Tabea rannte. Sie rannte so schnell sie konnte, und doch hatte sie das Gefühl, dass sie nicht schnell genug war.
Der Wald von Despayre war ihr gut in Erinnerung geblieben, nachdem sie mit ihrer damaligen Meisterin zu Beginn der Klonkriege hier einen Einsatz abgeschlossen hatte.
Doch nun, als sie erneut durch den Wald rannte, ganz auf sich allein gestellt, kam er ihr fremd vor.
Er wirkte wie ausgestorben. Es gab keine Geräusche oder andere Anzeichen von Leben. Nur ihr Keuchen und ihr laut pochendes Herz lagen ihr dröhnend in den Ohren.
Ihre Lungen brannten wie Feuer, und Wellen von Schmerzen durchfuhren ihren gesamten Körper in regelmäßigen Abständen. Die Kleidung klebte ihr durchgeschwitzt am Körper, aber sie wusste, dass sie nicht anhalten durfte.
Dann spürte sie es wieder. Eine Präsenz, wie ein Schatten. Und dieser Schatten verfolgte sie. Er war immer da, schwirrte um sie herum, beinahe greifbar, doch nicht zu sehen. Er versteckte sich zwischen den Bäumen, entzog sich seiner Entdeckung, doch er jagte sie unerbittlich.
Auch wenn ihre Beine bald nachzugeben drohten, rannte sie weiter. Sie wusste, dass sie sich nicht von ihrem Verfolger erwischen lassen durfte.
Du weißt es.
Die Worte zischten scharf durch ihre Gedanken.
Du weißt es.
Sie schüttelte den Kopf. Irgendwie musste sich die Stimme doch aus ihrem Kopf vertreiben lassen!
Tabea wusste, dass die Stimme ihrem Verfolger gehörte. Er sprach direkt in ihre Gedanken, versuchte sie abzulenken und zu verunsichern. Was wusste sie? Was war damit gemeint?
Musste dieser Wald nicht ein Ende haben?
Sie hetzte weiter durch tief hängende Äste und durch Büsche, deren Zweige an ihren Händen und in ihrem Gesicht kratzten, doch je weiter sie lief, hatte sie das bedrückende Gefühl, immer mehr vom Wald verschluckt zu werden.
Doch was sie besonders erschrak war die Angst, die sie verspürte. Jedi hatten keine Angst! Das hatte Tabeas Meisterin ihr von Beginn an beigebracht. Jedi konnten auf ihren Kodex vertrauen.
In der Hoffnung, Ruhe und Zuversicht zu finden, versuchte sie den Kodex der Jedi zu rezitieren, doch entsetzt musste sie feststellen, dass er ihr nicht mehr einfiel. Wie konnte das sein? Sie hatte den Kodex gelernt, gerade als sie alt genug gewesen war, um Lesen und Schreiben zu lernen. Er war ein fester Teil ihres Lebens. Wie konnte es sein, dass sie sich nun nicht mehr an ihn erinnerte?
Erneut wogte die Panik durch ihren Körper und ließ ihre Gedanken zerfallen.
Sie musste unbedingt aus diesem Wald raus!
Aus dem Nichts spürte sie plötzlich einen eiskalten Schauer über ihren Rücken jagen.
Erschrocken schrie sie auf und übersah die Wurzel eines Baumes, die aus dem Boden herausragte. Sie stolperte und taumelte nach vorne. Wild mit den Armen rudernd, versuchte sie ihr Gleichgewicht zurückzuerlangen, doch es gelang ihr nicht. So stürzte sie mit dem Gesicht voran auf den Waldboden.
Sie hustete und fühlte etwas körniges in ihrem Mund. Als sie es ausspuckte, sah sie, dass es roter Sand war, der in ihren Mund gelangt war.
Sand?
Obwohl der Schmerz sie zu übermannen und ihre Knochen zu erlahmen drohte, schaffte sie es mit letzter Kraft, sich aufzustemmen.
Was sie dann vor sich sah, ließ ihren Glauben beinahe zerbrechen.
Sie stand nicht länger im Wald von Despayre.
