Mehr als Superhero-Geschichten:Drucksache

135 Ausgaben gibt es mittlerweile vom "Strapazin". Herbert Meiler hat es nach der Pleite des Stadtmagazins "Blatt" mitgegründet - eine Erfolgsgeschichte in der deutschsprachigen Comicszene

Von Sabine Buchwald

Es steckt mehr Zürich als München in Strapazin . Das hat sich in den vergangenen 35 Jahren so entwickelt. Herbert Meiler gefällt das nicht so recht, aber er ist keiner, der nörgelt. Er schätzt die Schweizer, ohne deren Strukturen das Comicmagazin womöglich nicht überdauert hätte und auch nicht ewig weitermachen könnte. Seinen Ursprung aber hat das Strapazin dort, wo 1973 das Blatt gegründet wurde, das legendäre alternative Münchner Straßenmagazin, Vorbild für viele andere Subkultur-Hefte. Elf Jahre belebte es mit frechen Kleinanzeigen und provokanten politischen Texten die Presselandschaft im CSU regierten Bayern. Als das Blatt im Juni 1984 pleite ging, entstand aus dem Tränensee um diesen Verlust ein Teich, in dem einige der kreativen Blattmacher zu neuen Ufern aufbrachen: in Richtung gezeichnete Geschichten. So auch Herbert Meiler.

T-Shirt, Pulli, eine schmale Jeans, Meiler hat die Figur eines Jugendlichen. Seine 59 Lebensjahre haben sich an seinem langen Körper nirgends angesetzt. Aus einem Lederbeutel zwirbelt er sich Tabak für dünne Zigaretten zurecht. Damit verrät sich, aus welcher Generation er stammt. Man kann sich vorstellen, wie sie damals beim Blatt in Rauchschwaden saßen und diskutierten. Meiler kam über die Mitbewohner seiner WG im Westend dazu. Er hat damals Layout gemacht, sich um den Vertrieb gekümmert. "Alles, was so anfiel." Bis heute ist er ein Macher, weder Schreiber, noch Zeichner.

Nach der Schulzeit hat er Bootsbauer gelernt. Die erhoffte Schreinerlehre fand sich nicht. Im Arbeitsamt, so hieß die offizielle Jobvermittlung damals, gab es nur die Stelle am Starnberger See. Drei Jahre Lehre mit Blockunterricht in Travemünde in der Berufsschule. Mit den Lehrern Segeln gehen, gehörte mit zur Ausbildung. Meiler hat heute ein Holzboot am Wörthsee liegen. In diesem Sommer werde er wohl kaum zum Segeln kommen, meint er. Zu viel zu tun.

Mehr als Superhero-Geschichten: Herbert Meiler in seinem Ladenbüro in Sendling. Hier gibt es die Ausgaben von "Strapazin".

Herbert Meiler in seinem Ladenbüro in Sendling. Hier gibt es die Ausgaben von "Strapazin".

(Foto: Robert Haas)

Ihn erwischt man nicht so leicht. Er arbeitet für eine Messebaufirma, die auch im Ausland tätig ist. Das sichert ihm den Lebensunterhalt. Von Strapazin fällt nichts ab, was dazu beisteuern könnte. Er habe immer geschaut, dass wenigstens die Druckkosten gedeckt seien, sagt Meiler. Und sie können Honorare für die Zeichner, zahlen. Darauf ist er stolz. Nicht davon leben zu müssen, gewährt Freiheiten. "Wir müssen nichts machen, was erfolgversprechend ist", sagt Meiler. Er grinst und zieht an seiner Selbstgedrehten. Das Heft sei eine Spielwiese. Einmal in jeder Jahreszeit. Er würde sich am liebsten nur mit Gedrucktem beschäftigen. Vielleicht später mal, wenn die körperliche Arbeit auf Messen zu anstrengend wird? Meiler nickt. Er könnte das Sortiment an Comicbüchern erweitern, die er hier in seinem Ladenbüro ausliegen hat. Das Büro in der Daiserstraße 5, offizieller Sitz des Meiler Verlags, ist auch die Adresse der Münchner Redaktion von Strapazin. Schönstes Untersendling. Nebendran, wo ein Hollerbusch wächst, gibt es Biolebensmittel und schräg gegenüber eine feine inhabergeführte Buchhandlung. Seiner Bodenständigkeit und dem Eigentümer verdankt er einen anständigen Mietpreis.

In den hohen Schaufenstern liegen Graphic Novels von den Berliner Verlagen Avant und Reprodukt, von der Zürcher Edition Moderne und andere hochwertige gebundene Comics. Keine Superhero-Geschichten, nichts von Micky Maus. In einer Kiste stehen limitierte Drucke, dazu ein paar Geschenkpapiere und Postkarten. Natürlich Ausgaben von Strapazin. Die aktuelle Nummer ganz oben auf. Hier gibt es auch die querformatigen Küken-und-Maus-Bände mit dem quietschgelben Federkind und dem grauen Nager auf dem Cover, erfunden von den Münchner Zeichnern Steffen Haas und Gunter Hansen. Meiler verlegt deren Bücher. In diesen Tagen erscheint ein neues. Anders als Bioladen und Buchhandel hat Meiler keine festen Öffnungszeiten. Bisweilen stemmt man sich vergebens gegen die Glastür. Seine Frau, Angelika Siebenländer, arbeitet als Grafikgestalterin viel vom Schreibtisch in der Daiserstraße. Aber eben nicht immer.

