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  3. Tannenberg 1914: Konfus gelang der größte deutsche Sieg im Ersten Weltkrieg

Geschichte Schlacht bei Tannenberg 1914

Der berühmte deutsche Sieg war eine Abfolge von Fehlern und Zufällen

Die Einschließung und Vernichtung einer russischen Armee durch die deutschen Truppen in Ostpreußen 1914 gilt noch immer als Musterbeispiel überlegener Feldherrnkunst. Die Revision der Quellen bietet jedoch ein völlig anderes Bild.
Freier Autor Geschichte
The Battle of Tannenberg, August 1914. Private Collection. The Battle of Tannenberg, August 1914. Private Collection.
Deutsche Infanterie stoppt eine russische Attacke: So stellte man sich das Kriegsgeschehen 1914 in Ostpreußen vor
Quelle: picture alliance / Heritage-Imag
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Für den russischen Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn war der Fall klar: „Tag für Tag führten die Deutschen den Krieg mit einer zentral gelenkten Armee“, schrieb er in seinem Roman „August 14“. Darin geht es um die Schlacht bei Tannenberg, in der die deutsche Armee im Sommer 1914 die russische Invasion Ostpreußens stoppte und in der sein Vater mitgekämpft hat. Noch heute wird dem Treffen gern eine welthistorische Dimension zugeschrieben. Man vergleicht es mit Cannae, wo der Karthager Hannibal 216 v. Chr. zwei überlegene römische Armeen einkesselte und vernichtete.

Umso erstaunlicher ist daher das Fazit, das John Zimmermann in seiner Studie „Tannenberg 1914. Der Erste Weltkrieg in Ostpreußen“ (De Gruyter, 2022) zieht: „Jener große Sieg … war nicht irgendeinem großen Plan geschuldet.“ Es sei sogar schwierig, „überhaupt von einem Plan zu sprechen“. Der Historiker am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam hat diese „Meistererzählung“ einer radikalen Revision unterzogen. Nicht als Beispiel für eine geniale Operation taugen danach die Ereignisse, sondern allenfalls als eine Ansammlung von Friktionen, wie der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz das Wirken unvorhersehbarer Zufälle im Krieg genannt hat.

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wollte die deutsche Oberste Heeresleitung nach dem Schlieffen-Plan innerhalb von acht Wochen Frankreich besiegen. In dieser Zeit sollte eine einzige Armee den Schutz der Ostgrenze übernehmen, wo man einen langsamen Aufmarsch der russischen Truppen erwartete. Das Gegenteil war der Fall. Bereits nach 14 Tagen begannen zwei zarische Armeen ihre Invasion Ostpreußens.

Die deutsche 8. Armee trat zunächst der nördlichen russischen 1. Armee des Generals Paul von Rennenkampff entgegen, wurde aber zurückgeschlagen. Daraufhin begann der deutsche Oberbefehlshaber Max von Prittwitz und Gaffron – wie im Schlieffen-Plan festgelegt – mit dem Rückzug hinter die Weichsel. Aufgebrachte Junker und Gerüchte von russischen Gräueln unter der Zivilbevölkerung sorgten jedoch dafür, dass das deutsche Hauptquartier zwei Armeekorps aus dem Westen abzog und Prittwitz durch den reaktivierten General Paul von Hindenburg und seinen Stabschef Erich Ludendorff ersetzte.

Die geschlagenen deutschen Truppen bei Gumbinnen wurden auf Allenstein dirigiert
Die geschlagenen deutschen Truppen bei Gumbinnen wurden auf Allenstein dirigiert
Quelle: Infografik WELT

Als diese in Ostpreußen eintrafen, hatte Prittwitz’ Stab den Rückzug bereits gestoppt. Da Rennenkampff keine Anstalten machte, seinen Vormarsch auf Königsberg wieder aufzunehmen, wurden die Korps der 8. Armee mit der Eisenbahn gegen die 2. russische Armee von Alexander Samsonow in Stellung gebracht, die von Süden auf Allenstein vorrückte. Zwischen beiden zarischen Großverbänden lag wie ein Riegel die Masurische Seenplatte, die ein koordiniertes Vorgehen der Invasionstruppen verhinderte.

So konnten die deutschen Divisionen unbemerkt gegen Samsonow aufmarschieren. Während dessen Zentrum immer weiter nach Norden zog, brachen die Deutschen in seine Flanken und umfassten damit große Teile seiner Armee. Am 30. August erschoss sich ihr Oberbefehlshaber, 92.000 Soldaten des Zaren gingen in Gefangenschaft, bald darauf musste Rennenkampff den Rückweg antreten.

Dass diese einzige weiträumige und schnell geschlagene Umfassungsschlacht des Ersten Weltkriegs bald zum Mythos wurde, hat viele Gründe. Zum einen unterschied sie sich deutlich von den monatelangen Materialschlachten des Grabenkrieges im Westen mit Hunderttausenden Toten. Zudem bot sie nach dem Scheitern des Schlieffen-Plans ein strahlendes Beispiel für die Überlegenheit der deutschen Generalität, das umgehend zwei Akteure zu Helden machte. Nicht umsonst konnte Hindenburg durchsetzen, dass als Ort der Schlacht nicht der Raum Allenstein genannt wurde, sondern Tannenberg, wo ein polnisch-litauisches Heer den Deutschen Orden im Jahr 1410 vernichtend geschlagen hatte. So konnten die Deutschen den Sieg auch als Triumph über das Slawentum propagandistisch verwerten.

