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Nazis und Tierschutz: Tierliebe Menschenfeinde

Foto: U.S. Holocaust Memorial Museum

Nazis und Tierschutz Tierliebe Menschenfeinde

Hitlers Zuneigung zu seiner Schäferhündin "Blondi" ist legendär. Dass strenger Tierschutz und Verachtung für Menschen für die Nazis ohne weiteres zusammengingen, beweist die Geschichte des "Reichstierschutzgesetzes" von 1933.
Von Helene Heise
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Der Kriegswinter 1942: In den Vernichtungslagern im besetzten Polen erreicht die industrielle Ermordung der Juden ihre volle, schreckliche Kapazität. Täglich rollen neue Viehwaggons mit ihrer menschlichen Fracht aus Deutschland und den besetzten Gebieten in den Osten. SS-Ärzte führen in den Lagern Menschenversuche an wehrlosen KZ-Insassen und Kriegsgefangenen durch. In Stalingrad sind die Soldaten der 6. Armee eingekesselt, in den deutschen Großstädten leidet die Zivilbevölkerung unter Flächenbombardements der alliierten Luftflotten.

Bernhard Rust, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, hat derweil ganz andere Sorgen: In einem Schreiben vom 15. September 1942 weist er die Universitäten des Landes an, Meerschweinchen, die als Versuchstiere für medizinische Forschung benötigt werden, noch vor Wintereinbruch zu beschaffen - um die kleinen Nager vor Kälte zu schützen und "unter allen Umständen längere Transporte der Versuchstiere zu vermeiden".

Antisemitischer Tierschutz

Was klingt wie eine besonders bizarre Anekdote aus dem "Ditten Reich" hatte System: Tierliebe und Menschenverachtung waren in der NS-Ideologie kein Widerspruch. Nur wenige Monate nach ihrer "Machtergreifung" im Januar 1933 brachten die Nationalsozialisten ein "Reichstierschutzgesetz" auf den Weg, im November unterschrieb der neue Reichskanzler und "Führer" Adolf Hitler das Gesetz.

Das Schächten von Tieren - also das Schlachten mittels Durchtrennung der Halsschlagader, wie es Judentum und Islam vorschreiben - war schon im April 1933 verboten worden. Die Idee des Tierschutzes war dabei dreist für die antisemitischen Ziele des Regimes vereinnahmt, "gesundes deutsches Volksempfinden" gegen angebliche jüdische Grausamkeit in Stellung gebracht worden: "Die überwältigende Mehrheit des Deutschen Volkes hat schon lange das Töten ohne Betäubung verurteilt, eine Praxis, die unter Juden allgemein verbreitet ist", dröhnte die Präambel des Paragrafenwerks.

Und nicht nur das Schlachten nach jüdisch-orthodoxer Vorschrift verboten die Nazis unter dem Deckmantel der Tierliebe. Wissenschaftliche Tierversuche an Universitäten waren für sie ebenso Symbol "jüdischer" Wissenschaft: "Weißt Du, dass Dein Führer schärfster Gegner jedweder Tierquälerei, vor allem der Vivisektion, der wissenschaftlichen Tierfolter ist, dieser entsetzlichen Ausgeburt der jüdischen Schulmedizin?", fragte die Propagandazeitschrift "Die Weiße Fahne" ihre jugendlichen Leser: antisemitische Wissenschaftskritik unter dem Deckmantel des Tierschutzes, der "ewige Jude" als Feind nicht nur der Herren- sondern auch von Hunderassen und anderem arglosem Getier.

Lagerhaft für Tierquäler

Wie ernst es den Nationalsozialisten mit dem Schutz niederer Lebensformen und besonders dem Kampf gegen wissenschaftliche Tierversuche war, lässt eine Rundfunkansprache des Hitler-Vasallen und damalige preußischen Innenministers Hermann Göring von August 1933 schließen: "Bis zum Erlass dieses Gesetzes werden Personen, die trotz Verbotes die Vivisektion veranlassen, durchführen und sich daran beteiligen, ins Konzentrationslager abgeführt", drohte der begeisterte Waidmann und "Reichsjägermeister" unverhohlen. Die Androhung von Lagerhaft für Tierquälerei war übrigens eine der ersten öffentlichen Erwähnungen überhaupt der Konzentrationslager. Die ließ Göring ab Frühjahr 1933 errichten, um nach dem Reichstagsbrand und der darauffolgenden Hatz auf echte und angebliche Sozialisten die überfüllten Gefängnisse zu entlasten.

Trotz seiner braunen Ursprünge gilt das Reichstierschutzgesetz unter Tierfreunden wie unter Rechtshistorikern als Meilenstein des Tierschutzes. In der Bundesrepublik blieb es bis 1972 unverändert in Kraft. Das NS-Gesetz markiere den Wandel zum Schutz des Tieres "um seiner selbst Willen", so der konservative französische Philosoph und Politiker Luc Ferry (von 2002 bis 2004 Bildungsminister seines Landes), der sich wiederholt mit Gedankenwelt und Geschichte der Ökologiebewegung auseinandersetzte. Bevor die Nazis dem ein Ende machten, wurde Tierquälerei nämlich nur bestraft, wenn sie in der Öffentlichkeit stattfand - Frauen und Kinder sollten vor allem vor den moralisch bedenklichen Folgen öffentlicher Grausamkeiten bewahrt werden. In seinen eigenen vier Wänden oder dem eigenen Stall dagegen konnten Tierbesitzer mit ihren "Sachen" (als solche werden Tiere laut Bürgerlichem Gesetzbuch bis heute behandelt) tun und lassen was sie wollten - eine ethische Verpflichtung gegenüber Tieren als Lebewesen war dieser Zeit fremd.

