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FOCUS Magazin | Nr. 14 (2011)
POLITIK: Einst Kommunist, heut' grün
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Der designierte grüne Ministerpräsident für Baden-Württemberg Winfried Kretschmann gehörte früher einer kommunistischen Politsekte an

Diese Kürzel kennt heute kaum noch einer. Nicht einmal die Grüne Jugend. Sollte man aber. „KBW, KB, KPD/AO“ titelt die Jungschar der Grünen auf ihrer Website. Die Nachgeborenen benötigen Nachhilfe im Gewirr der kommunistischen Gruppen und Grüppchen der 68er-Generation. Sie seien „eine der Ursuppen, aus denen sich die westdeutschen Grünen konstituierten“, bekommt der Nachwuchs der Ökopartei gelehrt. Damit erübrigt sich auch das Kürzel WTF, das die Jungpolitiker den K-Gruppen beigefügt hatten. Es darf mit „Who the fuck is“ gedeutet werden.

Einen tiefen Schluck aus dieser Brühe hat der künftige grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann im eher konservativen Ländle genommen. Er engagierte sich zwei Jahre beim Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), einer der härtesten Politsekten damals.

Kretschmann, der von 1970 bis 1975 Naturwissenschaften in Stuttgart-Hohenheim studierte, avancierte sogar zum Asta-Vorsitzenden, dem Sprecher der Studentenausschüsse. Werbeeinsätze an der proletarischen Basis wie in Esslingen absolvierte der spätere Lehrer und bot die „Kommunistische Volkszeitung“ feil – mit beschränktem Erfolg.

Als er 1979 bei der Gründung der Grünen in Baden-Württemberg auftauchte, erschrak Wolf-Dieter Hasenclever, später Grünen-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag. „Ich dachte mir, was kommt denn da wohl für einer vom Kommunistischen Bund Westdeutschland“, erinnert er sich. Schnell habe sich aber herausgestellt, dass der Ex-Revoluzzer „stark geprägt“ von seiner schwäbischen Heimat gewesen sei und eher „von bedächtigem Charakter“ war.



Einen ernsten Hintergrund hatten Hasenclevers Bedenken. Es war alles andere als ein Scherz, als der KBW-Aktivist Martin Fochler mitten im „deutschen Herbst“ 1977, in dem die Rote Armee Fraktion (RAF) die Republik in Atem hielt, die deutsche Hausfrau als potenzielle Kombattantin für die vermeintlich anstehende Volksrevolution entdeckte. Jede Hausfrau, die mit modernem Küchen- und Stubenreinigungsgerät umgehen könne, werde schließlich auch keine Schwierigkeiten haben, ein Maschinengewehr zu benutzen, wenn denn der allgemeine Aufstand endlich losgehe.

Fochler war führendes Mitglied der linksradikalen Gruppe. Der KBW befand sich in diesem westdeutschen Krisenjahr auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Vier Jahre zuvor als Partei gegründet, hatte er 2600 Mitglieder und band über verschiedene verbundene Organisationen nochmals rund 5000 Personen an sich. Damit war er nicht nur die größte der sogenannten K-Gruppen, sondern er war auch die reichste, die am besten organisierte und die am straffsten geführte.

Die K-Gruppen waren Kinder der 68er-Studentenrevolte, die Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre wie Pilze aus dem Boden schossen. Sie waren allesamt antikapitalistisch, antiimperialistisch, antibürgerlich und ungeordnete Haufen linksradikaler Weltverbesserer, die oftmals höchst weltfremd waren, wie Fochlers Hausfrauen-Fantasie zeigt. Als verklärte Helden dienten dem KBW Staatsverbrecher wie Mao, der spätere Diktator von Simbabwe, Robert Mugabe, Ugandas Idi Amin und der Massenmörder Pol Pot, der in Kambodscha bis zu zwei Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hat. Mit dem real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion oder der DDR stand man dagegen ebenso auf dem Kriegsfuß wie mit den „imperialistischen“ Gesellschaften in den USA und anderen Ländern des Westens.

Die linksradikale K-Szene wollte einen bewussten Gegensatz zu den etablierten Parteien darstellen, das Durcheinander, das in diesen Gruppen herrschte, gehörte quasi zum Programm. Nur beim KBW nicht: Der gründete sich von Anfang an als Partei, nahm an Bundes- und Landtagswahlen teil und sah sich selbst als Keimzelle einer kommunistischen Partei. Der Erfolg blieb aus, über 0,1 Prozent kam der KBW bei wichtigen Wahlen nie hinaus. Man blieb eine Sekte mit totalitärem Anspruch, die wegen ihres verbalradikalen Auftretens von Politikern und Sicherheitsbehörden als gefährlich angesehen wurde.

