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Geschichte Hermann & Co.

Mythen, die aus den Schulbüchern verschwinden

Geschichtsbilder haben oft wenig mit der historischen Realität zu tun, sondern sind zeitbedingte Konstruktionen. Schulbuchforscher wollen ihre Rolle entschlüsseln, um sie entsorgen zu können.
Als glorreichen Kämpfer für die Einheit der Germanen stellte sich das 19. Jahrhundert den Cheruskerfürsten Arminius vor. Das war er gewiss nicht Als glorreichen Kämpfer für die Einheit der Germanen stellte sich das 19. Jahrhundert den Cheruskerfürsten Arminius vor. Das war er gewiss nicht
Als glorreichen Kämpfer für die Einheit der Germanen stellte sich das 19. Jahrhundert den Cheruskerfürsten Arminius vor. Das war er gewiss nicht
Quelle: picture alliance / akg-images/akg-images

Wer war eigentlich der erste Deutsche, historisch gesehen? Bis vor einigen Jahrzehnten war die Antwort von Schülern darauf relativ klar: Arminius der Cherusker, der von Luther Hermann (Heer + Mann) genannt wurde. Er hatte doch um Christi Geburt die germanischen Stämme geeint und dann die Römer aus Mitteleuropa verscheucht, oder? In der Varusschlacht, die vermutlich bei Kalkriese nahe Osnabrück stattgefunden hat, soll er die Grundlage der deutschen Identität gelegt haben.

Das ist der Mythos vom Ur-Deutschen. Bis in die NS-Zeit war dieser Gründungsmythos des deutschen Volkes weit verbreitet. Mit der Wiederentdeckung der Schrift „Germania“ des römischen Historikers Tacitus im 15. Jahrhundert wurden die Germanen zu den ersten Deutschen, und Arminius, der auch aus anderen antiken Texten bekannt war, wurde zu ihrem Anführer. Schon die Humanisten verlegten den Beginn der deutschen Geschichte in die römische Kaiserzeit. Spätestens die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts popularisierte dieses Bild.

„Man stellte es so dar, dass die Teilnehmer der Varusschlacht direkte Vorfahren der Deutschen waren“, sagt Björn Onken, Historiker an der Universität Duisburg-Essen. Um den Nationalismus zu stärken, sei diese Geschichte ganz bewusst eingesetzt worden. Aus den Schulbüchern sei der Mythos endgültig erst in den 1990er-Jahren verschwunden.

Mythen wie diese haben immer eine Funktion. „Sie sind identitäts- und sinnstiftend oder sie legitimieren politische Ordnungen“, sagt Susanne Grindel vom Georg-Eckert-Institut (GEI) für internationale Schulbuchforschung. Gerade in Krisen- und Umbruchzeiten sollen sie Zugehörigkeit erzeugen. Dadurch fanden Mythen den Weg in Schulbücher und prägten das Geschichtsbewusstsein von Generationen. Das geht nur schwer aus den Köpfen wieder raus.

Die deutsche Nationalbewegung setzte Hermann das monumentale Denkmal bei Detmold
Die deutsche Nationalbewegung setzte Hermann das monumentale Denkmal bei Detmold
Quelle: dpa/os_ant jol

Geschichtsmythen in Europa – Chancen und Herausforderungen im Geschichtsunterricht“ ist das Thema der Tagung, das am Freitag und Samstag Historiker, Didaktiker und Pädagogen im GEI in Braunschweig versammelt. Ziel ist es, die Rolle von Mythen in Schulbüchern zu entschlüsseln und Wege zu ihrer Entzauberung zu finden.

Dabei sind inzwischen viele Mythen aus dem Unterricht verschwunden. „Es ist nicht so, dass die Geschichtsbücher hoffnungslos veraltete Geschichten tradieren und Mythen weitergeben“, sagt Grindel. Allerdings seien auch heute noch Reste von Mythen in Schulbüchern zu finden: „Unbeabsichtigt übrig geblieben.“

In manchen Schulbüchern blitzten bei der Kolonialgeschichte zum Beispiel Restbestände des Mythos vom hoffnungslos abgeschlagenen Kontinent Afrika auf. Das sei der Vereinfachung für jüngere Schüler geschuldet, sagt Grindel. „Differenzierter wird es oft erst in der Oberstufe.“

Auch der sogenannte Führer-Mythos sei nach dem Krieg nur langsam aus den Schulbüchern verschwunden, sagt Christoph Kühberger von der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Dabei geht es um ein bestimmtes Bild von der NS-Zeit. „Das sind Erzählungen, die Adolf Hitler zum wichtigsten Motor dieser Zeit machen.“ Dadurch sei bei Schülern das Bild entstanden, dass die Gesamtverantwortung für die Verbrechen bei Hitler und einem kleinen Führungszirkel lag.

Aus dem Nationalsozialismus sei in vielen Schulbüchern Hitler-Deutschland geworden. Bis heute werde eine wahnsinnige, kriminell handelnde Elite verantwortlich gemacht, sagt Kühberger. „Man schaut sehr unkritisch hin, wer eigentlich handelt.“ Die Forschung sei nun aber breiter aufgestellt, sagt Kühberger. „Man weiß natürlich, dass nicht einige wenige Menschen verantwortlich sind, sondern dass breiteste Schichten involviert waren.“

Auch den Mythos von Arminius/Hermann, dem Ur-Deutschen, haben die Historiker entkräftet. Es habe damals überhaupt kein deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben, sagt Onken. Das komme frühestens tausend Jahre später auf. Dazwischen habe es die große Völkerwanderung gegeben. „Da sind unglaublich viele Germanen auf der Wanderschaft.“ Man wüsste deshalb gar nicht genau, welche Nachfahren der Kämpfer von Arminius in dieser Zeit nicht ausgewandert sind.

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