Bis heute tun sich Tierschützer schwer mit diesem Befund: Ausgerechnet die Nationalsozialisten, die Menschen im allerschlimmsten Sinn wie Tiere behandelten, sollen besondere Tierfreunde gewesen sein? Die Hypothek der Vergangenheit zeigt sich im Umgang der Tierschutzvereine und -organisationen mit der Geschichte: In den meisten ihrer Darstellungen taucht das Gesetz von 1933 kommentarlos auf, ohne Hinweis auf seine Urheber. Unter Tierfreunden deutet man das Bemühen der braunen Herren um Tierschutz gern als bloßen Anbiederungsversuch der Nazis an die breite Öffentlichkeit. Begründung: Die Ideen des Gesetzes stammten aus der Tierschutzbewegung und seien bereits seit der Jahrhundertwende im Umlauf gewesen.

Propagandistische Inszenierung

Für die These, die Nazis seinen in Sachen Tierschutz bloße Opportunisten gewesen, wird selbst Hitlers treue Hündin "Blondi" als Kronzeugin in Anspruch genommen: Augenzeugen hätten beobachtet, der Führer habe seinem Hund gar keine echte Zuneigung entgegengebracht, ihn eher als abgerichtete Maschine betrachtet, so ein auf der Seite animal-rights.de veröffentlichter Text. Dass historische Sensibilität nicht immer zu den Stärken gerade radikaler Tierschützer zählt, ist spätestens seit der berüchtigten Werbekampagne der Tierschutzorganisation "Peta" bekannt: Die setzte 2004 Massentierhaltung und Holocaust gleich - nach einem Proteststurm musste "Peta" die Kampagne abbrechen.

Tatsächlich war die Tierliebe der Nazis mitnichten nur propagandistische Inszenierung. Teile der Tierschutzbewegung - wie auch der Naturschutzbewegung - bezogen sich auf ganz ähnliche ideologische Grundlagen wie die Nationalsozialisten. Beide etwa beriefen sich auf die Vorstellungen des Komponisten Richard Wagner (1813-1883), der in Naturverbundenheit und Tierliebe eine besondere Charaktereigenschaft der "nordischen Rasse" sah. Der Künstler, ein überzeugter Vegetarier wie nach ihm Hitler, wetterte gegen den Fleischverzehr - für ihn eine Vermischung von Rasse und Blut, durch welche die nordisch-germanischen Reinheit verschmutzt werde. Der Tierversuch war für Wagner Inbegriff "des Bösen und Jüdischen". Solch verquastes Mischmasch aus völkischen "Blut und Boden"-Denken, Rassenideologie, Wissenschaftsfeindlichkeit und Antisemitismus vertraten keineswegs nur Nationalsozialisten, auch Tierschützern der Zeit war es nicht fremd.

Im Text des Tierschutzgesetzes von 1933 durfte denn auch das völkische Element nicht fehlen: Die Schaffung eines Reichsgesetzes zum Schutz der Tiere sei "seit Jahrzehnten Wunsch des deutschen Volkes", das "besonders tierliebend" sei und sich "den hohen ethischen Verpflichtungen dem Tiere gegenüber bewusst ist", so die Präambel. Die pseudo-religiöse Überhöhung der Natur - der Morphinist Göring sprach von den Wäldern als "Gottes Kathedralen" - durchdrang auch das Reichstierschutzgesetz.

Kein Problem mit "kriegswichtigen" Tierversuchen

Allerdings endete der werbewirksam verkündete Schutz für all das, was auf deutscher Erde kreuchte und fleuchte, ganz schnell dort, wo die Nazis ihre eigentlichen Interessen berührt sahen. So konnten Tierversuche für "kriegswichtige" Forschungsprojekte ohne weiteres auch mit einer großen Anzahl an Tieren durchgeführt werden: Die Meerschweinchen, die Minister Rust vor Kälte und langem Transport bewahrt sehen wollte, wurden bei der Entwicklung biologischer Kampfstoffe, in der Seuchenforschung und bei Versuchen für die Luftfahrttechnik in den Labors der Nazis zu Tode getestet.

Der amerikanische Historiker Boria Sax weist in seiner Studie über Tiere im Dritten Reich auf die Verbindung zwischen Tierliebe und Menschenhass hin: Längst nicht alle Tiere schätzten die Nazis in gleichem Maße. Während wilde und reinrassige Tiere dem NS-Naturideal entsprachen, konnten verweichlichte Haustiere und "Schädlinge" ohne weiteres zu lebensunwerten Wesen erklärt und "ausgemerzt" werden. Das passte gut zur Rassenideologie, die auch Menschen hierarchisch einordnete: Das vermenschlichte Tier als Kehrseite des Tieres namens Mensch. So ermöglichte die pervertierte Tierliebe der Nationalsozialisten ein besonders schreckliches Kapitel der deutschen Medizingeschichte: Wo die Grenze zwischen "edlem Tier" und viehischem "Unter-Menschen" verblasste, war der Schritt vom medizinischen Tierexperiment zum Menschenversuch fast schon getan.