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Betrüger Gert Postel verdiente 44 000 Mark mit Gutachten

In Leipzig hat der Prozeß gegen den ehemaligen Postboten, Arzt und Psychiater begonnen - In Sachsen ist der Hochstapler eine Kultfigur

Von Michael Mielke


Leipzig - Straftäter haben meist eine besondere Affinität zum Tatort. Nicht selten sollen sie ihn sogar noch einmal aufsuchen. Auch bei Gert Postel, der sich wegen Betruges, Urkundenfälschung und Amtsanmaßungen vor dem Landgericht Leipzig verantworten muß, ist zum Tatort zurückgekehrt. Allerdings kam der notorische Hochstapler, der im gleichen Hause vor gar nicht langer Zeit als forensischer Psychiater auftrat, nicht ganz freiwillig. Und so weht dann auch ein Lachen durch den Saal, als der Vorsitzende Richter Erich Drath zu dem seit Mai in Untersuchungshaft sitzenden Postel sagt: "Ich sehe, Sie sind erschienen."Staatsanwalt Michael Dahns benötigt fast eine halbe Stunde, um die gefälschten Zeugnisse und die von Postel in knapp zwei Jahren als Oberarzt im Psychiatrischen Krankenhaus Zschadraß erstellten oder zumindest unterschriebenen Gutachten aufzulisten. Während dieser "Amtszeit" hat Postel mehr als 200 000 Mark an Gehältern eingestrichen und knapp 44 000 für die Gutachten.Postel - sehr groß, schlaksig wirkend, das Haar ist während der Haftzeit dünner geworden - verzog sich schon beim Hereinkommen in den Saal hinter einem stillen Lächeln. Er soll vor dem Prozeß, wie Richter Drath mitteilt, sogar beantragt haben, daß im Gerichtssaal nicht gefilmt oder fotografiert werden dürfe. Allerdings vergeblich. Das Interesse an diesem Fall, so Drath, sei zu groß. Der Ansturm der zahlreichen Kamerateams und Fotoreporter, die den Angeklagten umlagern, bestätigt das. Postel, der leitende Ärzte und Personalchefs in Serie narrte, ist in Sachsen Kult.Ein Radiosender zitierte am Morgen vor der Verhandlung Zellengenossen des Hochstaplers: Postel sei nicht sehr beliebt, er wisse immer alles besser. Und direkt vor dem Eingang des Landgerichts verteilten als OP-Schwestern verkleidete junge Leute Werbekarten einer Chemnitzer Veranstaltungsagentur: Auf der Vorderseite sind vier Männer mit erhobenen Armen und der an Postels einschlägige Vorstrafe aus dem Jahr 1984 erinnernde Namenszug "Dr. Dr. Bartholdy" abgebildet, hinten stehen die Termine. Im Landgericht selbst müssen zahlreiche Leipziger unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen.Der Saal ist proppenvoll. "Ist ja wie früher beim Gewandhaus", murrt ein frustrierter Besucher. Er habe doch sogar angerufen und quasi vorbestellt. Seine Erwartungen indes wären vermutlich ohnehin enttäuscht worden. Es wird - zumindest an diesem ersten Verhandlungstag - keine eloquenten, witzigen, Geltungsbedürfnis verratenden Reden des Angeklagten geben. Einmal nur huscht ein Lachen durch den Saal: als Richter Drath dem Angeklagten die obligatorische Frage nach dem Beruf stellt und Postel widerstrebend, die Silben verschluckend, antwortet: "Ich habe den Beruf eines Postboten erlernt." Ansonsten will er "zunächst, jedenfalls hier, nichts sagen".Und so beginnt der Prozeß mit Bürokratie. Ein weiteres noch offenes Verfahren des Berliner Amtsgerichts Tiergarten wird dem aktuellen hinzugefügt. Wieder geht es um Hochstapeleien. Postel hatte sich 1994 erst beim Berufsbildungswerk Berlin-Brandenburg, später beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen und Bayern und bei der Landesversicherungsanstalt Württemberg beworben. Jedesmal als Dr. med. In Berlin und Stuttgart hatte er auch ein paar Tage als Psychiater gearbeitet. Sein Mandant sei dann jedesmal von sich aus zurückgetreten, wird aus einem Brief des Berliner Strafverteidigers Nicolas Becker zitiert, weil er den Kollegen im jeweiligen medizinischen Dienst menschlich zu nahe gekommen sei. Postel habe Enttäuschungen vermeiden wollen. Zur Strafanzeige war es dennoch gekommen, weil just in jener Zeit in einem Magazin ein Artikel über den Hochstapler erschien. Und wie später in Zschadraß hatte sich Postel - über den es als Hochstapler sogar schon ein Buch gab - auch 1994 jedesmal mit seinem richtigen Namen beworben. Vielleicht war dieser Nervenkitzel für ihn ja der eigentliche "Kick". Das Gericht hat mit Norbert Leygraf einen renommierten forensischen Psychiater für Postels Begutachtung gewonnen. Vielleicht wird er ja Aufklärung über den "Kollegen" geben können.

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