Den „bürgerlichen Staatsapparat“ zu zerschlagen und über die „soziale Revolution“ „mit Waffengewalt“ die „proletarische Diktatur“ zu schaffen, dazu bekannte sich der KBW in riesigen Mengen von Pamphleten. In Wahrheit überließen die KBW-Mitglieder das Zuschlagen in der Praxis lieber anderen Gruppen wie Joschka Fischers „Spontis“ in Frankfurt, mit denen sie eine herzliche Abneigung verband. Wenn die ihre Steine auf Polizisten warfen, zogen sich KBWler vornehm zurück.

Gelenkt wurde die Gruppe von der Gründung 1973 bis 1982 von Joscha Schmierer. Unter seiner Führung bildete sich eine stramme Kaderpartei heraus, die vor Psychoterror gegen die eigenen Mitglieder nicht zurückschreckte, sie finanziell ausbeutete und deshalb von Aussteigern auch mit Scientology verglichen wurde. Jedes Mitglied musste zehn Prozent seinen Lohns abliefern, bei Erbschaften wurden große Spenden fällig. So sammelte sich bald viel Geld an, allein zwischen Herbst 1976 und Herbst 1978 fast 7,5 Millionen Mark. Mit dem Geld baute man sich eine bestens ausgestattete Parteiorganisation auf, zu der 67 Angestellte und auch 50 Saab-Limousinen gehörten.

Die Kaderschule des KBW war offenbar eine gute Voraussetzung, um später in der verhassten bundesrepublikanischen Wirklichkeit eine Karriere zu machen. Zahlreich strömten die KBWler vor allem zu den Grünen, die nach ihrer Gründung eine große Anziehungskraft ausübten. Die Antiparteien-Partei galt als Bürgerschreck, war links, basisdemokratisch und ökoradikal, aber doch irgendwie organisiert, wenn auch zunächst sehr chaotisch. Damit galt sie den geschulten KBW-Kadern als leicht lenkbar. Und da sie von Anfang an über eine relativ breite Anhängerschaft verfügte, auch als interessant. 1985 stellte der Verfassungsschutz fest, dass rund ein Zehntel der 94 Mitglieder der Landesvorstände, ein Achtel der 35 Landtags- und ein Drittel der damals 27 Bundestagsabgeordneten ebenso Wurzeln im KBW und anderen K-Gruppen hatten wie die Hälfte aller Bundesvorstandsmitglieder.

Die Liste der prominenten Grünen, die beim KBW ihr politisches Handwerkszeug erwarben, ist lang: Reinhard Bütikofer wurde später Parteichef der Grünen, studierte einst Sinologie und zitierte fleißig die Schriften des großen Vorsitzenden Mao. Krista Sager war die Chefin der Bundestagsfraktion, Winfried Nachtweih ihr langjähriger verteidigungspolitischer Sprecher. Ralf Fücks schaffte es erst auf einen Senatorenposten in Bremen und leitet seit 1996 die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung.

Zum grünen Establishment gehört auch der Obermaoist Schmierer, der unter Joschka Fischer Mitglied im Planungsstab des Auswärtigen Amtes war. Nicht zum KBW zählte dagegen der Ex-Umweltminister und heutige Fraktionschef Jürgen Trittin – er war Mitglied des Kommunistischen Bundes (KB). Ein damals wichtiger Unterschied, denn die verschiedenen K-Gruppen waren sich keineswegs grün, sondern oftmals tief verfeindet.

„Wenn ich die Zeugen Jehovas sehe, denke ich: Auf dem Niveau warst du auch mal“, berichtete Winfried Kretschmann kürzlich. Der Kopf der geplanten grün-roten Koalition im Südwesten steht zu seiner politischen Sozialisation links außen. In der offiziellen Vita für den grünen Wahlkampf lobt er zunächst, dass er im Elternhaus „den ganzen Reichtum des Kirchenjahres“ erfahren durfte. Im gleichen Absatz bewertet er seine linksradikalen Erfahrungen: „ein fundamentaler politischer Irrtum“. Von der K-Gruppe zum Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, nur wenige wie Kretschmann haben diese Spannweite.

Ihn habe die KBW-Erfahrung immun gemacht gegen alle linksradikalen Anwandlungen, beteuert der potenzielle grüne Landesvater. Das habe ihn auch gewarnt vor den Jutta Ditfurths seiner Partei und ihrer grenzenlosen Rechthaberei. Worte wie „alternativlos“ verabscheut der Ober-Grüne, der gern die Philosophin Hannah Arendt und ihre Kritik totalitärer Systeme zitiert. Es war eine traumatische Erfahrung, als er einmal allein gegen die versammelten Genossen seiner Politsekte stand. Danach hat er den KBW verlassen.
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