Stattdessen breitete sich das Schlachtfeld von Geonosis um sie herum aus.
Der Sand hatte sich in ihrer Kleidung verfangen und klebte an ihr, während der Wind ihn durch die Luft in ihre Atemwege trug und sie zum Husten brachte.
Überall war der Lärm der Schlacht, die um Tabea herum tobte.
Die Klontruppen der Republik trafen erneut auf die Droidenarmee der Konföderation unabhängiger Systeme. Mit geballter Macht kollidierten die Armeen und lieferten sich eine erbitterte Schlacht.
Instinktiv griff Tabea an ihren Gürtel um ihr Lichtschwert zu ziehen, doch ihre Finger griffen ins Leere. Alarmiert schaute sie hinab, und blankes Entsetzen durchfuhr ihren bereits gepeinigten Körper. Ihr Lichtschwert war verschwunden!
Gehetzt schaute sie sich um. Es musste doch hier sein. Gerade hatte sie es doch noch gehabt! Oder nicht?
Zweifel überkamen sie. Was passierte nur mit ihr? Wie konnte sie plötzlich wieder auf Geonosis sein? War sie nicht gerade noch im Wald auf der Flucht gewesen? Aber auf der Flucht wovor eigentlich?
Ihre Gedanken rasten, doch sie schienen ins Nichts zu gehen. Ihre Erinnerungen verwirbelten zu einem großen Sturm, der ihrem Kopf nicht die Möglichkeit gab, sich zu konzentrieren.
Dann war es wieder da. Dieses kalte, unnahbare Gefühl. Der Geist, der Schatten oder was immer er auch sein mochte, war noch immer da.
Erneut schaute sie sich um, stand nun direkt zwischen den kämpfenden Klonen und Droiden, von denen sich keiner für sie zu interessieren schien. Sie selbst schien ein Fremdkörper zu sein, der dort nicht hingehörte.
Dann nahm sie eine Bewegung im Augenwinkel war. Sofort drehte sie sich nach links und untersuchte die Umgebung. War das der Schatten gewesen? Hatte er sich verraten?
Doch wieder sah sie nur die Schlacht, die vor ihr tobte. Fetzen von Erinnerungen blitzten vor Tabeas innerem Auge auf. Erinnerungen an genau diese Schlacht. Daran, dass sie Seite an Seite mit ihrer Meisterin hier gekämpft und die Armee der Konföderation zurückgedrängt hatte. Während des Kampfes hatte sie ihr Lichtschwert verloren und war danach von ihrer Meisterin dafür gerügt worden.
Ihre Meisterin hatte das Lichtschwert im Getümmel der Schlacht gefunden und ihr mit den Worten zurückgegeben, dass sie besser darauf aufpassen sollte. Schließlich hing ihr Leben davon ab.
Irritiert und mit dem Gefühl, verloren zu sein, rannte sie in Richtung der republikanischen Armee. Vielleicht würde man ihr am Stützpunkt helfen können?
Doch plötzliche prallte sie gegen eine unsichtbare Wand.
Panisch schlug sie mit der Faust gegen sie, drückte sich dagegen. Die Droiden zogen an der Jedi-Ritterin vorbei, ohne von ihr oder der Wand Kenntnis zu nehmen.
Wie konnte das sein?
Tabea hatte das Gefühl, langsam aber sicher den Verstand zu verlieren. Und das wäre auch beinahe passiert, als sie sich von der Wand abwandte.
Verzweiflung überfiel sie und ihre Beine gaben nach.
Entmutigt und erschöpft fiel sie auf ihre Knie und schaute nun auf einen unendlich erscheinenden See, der sich vor ihr erstreckte.
Geonosis war verschwunden, und mit dem Planeten auch die Klone, die Droiden und die Schlacht.
Noch immer gab es kein Anzeichen von Leben. Kein Laut lag in der Luft, bis auf ihr noch lauter pochendes Herz und das leise Geräusch der Wellen, die sanft an das Ufer stießen.