Das Duo Hindenburg/Ludendorff stieg zum Oberbefehlshaber Ost auf, übernahm 1916 die Oberste Heeresleitung und damit faktisch die Herrschaft über das Reich. 1925 wurde der greise Feldmarschall Hindenburg sogar mit den Stimmen der Demokraten zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. Im gleichen Jahr veröffentlichte das Reichsarchiv seine Darstellung der Schlacht. Die darin ausgebreitete „Meistererzählung“ passte in die Zeit und trat ihre steile Karriere an.

Hindenburg (3. v. l.) und Ludendorff (2. v. r.) 1914. Unten: deutsche Kolonne in Ostpreußen
Paul von Hindenburg (M.) und sein Stabschef Erich Ludendorff (2. v. r.) 1914 in Ostpreußen
Quelle: picture-alliance / IMAGNO/Austri

Der folgt auch John Zimmermann bis in feine Verästelungen und stellt dabei die überlieferten Fakten auf den Prüfstand. So wurden die Befehle zur Umgruppierung der 8. Armee nicht von Hindenburg/Ludendorff gegeben. Sie begnügten sich vielmehr mit der Bestätigung der Anweisungen, die noch der Stab von Prittwitz ausgearbeitet hatte, wobei er sich an früheren Kriegsspielen orientierte. Die einzige Unsicherheit dabei war nur, ob Rennenkampff in Untätigkeit verharren oder plötzlich im Rücken der Deutschen erscheinen würde. Als dessen Passivität zu erkennen war – eine alte Fehde mit Samsonow soll dazu beigetragen haben –, konnte Ludendorff seine Pläne machen.

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Als entscheidend für den Erfolg erwies sich jedoch, dass sich „eigentlich niemand so recht an die Befehle hielt“, lautet Zimmermanns drastisches Urteil. Denn anstatt die Flügel zu verstärken, um die russische 2. Armee einzuschließen, und das eigene Zentrum zu stoppen, gab Ludendorff diesem den Befehl zum Vorrücken. Doch seine Korpskommandeure führten ihren eigenen Krieg.

Hermann von François etwa verzögerte mit seinem I. Armeekorps den Angriff so lange, bis er Samsonows wankende Zentralfront nicht nur in die linke Flanke fallen, sondern ihm auch den Rückzug abschneiden konnte. Weiter im Osten brach General Otto von Below seinen Vorstoß auf Allenstein ab und schlug unautorisiert eine Bresche in die rechte Flanke der zarischen Armee. Damit schloss sich die Falle um Samsonows zentrales Korps.

Dass Hindenburg/Ludendorff ihre Unterführer „nie wirklich unter Kontrolle“ bekamen, hing zum einen mit der „selbstherrlichen Stellung der Kommandierenden Generale innerhalb der deutschen militärischen Hierarchie“ zusammen, zum anderen mit den heiklen Nachrichtenverbindungen. Anders als die Darstellung von Reichsarchiv und Solschenizyn glauben machen, kann Zimmermann zahlreiche Beispiele für gestörte Kommunikation anführen. Oft genug wussten die beiden Armeeführer nicht, wo ihre Untergebenen waren und was sie taten.

Das war jedoch auch auf der Gegenseite der Fall. Zwar hatte das Zarenreich nach seiner Niederlage im Krieg gegen Japan 1905 große Anstrengungen unternommen, seine Armee zu modernisieren. Aber es fehlte an erfahrenen Offizieren. Funksprüche und Telegramme wurden im Klartext abgegeben – die Deutschen konnten deshalb mitlesen. Schwere Artillerie war kaum vorhanden, und die Zünder der leichten Geschütze versagten im Sand Ostpreußens.

Auch zeigte der Untergang von Samsonows Armee die Grenzen auf, die die Logistik den Soldaten des Ersten Weltkriegs setzte. Die Bahnhöfe für die Versorgungszüge endeten weit vor der deutschen Grenze in Russisch-Polen, sodass der Nachschub über viele Kilometer herangeschafft werden musste. Der Tross, ohnehin schon überlastet, musste zudem die zahlreichen Kavalleriedivisionen verpflegen, mit denen die russischen Armeen ausgestattet waren. Das sollten allerdings auch die Deutschen erfahren, als sie im Jahr darauf den Krieg nach Russland trugen.

Der Mythos von Tannenberg überstieg „um ein Vielfaches die tatsächliche Bedeutung dieser Schlacht“, resümiert Zimmermann. Zwar zeigten zarische Generale von da an wiederholt übertriebenen Respekt vor ihren deutschen Gegnern. Aber die schweren Niederlagen, die die Österreicher in Galizien gegen die russischen Armeen hinnehmen mussten, glichen dies nicht nur aus, sondern zwangen die deutsche Führung auch, immer neue Truppen an die Ostfront zu schicken.

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