Meiler gehört zu den Menschen, die lieber im Hintergrund bleiben. Er redet ungern über sich selbst, diskutiert über Themen lieber im Plenum. Er sei einer, der mit einfachen Mitteln viel gestalten könne, der Probleme erkenne und schnell löse, sagt Heiner Lünstedt über ihn. Lünstedt leitet seit Jahren das Münchner Comicfestival mit einem Helferteam, zu dem auch Meiler gehört. "Man weiß, dass es klappt, wenn er dabei ist", sagt Lünstedt. Größere Komplimente vergibt der Hanseat nur Peyo, Morris oder anderen Weltklasse-Zeichnern.

Mehr als Superhero-Geschichten: „Strapazin“ erschien im Jahr 1984 zum ersten Mal.

„Strapazin“ erschien im Jahr 1984 zum ersten Mal.

(Foto: Privat)

Meiler wird dieses Jahr wieder die Logistik für den Aufbau in der Alten Kongresshalle übernehmen. Das heißt für ihn: Tische mit Molton überziehen, Zwischenwände für die Stände aufbauen, Ausstellungen konzipieren und Vitrinen aufstellen. Wenn mehr Platz zur Verfügung stünde, sagt er, könnte er sich mehr einfallen lassen, um die Originale witziger zu präsentieren. Für Frank Schmolkes neues Buch "Nachts im Paradies" über die Erlebnisse eines Münchner Taxifahrers hat er zum Beispiel das Rückfenster eines Mercedes-Taxis nachgebaut. Durch das kann man die Skizzenbücher betrachten. Sie werden im Ausstellungs-Satelliten "Köşk" zu sehen sein.

Meiler erwähnt solche Ideen ganz nebenbei. Man sitzt mit ihm bei der zweiten Tasse Kaffee im Hinterraum seines Ladens. Auf dem Tisch liegt die Nummer 135 von Strapazin. Es ist ein Reportagenheft. Meilers Lieblingsthema, wie er sagt. 98 Seiten mit Besprechungen von Comics ("Pflichtlektüre") und jede Menge Geschichten. Etwa die der jungen Argentinierin Maria Luque, die in die Schweiz geht und sich darüber wundert, warum die Menschen dort so rücksichtsvoll sind. Oder von Hannah Brinkmann, die von einer Flugzeugentführung in den USA erzählt. Brinkmann studiert bei Anke Feuchtenberger in Hamburg. Auch die Professorin hat schon im Strapazin veröffentlicht.

Das erste Heft erschien 1984 zum Comicsalon in Erlangen. Der Untertitel: Magazin für Strapazierfähige. So erklärt sich der Titel. Vorne drauf eine Frau mit wilder Turmfrisur, die ihren Bizeps zeigt. Im Inneren Bilder unter anderem von dem Belgier Kamagurka, den Argentiniern Jose Muñoz und Carlos Sampayo sowie Ralf König. Dessen Name stand damals noch an letzter Stelle auf dem Cover, doch seine Geschichte ironisch männerliebend wie heute.

In der Redaktion war damals schon Pierre Thomé dabei. Ein Luxemburger mit Schweizer Verbindungen. Sie wollten eine Mischung aus deutschen, Schweizer und internationalen Künstlern, sagt Meiler. Immer wieder habe man sich gefragt: "Was soll das überhaupt? Braucht es so ein Magazin?" Sie haben einfach weitergemacht. David Basler, Pierre Pitterle, Siebenländer, als Verlagsleiter Lawrence Grimm und andere. Man trifft sich ein paar Mal im Jahr, mal hier, mal dort. Nächste Woche reisen die Schweizer zum Comicfestival an.

Jedes Heft wird von einem anderen Zeichner konzipiert. Anfangs hatte jede Ausgabe ihre eigene Typografie. Es gibt "gemischte Nummern", die ohne ein festes Thema Geschichten aneinanderreihen. Und Themenhefte wie das aktuelle. Eine von Meilers Aufgaben ist der Versand. Weltweit, bis nach Japan. Das Porto ist hier günstiger als in der Schweiz. Goethe-Institute, Kunsthochschulen, Zeichner und Comicfans haben Strapazin abonniert für 28 Euro im Jahr. Die Einzelausgabe kostet acht Euro oder zwölf Schweizer Franken. Die Auflage liegt bei 2000 Stück. An Bahnhofskiosken ist das Heft kaum noch zu finden, weil das Sortiment so genormt ist. Ohne Zuschuss vom Schweizer Handelskonzern Migros wäre die Produktion wohl schwierig. Deshalb steckt in Strapazin ein bisschen mehr Zürich als München.

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