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Im deutschen „Stonehenge“ wurden Menschen geopfert

Das „Henge-Monument“ von Pömmelte in Sachsen-Anhalt birgt eine Sensation. Denn Opfergruben erlauben den Ausgräbern Schlüsse auf blutige Rituale und eine unglaubliche religiöse Tradition.

Was hat man in die berühmten Steinkreise von Stonehenge nicht alles hineininterpretiert. Antike Giganten sollen sie erbaut haben, Besucher von fremden Planeten, sie bildeten ein Observatorium und dienten als Kultstätte, sagen andere. In diesem Sinne machen heutzutage Zehntausende den Ort in Südengland zum Zentrum der Esoterik und Druidenseligkeit.

Hunderte von sogenannten Henge-Monumenten aus dem späten Neolithikum wurden mittlerweile in Großbritannien und auf dem Kontinent entdeckt. Ob sie allerdings wirklich Quellen positiver oder überirdischer Energie sind, wie manche glauben, ist fraglich. Seit 2005 graben Archäologen der Universität Halle-Wittenberg und des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt bei Pömmelte (Salzlandkreis) südlich von Magdeburg eine steinzeitliche Kreisgrabenanlage aus. Im Gegensatz zu den meisten anderen fanden die Forscher Spuren der Rituale, die einst hier gepflegt wurden. Dazu gehörten auch Menschenopfer.

„Pömmelte war vor über 4000 Jahren ein besonderer Ort“, sagt Projektleiter und Archäologe André Spatzier, „kein Siedlungsplatz, keine Begräbnisstätte.“ Vor allem aber: Es war das erste bekannte rituell-religiöse Bauwerk, das nacheinander von mehreren Kulturgruppen genutzt wurde, von der Jungsteinzeit bis zur frühen Bronzezeit.

Kurz nach der Friedlichen Revolution war die Anlage bei Flugprospektionen entdeckt worden. Es folgten geomagnetische Untersuchungen und schließlich Grabungen. Sie legten eine Anlage von rund 115 Metern Durchmesser frei. Von außen nach innen lagen mehrere konzentrische Palisadenringe und ein Wall. Vier Öffnungen ermöglichten den Durchgang bis in den Mittelpunkt des Kreises.

Die Sensation liegt innerhalb des eigentlichen Kreisgrabens, dessen Durchmesser 80 Meter beträgt. Hier stießen die Ausgräber in einer Tiefe von drei bis dreieinhalb Metern auf 29 Schachtgruben, die es in sich hatten: Trinkgefäße, Steinbeile und Reibesteine zum Mahlen von Getreide, daneben Tierknochen sowie Reste von Festessen, die hier offenbar stattfanden. Vor der Verwahrung in den Schächten wurden Gefäße und Beile zerstört.

Aber feuchtfröhliche Bankette waren nur die eine Seite der Medaille. Denn in den Gruben fanden sich auch andere Knochen und Schädel, solche von Kindern und Frauen. Es ist natürlich möglich, dass sie schon tot waren, als sie hier bestattet wurden, am Ort also eine Art Totenkult praktiziert wurde. Anderes ist wahrscheinlicher: „Hier wurden Menschen geopfert“, fasst Landesarchäologe Harald Meller den schauerlichen Befund nüchtern zusammen.

Durch die Öffnungen in den Palisadenringen konnte Anfang April, Anfang Mai und Anfang August sowie Ende Oktober bestimmt werden
Durch die Öffnungen in den Palisadenringen konnte Anfang April, Anfang Mai und Anfang August sowie Ende Oktober bestimmt werden
Quelle: ZB

Das Erstaunliche ist, dass die Kreisgrabenanlage von Pömmelte über 250 bis 300 Jahre, von vor 2300 bis etwa 2000 v. Chr., hinweg als Kultstätte diente, und zwar Angehörigen verschiedener Kulturen. Das zumindest zeigen die Keramikscherben, die die Forscher bergen konnten. Sie lassen sich den Schnurkeramikern (2800–2100 v. Chr.), der Glockenbecherkultur (2500–2200) und der Aunjetitzer Kultur (2200–1600) zuweisen.

Pömmelte muss für viele Generationen unterschiedlicher Herkunft von großer Bedeutung gewesen sein. Wiederholt wurden die Opfergruben offenbar geöffnet und wieder verschlossen. Der Unterhalt der Anlage und die Organisation der Feiern wirft ein Licht auf die gesellschaftliche Verfassung der Gläubigen. Offenbar erwirtschafteten diese frühen Bauern bereits ausreichende Überschüsse, sodass Spezialisten, wenn man so will, Führer und ihre Verwaltung, für derartige Aufgaben freigestellt werden konnten.

„Die Schachtgruben von Pömmelte sind einzigartig und finden auf dem europäischen Kontinent erst in viel späterer Zeit in den sogenannten Kultschächten der späten Bronze- und frühen Eisenzeit ihre nächsten Parallelen“, schreiben die an der Ausgrabung beteiligten Wissenschaftler in ihrem Forschungsbericht.

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Ähnlich wie das 150 Kilometer weiter südlich gelegene Henge-Monument von Goseck, das nach der Wintersonnenwende ausgerichtet war, diente der Ring von Pömmelte auch der Himmelsbeobachtung zum Zwecke der kalendarischen Orientierung. In großen, unregelmäßigen Abständen weisen die Palisadenringe Lücken auf. An bestimmten Tagen des Jahres scheint die Sonne dort hindurch. „Das waren besondere Tage. Unter anderem konnte Anfang April, Anfang Mai und Anfang August sowie Ende Oktober bestimmt werden“, sagt der Archäologe Spatzier.

„Die Anlage war mit Sicherheit farbig“

Die kultischen Handlungen wurden mit großer Wahrscheinlichkeit rhythmisch begleitet. Dafür sprechen akustische Messungen. Experimente ergaben, dass Klatschen oder Trommeln innerhalb der Anlage zu einem sogenannten Flatterecho führen. Der Schall kehrt dabei über zwei Flächen zum Ausgangspunkt zurück.

Nach dem Vorbild der 2500 Jahre älteren Anlage von Goseck, deren Rekonstruktion im Jahr 2005 eingeweiht wurde, haben die Wissenschaftler auch den Ring von Pömmelte rekonstruiert. Just zur Sommersonnenwende 2016 soll die neue touristische Attraktion an der Erlebnisroute „Himmelswege“, zu der auch Goseck und der Fundort der „Himmelsscheibe von Nebra“ gehört, eingeweiht werden.

Für die Palisadenringe wurden 1800 Robinienstämme gesetzt und mit farbigen Mustern versehen. „Die Anlage war auch damals mit Sicherheit farbig. Verwendet wurden Muster, die sich auch auf Keramikgefäßen aus dieser Zeit wiederfinden“, sagt Landesarchäologe Meller. Eine neun Meter hohe Aussichtsplattform bietet Besuchern einen Überblick über das gesamte Areal.

„Diese einzigartige Ringanlage steht auf einer Höhe mit Stonehenge, nur dass in Pömmelte alles aus Holz war und daher vergangen ist“, ist sich Mellers Kollege Spatzier sicher. In Sachsen-Anhalt sind bislang 24 Kreisanlagen bekannt, ihre Epoche endete während der Eisenzeit vor rund 2500 Jahren.

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