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NIBELUNGEN Siegfried gesucht

aus DER SPIEGEL 13/1961

Nebel wallen über die Leinwand. In spukhafter Urlandschaft trabt ein weißes Roß, das einen Jüngling mit entblößtem Oberkörper und dichtem Blondschopf trägt: den Recken Siegfried.

Eine moderne Version dieser Lichtspielszene, die vor fast vier Jahrzehnten in den Stummfilm-Kinos zu sehen war, soll demnächst westdeutschen Kinogehern feilgeboten werden. So will es der Berliner Filmproduzent Artur Brauner. Weder die Schelte der Kritiker ("Filmpress": »Das muß uns jetzt passieren!") noch der Verriß anderer Stummfilm -Aufgüsse ("Das Indische Grabmal«, »Herrin der Welt") vermögen ihn von dem aufwendigen Vorhaben abzubringen, »Die Nibelungen« in zwei Teilen neu zu verfilmen.

Da deutsche Schulmeister und Literarhistoriker die blutrünstige Heldengeschichte über Generationen als »deutsches Nationalepos« gepriesen haben (Nibelungen-Neutexter Simrock: »Der größte Hort unseres Volkes"), glaubt Brauner mit seinem Film zumindest in der Bundesrepublik reüssieren zu können. »Das Nibelungenlied«, hieß es in einer ironischen Nibelungen-Betrachtung kürzlich, »hat seinen festen Platz in der Literaturgeschichte und im deutschen Unterbewußtsein.«

Auch in früheren Jahrhunderten gingen die Meinungen über das Heldenlied auseinander. Friedrich der Große etwa fand, die Recken-Reime seien »elendes Zeug« und »keinen Schuß Pulver wert«. Heinrich Heine hingegen bewunderte die »große gewaltige Kraft« der Nibelungen-Dichtung: »Eine Sprache von Stein, und die Verse sind gleichsam gereimte Quadern.«

Als kinematographischer Steinmetz betätigte sich denn auch der deutsche Regisseur Fritz Lang, als er im Jahre 1923 Kriemhildens Biographie zu einem zweiteiligen Stummfilm verarbeitete. Nach zweijähriger Vorbereitung schuf er in siebenmonatiger Drehzeit, was die Kritiker später als »bewegte Bildhauerei und Architektur« einstuften: Der halb mittelalterliche, halb expressionistische Dekor wurde bestimmt durch Monumentaltreppen, Mörtel-Kathedralen und gewaltige Gipsbäume.

In dieser großräumigen, feierlichen Szenerie bewegte Lang »zu dekorativen Versatzstücken herabgewürdigte Menschheit« (Filmhistoriker Siegfried Kracauer). So schrumpften Siegfrieds Mannen beim Einzug in König Gunthers Palast auf einer mächtigen Brücke zu winzigen Figuren am oberen Bildrand zusammen; aneinandergekettete Zwerge bildeten den Sockel einer Schatzurne; Brunhilde schritt über einen Landesteg aus Schildträgern, die bis, zur Brust im Wässer standen.

Das kunstvolle Bild-Pathos verhalf dem Nibelungen-Stummfilm zwar zu einem Welterfolg, wurde aber später von den Filmhistorikern, etwa dem Franzosen Georges Sadoul, als »Vorspiel zum Pomp der Nürnberger Paraden« gewertet. Der renommierte Kritiker meinte in dem von Leni Riefenstahl verfertigten NS-Parteitag-Film »Triumph des Willens« die gleiche »architektonische Elephantiasis« entdecken zu können.

Tatsache ist, daß der Film das deutsche Nationalbewußtsein anhob. Den Schulen

wurde der Besuch der »Nibelungen« gar zur Pflicht gemacht. Der Filmbuch-Verfasser Ernst Johann konstatierte zwar, daß sich Regisseur Fritz Lang von derartigen Wirkungen »nichts (habe) träumen« lassen. Aber: »Dennoch trugen nicht einmal die späteren 'Fridericus -Rex'-Filme so viel wie die 'Nibelungen' dazu bei, die Ufa zu einem Hort nationaler Hochstimmung zu machen.«

So rieten auch die westdeutschen Filmkritiker dem Berliner Produzenten Brauner von dem »abseitigen Schauerstück« ("Filmpress") ab, als der Filmhersteller 1959 seine Absicht kundtat, »Die Nibelungen« neu zu verfilmen.

Brauner mochte jedoch das Projekt nicht aufgeben. Um sicherzugehen, beauftragte er das Allensbacher Institut für Meinungsforschung auszukundschaften, ob es das deutsche Kinopublikum nach einem neuen Nibelungen-Film-gelüste. Resultat: Jeder dritte bundesdeutsche Kinobesucher wünscht sich »Die Nibelungen«.

Ein Rückschlag für Brauner war, daß sich der Regisseur der Stummfilmfassung, der heute 70jährige Fritz Lang, weigerte, wiederum die Regie zu übernehmen ("Das geht heute nicht mehr"). Doch ungeachtet der Tatsache, daß er vorerst keinen Ersatzregisseur verpflichten konnte, beauftragte Brauner den Schriftsteller Gerhard Menzel, eine Drehvorlage auszuarbeiten.

Menzels Rezept: »Langs Film ist unschlagbar. Ich mache es anders: ohne jeden Zauber, mit kleiner Besetzung. Eine ganze Reihe Figuren ist schon herausgeflogen.« Auch beschied der Autor den Produzenten Brauner, daß er sich den Drachen »nicht größer als eine Echse im Zoo« wünsche.

Eine originelle Besetzung hat der Produzent mittlerweile beisammen: das Lysistrata-Gespann Romy Schneider (Kriemhild) und Barbara Rütting (Brunhild) sowie Gert Fröbe (Hagen) und Walter Reyer (Gunther). Den Siegfried-Part sollte ursprünglich der Amerikaner Jerome Courtland übernehmen, doch westdeutsche Verleihfirmen ließen wissen: Nur ein Deutscher könne diese Rolle verkörpern.

Brauner: »Es gibt hier keinen Siegfried mehr! Gebt mir einen deutschen Siegfried, und ich fange an.«

Stummfilm »Die- Nibelungen« (1923)*: Noch einmal mit kleiner Besetzung

* Paul Richter als Siegfried, Georg John als Schmied Mime.

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