Sonnenaufgang vor 7000 Jahren

Das älteste Observatorium der Welt

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Vor 7000 Jahren beobachteten Menschen den Himmel und den Sonnenstand. Jahrtausende vor Stonehenge erbauten sie ein Observatorium nahe dem heutigen Ort Goseck in Sachsen-Anhalt

Die Entdeckung war eine archäologische Sensation. Die Kreisgrabenanlage, die zwischen Weißenfels und Naumburg über dem Saaletal auf einem Plateau bei der Gemeinde Goseck liegt, wurde schon in den 90er Jahren durch archäologische Luftbilder dokumentiert. Vom Flugzeug aus werden inzwischen viele Ruinen oder Bodenveränderungen sichtbar, die auf Fundstätten hinweisen und vorher unbekannt waren (vgl. Aerial Archive). Gegraben wird seit vergangenem Jahr. 2003 erschlossen Archäologen und Studenten der Martin Luther-Universität Halle und der University of California zusammen die sensationelle Fundstelle weiter. Sie dokumentierten ihre Arbeit multimedial und die Grabung konnte über eine Webcam live verfolgt werden (vgl. Archäologie multimedial).

Das entdeckte Observatorium besteht aus einem Kreisgraben von rund 75 m Durchmesser, in dem sich zwei mannshohe Palisadenringe aus Holzstämmen befinden, die von jeweils drei aufwändig gestalteten Toren unterbrochen sind. Drei Eingänge zu einer Ringanlage sind ungewöhnlich, meist sind es zwei oder vier. Die Tore der Gosecker Sternwarte sind nicht willkürlich gesetzt worden, soviel ist inzwischen klar. Von der Mitte der Kultstätte aus ist das Südosttor so positioniert, dass es den Punkt markiert, wo die Sonne am Tag der Wintersonnwende, also am 21. Dezember, vor 7000 Jahren aufging. Durch das Südwesttor konnte der Sonnenuntergang an diesem Tag genau beobachtet werden.

Die Bedeutung des dritten Tors, das den Blick in Richtung Norden öffnet, ist bisher unklar. Manche haben das Goseck-Observatorium als das deutsche Stonehenge bezeichnet. Tatsächlich ist es aber mindestens zweitausend Jahre älter. Nicht nur die Position der Sonne weist auf 5000 v.Chr. hin, sondern auch die gefundenen Scherben. Es handelt sich um Stichbandkeramik, die klar auf 5000 bis 4800 v. Chr. datiert werden kann. Es waren also Steinzeitmenschen, die hier zusammen kamen. Solche monumentalen Erdwerke (so genannte Henge-Monumente) sind durchaus typisch für das europäische Neolithikum, die Zeit, in der die ursprünglichen Nomaden anfingen, sich niederzulassen und Ackerbauern zu werden. Die Jahreszyklen bekamen eine neue Bedeutung. Fragen wie die nach dem günstigsten Zeitpunkt der Aussaat oder der Ernte bestimmten das Schicksal unserer Vorfahren in den ersten bäuerlichen Gemeinden.

Luftbild der Ringanlage bei Goseck, Bild: Universität Halle

Es gab hunderte derartiger Ringanlagen überall in Europa, aber die bei Goseck ist die älteste, erstaunlich gut erhalten und sie stellt den ersten zweifelsfreien Nachweis dar, dass es sich um ein Sonnenobservatorium handelt. Bisher wurde über die Funktion der Kreisanlagen immer wieder kontrovers diskutiert (vgl. Der umhegte Raum -eine theoretische Überlegung zu einer nicht nur jungsteinzeitlichen Erscheinung). Die Vor- und Frühgeschichtler gehen davon aus, dass sich diese Kreisgrabenanlage in einer zentralen und weithin sichtbaren Lage inmitten eines großen Siedlungsgebietes befand. Mit Sicherheit war sie nicht nur ein Ort für astronomische Beobachtungen, sondern gleichzeitig ein wichtiger Kultplatz, eine Art Tempel.

Der Projektleiter Francois Bertemes bemerkte bei der Präsentation des Fundortes im Sommer: "Hier wurde nicht nur der Lauf der Sonne bestimmt, sondern es gab auch ein gesellschaftliches Leben mit Versammlungen und Ritualen." Wer waren diese Menschen, welche Gottheiten verehrten sie hier? Das ist völlig unklar. Sie lebten in Langhäusern und waren auf diesem Land die ersten Bauern und Viehzüchter. In der Kreisanlage von Goseck fanden die Ausgräber mehrfach neben Tier- auch Menschenknochen. Sie waren sorgfältig bearbeitet worden, das Fleisch von den Knochen abgeschabt. Das könnte für Menschenopfer sprechen - oder für spezielle Begräbnisrituale.