Tabea senkte ihren Blick. Sie fühlte sich geschlagen und unendlich müde. Eigentlich wollte sie sich nur noch hinlegen und sich ihrem Schicksal ergeben. Noch immer fiel ihr der Kodex nicht ein, und sie fand keine Ruhe für eine Meditation.
Als sie ihren Kopf wieder hob, sah sie eine Brücke vor sich, die sich über das Wasser spannte.
Mittlerweile machte die Jedi-Ritterin sich keinen Kopf mehr darüber, wie das sein konnte. Es war der Weg, den sie gehen sollte, und sie würde diesem Alptraum niemals entkommen, wenn sie an Ort und Stelle verbleiben und auf ihr Ende warten würde. So verlockend das gerade auch war.
Noch einmal stemmte sie sich auf die Beine und betrat die Brücke.
Die Brücke bestand lediglich aus einem schmalen Steg, doch Tabea folgte diesem mit vorsichtigen Schritten.
Zu beiden Seiten erstreckte sich das scheinbar endlose Wasser, welches immer unruhiger wurde, je weiter sie voranging.
Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie auf etwas zusteuerte. Doch sie wusste nicht, was es war. Ihr war nur klar, dass es nicht gut sein konnte.
Tabea konnte nicht sagen, wie lang sie bereits gelaufen war, als sie plötzlich wieder den eiskalten Schauer auf ihrem Körper spürte.
Er war kälter und deutlicher als je zuvor, und sofort wusste sie, dass der Schatten, ihr Verfolger, sich nun endlich zeigen würde.
Mittlerweile war ein Sturm aufgezogen und Regen hatte eingesetzt. Das Wasser, welches vorher ruhig dagelegen hatte, wurde nun vom starken Wind aufgepeitscht und knallte gegen die Brücke. Dabei trat das Wasser über, durchnässtedie Brücke und machte den schmalen Steg zusätzlich noch rutschig.
Tabea drehte sich um und sah mit ein wenig Abstand von sich etwas in der Luft schweben, das sie nicht so recht zu beschreiben vermochte.
Das Etwas war eine Art schwarzer Wirbel, der in der Luft schwebte und flimmerte. Doch auf eine groteske Art und Weise erschien der Wirbel ihr lebendig. Sie fühlte sich von ihm beobachtet.
„Was willst du von mir!?“, schrie sie gegen den Sturm und war überrascht von der Wut, die in ihrer Stimme mitschwang.
Sie hatte während ihrer Ausbildung und während des Klonkrieges bereits viel erlebt und mitgemacht. Doch sie hatte sich immer unter Kontrolle behalten. Diese Kontrolle schien ihr nun zu fehlen. Sie war erschöpft und fühlte sich auf eine merkwürdige Art gebrochen. Sie wollte nur noch diesem Alptraum entkommen.
„Was bist du?!“ Der Sturm verschluckte beinahe ihre Worte, ließ sie im laut prasselnden Regen untergehen.
Du weißt es.
„Was? Was soll ich wissen?! Sag es mir!“
Doch der Schatten schwieg und flimmerte weiter unruhig über dem Boden.
„Sag es mir!“, befahl sie erneut. Nur mit mühe konnte sie die aufsteigende Wut unter Kontrolle halten.
Doch anstatt zu antworten, verwandelte der Schatten sich. Der Wirbel verzog und verkrümmte sich und schien menschliche Form anzunehmen.
Erneut griff Tabea an ihren Gürtel und dieses Mal fanden ihre Finger das Lichtschwert. Schützend hielt sie es vor sich und aktivierte es.
Eine grellweiße Klinge entzündete sich und zeigte direkt auf ihren Verfolger, der sich davon jedoch nicht stören ließ.
Tabea jedoch schaute erschrocken auf die Klinge. Das war nicht ihr Schwert! Als sie das Schwert aktiviert hatte, hatte sie mit ihrer vertrauten, grünen Klinge gerechnet. Doch was sollte diese weiße Klinge bedeuten?
Der Schatten verwandelte sich immer mehr und stand schließlich in Form einer Frau vor ihr, die in eine weite, schwarze Robe gehüllt war. Ihr Kopf war verdeckt von einer Kapuze.
