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Kultur Serie „The Boys“

Die Welt ist schlecht. Die Superhelden sind es auch

Redakteur Feuilleton
„The Boys“ - wenn Superhelden zu Schurken werden

Die Amazon-Prime-Serie „The Boys“ zeigt, was passiert, wenn Superhelden ihre Superkräfte missbrauchen, anstatt Gutes zu tun. Die Machtlosen „The Boys“ stellen sich gegen die Übermächtigen und versuchen die Wahrheit über "The Seven" ans Licht zu bringen.

Quelle: WELT

Autoplay
Was wäre, wenn es Spider-Man und Co. tatsächlich gäbe und Marvel die Weltpolizei organisiert. „The Boys“ spielt das durch. Böse und lustig und gegenwärtig. Die Serie ist das Beste, was sich gegenwärtig streamen lässt.

Würde man mit Mitteln der Küchenpsychologie versuchen, den gegenwärtigen Erfolg der Superhelden im Kino zu erklären, würde man dahinter eine Sehnsucht vermuten. Nach allmächtigen, in allen Belangen besseren Wesen, die es irgendwie doch noch schaffen, das Durcheinandertal, das wir Menschen aus der Welt gemacht haben, irgendwie zu retten.

Das ist natürlich Quatsch. Superhelden sind auch nur Menschen, wer immer noch an eine Liga der ganz besonders integren Gentlemen und -women glaubt, die als moralische Anstalt der Gegenwart gegen das Böse anfliegen könnte, hat einige der besseren Superheldenfilme der vergangenen Jahre nicht gesehen. Oder ist zwölf Jahre alt.

Wer den Zwölfjährigen in sich bewahren will oder dem juvenilen Spider-Man-Abhängigen in seinem Haushalt nicht die letzten Illusionen rauben möchte, halte sich deswegen besser an die Warnungen, die Amazon seiner neuen Superhelden-Serie vorausschickt. „The Boys“ heißt die und beruht auf einem Comic des „Preacher“-Erfinders Garth Ennis, der vom Verlag mit Grund nur an erwachsene Leser abgegeben wurde.

Nicht nur, dass in „The Boys“ splitterfasernackte männliche Wesen herumlaufen, schlimme Worte benutzt und nicht wenige Figuren mit feurigen Blicken in zwei Teile zersägt oder zu so etwas Ähnlichem wie Blutsuppe zerfetzt werden.

„The Boys“ spielt vor allem in aller Ernsthaftig- und Boshaftigkeit durch, was passieren würde, wenn unsere Sehnsucht erfüllt, unsere Gebete erhört worden wären. Marvel regiert die Welt. Na ja. Fast.

WAMS KULTUR PRÜFSTANDS_THE BOYS Amazon Prime Video TheBoys_July09_Ep103_D04_JT_0401.CR2 über: Patrizia Fauster
Immer nur lächeln: Superheld sein ist ganz schön anstrengend. Dominique McElligott als Queen Maeve und Antony Starr als Homelander
Quelle: Photo: Jan thijs Amazon Prime Video

Marvel heißt „Vought“ bei den „Boys“. Ein Konzern, der Milliarden mit dem Merchandising von sieben Superhelden macht. Die heißen Homelander (ein Captain-America-Verschnitt mit lächerlichem Sternenbanner als Umhang, der inklusive seiner blonden Tolle so aussieht, wie sich Trump wohl tief in seinem Innern sich selbst vorstellt), Translucent (ein sexuell aufgeladener und eigentlich nackter Unsichtbarer) oder A-Train (ein Mann, der schneller läuft als sein Schatten).

Superhelden, die Superhelden in Filmen von Vought sind und im echten Leben. Worüber sie gern mal stöhnen (dauernd diese Selfies mit den Fans!).

Ihre Kräfte setzen sie rücksichtslos ein, sie verdanken diese Kräfte allerdings nicht ihrer Herkunft von seltsamen Planeten oder seltsamen Unfällen in Labors irrer Forscher, sondern der Einnahme seltsamer Substanzen.

Alle Nuancen des Dunkels

Kapitalismus und Doping sind nur ein paar jener düsteren thematischen Farben, mit denen „The Boys“ seine Gegenwartsparabel in allen Nuancen des Dunkels leuchten lässt. Um der Apokalypse, gegen die natürlich nur Voughts sieben Reiter ankämpfen können, die nötige Größe zu verschaffen und die Verpflichtung von Homelander & Cie. für die nationale und internationale Sicherheit dringlich zu machen, tut Vought zum Beispiel, was Systemkritiker gern der amerikanischen (Außen)politik vorwerfen: Sie schaffen sich ihre (superheldnahen) Gegner selbst.

