer Konzern quasi in Sippenhaft.

Keine der auf die schwarze Liste gesetzten Mannesmann-Firmen bezieht auch nur ein einziges Teil aus den USA. Warum auch: Der Düsseldorfer Konzern, Lieferant der Großrohre für die Sibirien-Pipeline, ist in der Röhrentechnologie absolut führend.

Die Amerikaner straften die Röhrenfirma allein deswegen ab, weil Mannesmann Anlagenbau in »vertraglichen Beziehungen«, so der offizielle Text des US-Handelsministeriums, zu AEG-Kanis und der staatlichen Moskauer Einkaufsgesellschaft Machinoimport steht.

Die Sanktionen gegen den Düsseldorfer Konzern sind so absurd wie wirkungslos. Die Sowjets bleiben der Hauptkunde der Röhrenfirma, Teile aus den USA werden auch zukünftig nicht benötigt. Betriebsratschef Hans Ziemek: »Die Auswirkungen der Sanktionen sind Null.«

Mehr als AEG und Mannesmann dürfte die amerikanische Attacke die Kohl-Genscher-Regierung treffen, der so viel an herzlichen Beziehungen zur Washingtoner Regierung liegt. Genscher hatte nach der Lektüre der »New York Times« Mühe, seine Enttäuschung herunterzuspielen: »Wir sind ja die einzigen, die die Sanktionen noch nicht hatten.«

S.131Am 30. 9. 1982 in Bremen.*

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