Gedenkfeier

KZ Mittelbau-Dora: Albrecht Weinberg ist einer der letzten Zeugen

Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg Foto: ddk

Albrecht Weinberg hat Anfang März seinen 100. Geburtstag gefeiert. Dennoch will er sich gemeinsam mit seiner Mitbewohnerin Gerda Dänekas aus Ostfriesland in den Harz auf den Weg machen. Er ist der einzige Vertreter der Überlebenden des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora bei Nordhausen (Thüringen), der am Montag (7. April) zur Gedenkfeier 80 Jahre nach der Befreiung kommt. »Andere sind krank und alt, die können es nicht mehr machen. Nur ich humpel noch herbei«, kommentiert er das mit ein wenig Selbstironie. Und er bedauert, dass sein Freund Jerry Wartski aus New York die beschwerliche Reise diesmal nicht antritt. Beide wurden verfolgt, weil sie Juden waren, und waren zur gleichen Zeit in dem KZ.

»Dass Albrecht Weinberg nur wenige Tage nach seinem 100. Geburtstag die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und Nordhausen besucht, erfüllt uns mit großer Freude und Dankbarkeit«, sagt Gedenkstättenleiter Andreas Froese. »Als Zeitzeuge spricht Herr Weinberg klare, verständliche Worte: mit Bezug auf NS-Verbrechen, aber auch mit Blick auf die Brüchigkeit unserer Demokratie und ihre Bedrohung von rechtsextremistischer Seite.« Noch hat die Gedenkstätte ihren Angaben zufolge zu rund einem Dutzend Überlebenden Kontakt. Von vielen wollen Angehörige zum Jahrestag der Befreiung kommen.

Rund 60.000 Menschen waren zwischen 1943 und 1945 nach Mittelbau-Dora verschleppt worden. Albrecht Weinberg war bereits geschwächt und gezeichnet von Hungerödemen, als er im Februar 1945 auf einem Todesmarsch vom Vernichtungslager Auschwitz dorthin gebracht wurde. »Wir lebten vom Schnee. Wir lutschten ihn von unseren Ärmeln und strichen ihn von den Schultern unseres Vordermanns«, schildert er die Umstände in einem Buch, das er mit dem Journalisten Nicolas Büchse geschrieben hat. In Mittelbau-Dora musste er in unterirdischen Stollen schuften: »Ich war 19 Jahre alt und dachte an Selbstmord.«

Weinberg überlebte drei Konzentrationslager

Am 11. April 1945 wurde das Konzentrationslager in Thüringen durch US-Truppen befreit. Doch die Amerikaner fanden dort nur noch wenige Überlebende vor. Die allermeisten Häftlinge waren kurz zuvor in Richtung anderer Lager getrieben worden. Auch Albrecht Weinberg wurde weiter nach Bergen-Belsen in Niedersachsen deportiert, in das dritte KZ in seinem jungen Leben. »Das ist seit 80 Jahren in meinem Kopf«, sagt er: »Ich brauche mich nur zu waschen, dann sehe ich meine Häftlingsnummer.«

Wie wach Weinberg und seine Erinnerungen sind, wird immer wieder deutlich, wenn er aus seinem Leben erzählt. Nach vielen Jahren in den USA lebt er mittlerweile wieder in Leer, in der Nähe seines Geburtsortes Rhauderfehn. Er gehört zu den ganz wenigen, die noch berichten können, wie in der NS-Diktatur die Ausgrenzung der Juden in Deutschland begann, an deren Ende die Ermordung von Millionen von Menschen stand. Unter ihnen waren auch seine Eltern und die meisten weiteren Mitglieder seiner Familie.

Als er schließlich im April 1945 in Bergen-Belsen befreit wurde, empfand er kein Glück, wie er in dem Buch schreibt. »Ich war unfähig, mich zu freuen. Unfähig, weiter in die Zukunft zu denken als bis zum nächsten Bissen Brot.« Nach der Befreiung fand er seine Schwester Friedel wieder. Beide wanderten in die USA aus. Dass er jemals wieder in Deutschland leben würde, war damals undenkbar für ihn. Und doch verschlug es die Geschwister 2012 nach Leer.