WAMS KULTUR PRÜFSTANDS_THE BOYS Amazon Prime Video TheBoys_Jun04_Ep101_D10_JT_0702.RAF über: Patrizia Fauster
Der Kern der Anti-Superheldenterrortruppe: Karl Urban ist Billy Butcher (l.), Jack Quaid ist Hughie
Quelle: Photo: Jan thijs Amazon Prime Video
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Vought steht kurz davor, gegen die Zahlung von Hunderten von Millionen Dollar die Sicherheitsaufgaben der wichtigsten Städte zu übernehmen, um die Kriminalitätsrate nach unten zu bringen (Baltimore wird nicht erwähnt), da geschieht Folgendes: Hughie tritt mit seiner Freundin Robin auf die Straße. Sie wollen irgendwo Liebe machen.

Hughie ist ein ziemlich schüchterner Typ, ein Fernsehfachverkäufer. Das ist er, damit der japanische Unterhaltungsgerätegigant, dessen Filmabteilung mitverantwortlich ist für die Serie, zumindest am Anfang auch mal seine Produkte zeigen kann (was die Sache mit dem Antikapitalismus, der „The Boys“ ja so prägen soll, zumindest ein bisschen verwässert).

Rote Schlieren in der Luft

Kaum sind Hughie und Robin auf dem Bürgersteig angekommen, wischt etwas vorbei, und Hughie hält von Robin, die für Momente nicht mehr ist als ein Haufen roter Schlieren in der Luft, nur noch die Unterarme in der Hand (man sollte auf jeden Fall einen gesunden und nicht allzu belasteten Magen mitbringen für „The Boys“).

Das Etwas war A-Train. Vought bietet 45.000 Dollar Entschädigung gegen die Unterschrift von Hughie, dass er Schweigen bewahrt über den Vorfall. Eine Entschuldigung von A-Train kriegt er nicht. Der Fernsehgerätefachverkäufer ist ehrlich empört.

Da steht Billy Butcher vor ihm, schwarze Klamotten, schwarzer Bart, schwarzer Humor. Stellt sich als FBI-Agent vor, was er nicht ist. Er ist eine Art Wotan des Widerstands gegen die Superhelden-Diktatur, die sich am Horizont des Nahzukunftsamerika abzeichnet.

Good Omens – Neue Serie auf Amazon Prime

Die Apokalypse ist nah und der Dämon Crowley (David Tennant) und der Engel Aziraphale (Michael Sheen) haben alle Hände voll zu tun. Sie müssen sich schließlich auf dieses Ereignis gut vorbereiten.

Quelle: Amazon Prime

Als unser aller Sonde ins Allerheiligste der glorreichen Sieben dient Starlight, ein gottesfürchtiges Mädchen aus dem Mittleren Westen, die (auch zur Befriedigung christlicher Vought-Kunden) den vakant gewordenen Posten der zweiten Frau der Sieben übernimmt.

Was sie – von Muttern getrieben – seit der Kindheit wollte, aber einigermaßen bereut, als sich The Deep, das Unterwassersuperwesen der Superhelden, für seine Kurzeinweisung in die Geheimnisse des superheldischen Machtapparates von ihr durch gewisse sexuelle Hilfsdienste bezahlen lassen möchte.

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Bevor jetzt jemand denkt, dass er so viel Gegenwart in einer Zukunftsserie nun eher doch nicht sehen möchte und sich gähnend in die Sofaecke zurückzieht: „The Boys“ ist aus gleich mehreren Gründen die gegenwärtig aufregendste neue Serie, die sich streamen lässt.

Im Sumpf des Superheldenwesens

Weil sie sich Zeit lässt für die Suche nach psychologischer Tiefe in Superhelden und tatsächlich welche findet. Weil sie um alle Superhelden-Klischees weiß, mit ihnen spielt und sie so lange auf den Boden der Tatsachen schlägt, bis man fast Mitleid mit ihnen bekommt.

Weil sie keine Rücksicht nimmt auf das Seelenheil von Zwölfjährigen (nach der Warnung, was an Nacktheit, Explizitheit und Gewalt auf sie zukommt, sind die Eltern eben selber schuld, wenn sie einschalten, bevor die Kleinen im Bett sind).

Weil es erstens genügend Verwicklungen des Personals untereinander gibt, dass es wahrscheinlich auch für die zweite Staffel reicht, die Amazon noch vor Beginn der Streamingbereitstellung bestellt hat. Sondern dass diese Verwicklungen zweitens auch außerordentlich geschickt und dramaturgisch meisterlich aus dem Sumpf des Superheldenwesens auftauchen. Weil es auch noch verblüffend gut und böse gespielt ist.

Und weil – was inzwischen fast genauso selten geworden ist wie eine stringente Dramaturgie – „The Boys“ in einer faszinierenden, faszinierend einheitlichen Bildersprache erzählt ist.

Am Ende geht man ein bisschen vorsichtiger mit seiner Liebsten auf den Bürgersteig. Und hofft sehr, dass hinter Marvel kein finsterer Radikalkapitalist steckt, der seine feinen Avengers-Milliarden in Programme zur Heranzüchtung echter Captain Americas steckt. So eine Art Elon Musk für Superhelden.

Macht macht halt Monster schon aus Menschen. Womit wir nun doch wieder bei der Küchenpsychologie angekommen wären.

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