"Adonis von Zschernitz", Bild: Landesamt für Archäologie Sachsen/Landesmuseum für Vorgeschichte Dresden

Viele Fragen bleiben noch offen und ab kommendem Jahr werden die Arbeiten vor Ort fortgeführt. Und auch in der näheren Umgebung bleibt es spannend. Im Landkreis Delitzsch in Sachsen wurde eine ungefähr 7000 Jahre alte Kleinskulptur gefunden, ein männlicher Torso, der den schönen Namen "Adonis von Zschernitz" erhielt. Der fragmentierte Mann hat ein mächtiges Gemächt und ist die älteste männliche Tonfigur Europas. Zu besichtigen ist der schönste Mann der Steinzeit noch bis Mai 2004 in einer Sonderausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte Dresden (vgl. Adonis von Zschernitz: Der erste Mann aus Ton).

Der tönerne Männerkörper ist ein Fund aus der gleichen Zeit. Viel jünger und vielleicht doch mit dem Sonnenobservatorium von Goseck verbunden, ist die Himmelsscheibe von Nebra, ursprünglich "Sternscheibe von Sangerhausen" genannt. Sie trägt die "erste uns bekannte konkrete Himmelsdarstellung der Menschheitsgeschichte". Ihr Fundort ist nur 25 km von Goseck entfernt und sie zeigt eine Darstellung des damaligen astronomischen Wissens.

Die Scheibe stammt aus der Zeit um 1600 v. Chr. (der Zeit der Endausbauphase von Stonehenge) steht aber nicht nur nach Auffassung des Astronomen Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum in Beziehung zur Kreisanlage, weil es Ähnlichkeiten in der Anordnung gibt. Die Beobachtung der Gestirne hatte für die Steinzeitmenschen mit Sicherheit eine mythologische Bedeutung. Schlosser kommentiert den Sensationsfund, mit dem er sich intensiv beschäftigt hat:

Die Himmelsscheibe von Nebra ist der Schlüsselfund der vorgeschichtlichen Astronomie schlechthin. Konnten bisher die astronomischen Kenntnisse des vorzeitlichen Menschen im Wesentlichen nur aus den Ausrichtungen prähistorischer Gräber oder Bodendenkmäler erschlossen werden (die oft auch nicht-astronomische Interpretationen erlauben), so zeigt dieser einmalige Fund aus der Bronzezeit unwidersprochen einen frühen Blick des Menschen in den Kosmos." (vgl. Archäologie zwischen Mikrokosmos und Universum).

Himmelsscheibe von Nebra, Bild: Landesamt für Archäologie Sachsen- Anhalt

Die Geschichte der Himmelscheibe ist der reinste Krimi. Ursprünglich hatten sie Raubgräber zusammen mit zwei Schwertern und anderen Bronze-Objekten aus dem Boden geholt und dabei beschädigt (vgl. Zur Datierung der Kratzer und Beschädigungen). Sie boten sie auf dem Schwarzmarkt an und die kostbaren Objekte konnten dann bei einer fingierten Übergabe in der Schweiz im Februar 2002 sicher gestellt werden.

Die Bronzescheibe mit einem Durchmesser von 32 cm besteht aus einer typisch vorgeschichtlich Legierung und ist mit Einlegearbeiten aus Goldblech versehen. Neue naturwissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass es sich bei dem rund zwei Kilo schweren Stück nicht um eine Fälschung handeln kann (vgl. Das Universum im Labor). Zu sehen sind auf der grün korrodierten Bronze 32 Sterne, von denen die sieben eng zusammen stehenden wahrscheinlich die Plejaden symbolisieren. Am Rand sind zwei von ursprünglich drei Goldbändern zu erkennen, die möglicherweise Horizontbögen darstellen, bzw. die Sonnenbarke, die über das nächtliche Himmelsmeer fährt. Die beiden großen, dominierenden Objekte in der Mitte stehen entweder für Sonne und Mond, verschiedene Mondphasen oder den Ablauf einer Sonnen- bzw. Mondfinsternis (vgl. Astronomische Deutung).

An der Ringwallanlage in Nebra, dem Fundort der Himmelsscheibe, werden jetzt weitere archäologische Grabungen durchgeführt. Kommendes Jahr soll auch ein interdisziplinäres Kolloquium abgehalten und das gute Stück in einer Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle gezeigt werden.

Was bereits läuft ist die Vermarktung und die Streitigkeiten um die Rechte. Merchandising-Produkte wie T-Shirts, Torten und Gebäck, Rucksäcke oder Schmuckkollektionen sind bereits auf dem Markt. Die Fremdenverkehrsverbände erwarten spätestens zur Ausstellung "Der geschmiedete Himmel" ab nächsten Oktober den Ansturm der Touristen. Geplant ist außerdem die Errichtung eines großen Archäologiepark im Süden Sachsen-Anhalts (vgl. Archäologiepark).

Die Sternenscheibe soll himmlisch viel Geld in die Region bringen. Verloren hat erst mal die Kleinstadt Querfurt, die sich das Recht für die Nutzung des Namens "Himmelsscheibe von Nebra" und eines entsprechenden Logos beim Deutschen Patentamt gesichert hatte. Das Land Sachsen-Anhalt als Eigentümer der archäologischen Kostbarkeit klagte dagegen und das Landgericht Magdeburg gab ihm Recht. Querfurt ging in Berufung gegen diese Entscheidung, es geht schließlich um sehr viel Geld.