Späte Rückkehr in die Heimat

Wieder aufgelebte Kontakte in die alte Heimat sorgten dafür, dass Albrecht ein Hilfsangebot annahm, nachdem Friedel einen Schlaganfall erlitten hatte. Beide zogen dorthin in ein Altenheim. Und die Pflegerin Gerda Dänekas bekam kurz vor ihrem Ruhestand den Auftrag, sich um sie zu kümmern. Nach Friedels Tod nahm sie Albrecht mit zu sich. Erst zu Besuch, an den Wochenenden. Später gründete sie mit ihm eine WG. Beider Leben veränderte sich, denn sie ermutigte ihn, über seine Vergangenheit zu sprechen. Das erste Mal erzählte er 2013 einer Historikerin der Gedenkstätte Bergen-Belsen seine Lebensgeschichte.

Seitdem sind Gerda Dänekas und er unzählige Male in Schulen unterwegs gewesen, um dort mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. »Ich bin ja mehr oder weniger der Einzige, der ihnen noch ein Bild geben kann«, sagt er im Telefonat. So sehr ihn der Rechtsruck auch in Deutschland besorgt, treibt ihn die Hoffnung, wenn er mit jungen Menschen über seine Erfahrungen spricht: »Da bleibt etwas hängen.«

Lesen Sie auch

Sowohl in Nordhausen als auch in Rhauderfehn ist er heute Ehrenbürger, an beiden Orten hat er vor ein paar Jahren Bäume gepflanzt, wie er erzählt. Aus zarten Setzlingen seien mittlerweile Stämme geworden. Am 7. April will die Stadt Nordhausen auch einen neugestalteten Ehrenfriedhof einweihen. Auf dem Gelände waren 1945 auf Anordnung der US-amerikanischen Befreier die Leichen von mehr als 2.000 KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern bestattet worden. In den vergangenen Jahren wurde der Friedhof neu gestaltet, um wieder ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. Albrecht Weinberg will dort das Kaddisch sprechen, ein jüdisches Gebet.

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Berlin

Drei Jahre Haft für Mustafa A.

Der Prozess gegen den Angreifer von Lahav Shapira ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Das Amtsgericht Tiergarten ging von einem antisemitischen Motiv aus und sprach den Täter der gefährlichen Körperverletzung schuldig

 17.04.2025

Berlin

100 Strafverfahren nach Besetzung der Humboldt-Universität

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Volksverhetzung. Während der Besetzung sollen Aktivisten mutmaßlich Urin aus einem Fenster geschüttet haben

 17.04.2025

Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht kaum Konkretes über Israel und den Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  17.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Sebnitz

»Keine Hakennasen«: Jobanzeige eines Dachdeckers sorgt für Empörung

Die Stadtverwaltung der sächsischen Kreisstadt hat gegen den Urheber einer Anzeige im Amtsblatt Strafantrag gestellt

 17.04.2025 Aktualisiert

80 Jahre Kapitulation

Gedenkstunde im Bundestag ohne Vertreter aus Russland und Belarus

Man wolle die Instrumentalisierung von Gedenkveranstaltungen zu propagandistischen Zwecken verhindern, heißt es aus dem Auswärtigen Amt

 17.04.2025

Berlin

Berliner Uni-Präsidentin: »Räumung war der einzig richtige Weg«

Sachbeschädigung und Hamas-Zeichen: Julia von Blumenthal verteidigt die schnelle Räumung einer »propalästinensischen« Hörsaal-Besetzung

 17.04.2025

Washington D.C.

»New York Times«: Trump lehnte Angriff auf Irans Atomanlagen ab

Israel soll einen Bombenangriff auf iranische Nuklearanlagen geplant haben - mit Unterstützung der USA. Doch mehrere Mitglieder der Trump-Regierung hätten Zweifel gehabt

 17.04.2025