Erkenne es! Die Stimme des Schattens zischte erneut in Tabeas Kopf.
Tabea ging zum Angriff über.
Der Regen hatte ihre weiße Tunika, sowie ihre Hose und Stiefel völlig durchweicht und den Staub und Dreck von Geonosis restlos abgewaschen.
Als ob er niemals existiert hätte.
Sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Nun schien der Schatten real und verwundbar zu sein. Wenn sie es schaffte, ihn zu zerstören, vielleicht würde der Alptraum endlich ein Ende haben!
Diese Aussicht gab ihr etwas Hoffnung und Kraft zurück, die sie verloren geglaubt hatte.
Kurz bevor ihre Klinge auf den Körper der Frau stieß, aktivierte diese ebenfalls ein Lichtschwert. Die glühend rote Klinge fing Tabeas weiße Klinge gekonnt ab und lenkte sie von sich weg.
Tabea gab jedoch nicht auf und setzte Angriff um Angriff auf ihre Verfolgerin an.
Doch so sehr sie sich auch bemühte, die Frau schien jeden ihrer Angriffe vorhersehen zu können und wehrte sie ab, ohne jemals in Bedrängnis zu raten.
Tabea schnaufte erschöpft. Sie fühlte, wie sich die kleine Kraftreserve dem Ende zuneigte.
Die Frau war während des kurzen Kampfes keinen Schritt zurückgewichen. Stattdessen hob sie eine Hand, die in einem tiefschwarzen Handschuh steckte und machte eine wegwischende Bewegung.
Tabea wurde wie von einem Hammerschlag getroffen und zurückgeschleudert. Hart kam sie auf dem Rücken auf; der Aufprall presste ihr die restliche Luft aus den Lungen.
Keuchend und erschöpft lag sie am Boden und konnte nur hilflos zusehen, wie die Frau sich ihr langsam und mit sicherem Schritt näherte.
Selbst, als die Frau über der Jedi-Ritterin stand, war ihr Gesicht komplett von der Kapuze eingehüllt und von Schatten verborgen.
Erkenne es!, zischte die Stimme erneut, dieses Mal in einem sehr scharfen Tonfall, während die Spitze des roten Lichtschwertes auf die am Boden liegende Tabea deutete.
Als die Frau mit einem Ruck ihre Kapuze zurückschlug, traf Tabea die Erkenntnis so scharf wie ein Blasterbolzen, der ihr direkt das Herz durchschlug.
Entsetzt schaute Tabea auf ihr eigenes Gesicht. Es war blass, beinahe gräulich. Rot-gelbe, mit Hass erfüllte Augen starrten auf sie hinab. Doch es war eindeutig ihr eigenes Gesicht.
Noch bevor sie etwas sagen konnte, oder überhaupt Worte dafür finden konnte, wiederholte die Frau die Geste mit ihrer Hand.
Tabea wurde in die Luft gehoben, schwebte hilflos über dem tobenden Wasser und konnte dabei den Blick nicht von der Frau mit ihrem Gesicht abwenden.
Sie war nicht mehr dazu in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Alles raste wild und unaufhaltsam in ihrem Kopf, während ihrer Körper durchnässt und klamm im Griff der Frau lag und zu keiner Regung mehr fähig war.
Die Frau ließ Tabea los und die Jedi-Ritterin stürzte mit einem lauten Aufschrei in das eiskalte Wasser.
Mit demselben Aufschrei erwachte Tabea aus dem schrecklichen Alptraum.
Gehetzt und schwer atmend schaute sie sich in der Dunkelheit um und brauchte einige Sekunden, bis sie realisierte, dass sie in ihrem Bett lag.
Sie schluckte schwer und versuchte die Angst zu unterdrücken, die ihren Körper noch immer fest gepackt hatte.
Sofort stand sie auf und zog sich an. Sie musste mit ihrer Meisterin über den Traum reden. Falls das überhaupt ein Traum gewesen war!
Eilig verließ die Jedi-Ritterin ihr Gemach und machte sie auf den Weg zu ihrer Meisterin. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, dass der Schatten, die Frau … nein, sie selbst, sie noch immer verfolgte.