Rechtsextremismus Rechtspopulismus Mobile Beratung in Thüringen

Die extreme Rechte: Aufstandsphantasien und die Frage nach der Deutungshoheit

Seit Juli gibt es mittlerweile Debatten um die zu erwartende Proteste rund um eine „Energiekrise“. Die Entstehung einer Protestbewegung ist derzeit noch nicht abzusehen. Dabei werden bereits jetzt Szenarien von „Volksaufständen“ verbreitet, die wenig mit seriöser Analyse zu tun haben, aber der extremen Rechten in die Hände spielen. Extrem rechte Akteur*innen sehnen die Krise herbei und planen aktuell vor allem die Deutungshoheit bei den Protesten zu übernehmen.

Seit Sommer 2022 diskutiert die extreme Rechte den zu erwartenden „heißen Herbst“ und ihre damit verbundenen Strategien. Mit der weiteren Zuspitzung der öffentlichen Debatte über zu erwartende Energie-Engpässe verschärfte sich auch die Debatte der extremen Rechten. Dazu beigetragen haben auch verschiedene Äußerungen von Politiker*innen und Personen aus den Sicherheitsbehörden, die quasi bürgerkriegsähnliche Zustände orakelten. Diese Prognosen spielen der extremen Rechten in die Hände und beruhen aktuell kaum auf seriösen Analysen, da über eine Protestbewegung geredet wird, die derzeit nicht existent ist (s. „Der erwartete Herbst der Proteste“ – Ein Gespräch mit David Begrich: https://radiocorax.de/der-erwartete-herbst-der-proteste/). Vielmehr dienen derartige Äußerungen extrem rechten Akteur*innen als Verweisgrundlage für eine angeblich zu erwartende Massivität der Krise und des Protestes. Vor allem die AfD-Thüringen arbeitet an der Verbreitung von Ängsten vor einem „Blackout“ und redet ein Szenario zwischen „Corona-Lockdown“ und fehlendem Gas herbei. Diese Eskalationsstrategie der extremen Rechten bewegt sich zwischen der Konstruktion verschiedener Horror-Szenarien und dem Ruf nach einer Zuspitzung der Proteste. Der Chefredakteur des extrem rechten Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, formulierte seine Vision vor wenigen Tagen bei einer Veranstaltung: „Wir haben in diesem Herbst eine einmalige Chance über die Proteste, die wir zu Corona-Zeiten hatten und die auch schon sehr beeindruckend waren, noch hinaus zu kommen“. Am deutlichsten brachte nun der extrem rechte Verleger Götz Kubitschek die Debatten der extremen Rechten in einer Artikelreihe auf den Punkt. Neben einem grundlegenden Text behandelte er hier die strategischen Optionen für das extrem rechte Milieu im „heißen Herbst“.

„Ein Aufstand ist unumgänglich“

Kubitschkes einleitender Text setzt den grundsätzlichen Rahmen für dessen strategische Planungen und ist als Signal an die eigene Szene zu lesen. So schreibt er hier unmissverständlich: „Ein Aufstand ist unumgänglich“. Er spricht weiter davon, dass die Proteste „nachhaltig, unversöhnlich und grundsätzlich“ werden sollen. Insgesamt bleiben Kubitscheks Texte in einigen Teilen vage. Aber auch Kubitschek kalkuliert bei seinen Überlegungen Gewalt ein, ohne selbst direkt dazu aufzurufen:

„Rechnen wir mit einzelnen Ausrastern, mit unschönem Gebrüll, mit fleischigen Händen, die Kameras niederdrücken, mit verwackelten Bildern fliehender Journalisten, überwundenen Baugittern und mit Wasserwerfern, die in der Dämmerung blaulichtumflackert gegen die Infanterie von rechts in Stellung gehen und ihre Salven zum Schutze der Volksvertreter abfeuern müssen.“

Gewalt wird als Erscheinung offenkundig erwartet, ja in Kauf genommen. Kubitscheks Rede vom „Aufstand“ dürfte im eigenen Milieu auch ohne weitere Aufrufe ankommen. Schon die Wortwahl setzt den Rahmen für die beabsichtigten Protestformen und zeigt eine neue Eskalationsstufe. Noch 2015 sprach er von „Massendemonstrationen“, um den „heißen Herbst“ einzuläuten. Aus der Massendemonstration ist nun eben ein „Aufstand“ geworden. Kubitscheks langjähriger politischer Lehrling Björn Höcke sorgte sogleich für die Verbreitung des Textes und kommentierte emotionalisierend: „Ja, es geht um nichts weniger als die Zerstörung Deutschlands…“. Alles oder nichts. Damit schließt Höcke an eine Formulierung von 2017 an, als er in Dresden sagte, die AfD sei die „letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland“. Auch Höcke betonte im Nachgang natürlich, dass man „kein Interesse an Eskalation“ habe. Genau wie Kubitscheks Text dürfte seine emotionalisierende Kommentierung allerdings beim eigenen Milieu ankommen. Wer „Aufstände“ fordert, um die „Zerstörung Deutschlands“ zu verhindern, dürfte kaum an Schweigemärsche und Mahnwachen denken. Es ist die klassische Strategie, die eigenen Forderungen im Nachgang zu relativieren, doch das Signal an die eigene Szene ist gesetzt.

Widerstand gegen ein Unrechtsregime

Kubitscheks Aufstands-Gedanken setzen sich in der Legitimierung der geforderten „Aufstände“ fort. Wie in den letzten Jahren üblich, konstruiert auch Kubitschek einen Staat, den er versucht als autoritär und illegitim zu beschreiben. Anlass ist unter anderem eine völlig aus dem Kontext gerissene Äußerung Olaf Scholz´, der bei einem Bürgerdialog gefragt wurde, ob er bei Protesten einen „Schießbefehl“ erteilen werde. Scholz antwortete darauf: „Niemand in diesem Land hat vor, dass auf Demonstranten geschossen wird und wer solche Schauermärchen verbreitet, ist ein schlimmer Propagandist“.

Kubitschek nutz den Sachverhalt, um Scholz und die Regierung in eine Nähe zur DDR zu rücken und eine „Notstandsgesetzgebung“ herbeizuschreiben. Kubitscheks Überlegungen münden dann in der Verschwörungserzählung vom „Great Reset“.

„Nahrung bekommen diese Überlegungen dadurch, daß vor ein paar Tagen Bundeskanzler Scholz versicherte, niemand habe die Absicht, auf Demonstranten zu schießen. Die Wortwahl ist verwunderlich, selbst im Kontext klingt der Satz nicht besser, er war nicht als geschmacklos-ironische Anspielung auf die berühmte Nicht-Absicht gemeint, eine Mauer zu errichten. Wie aber dann? Wir sollten eine Möglichkeit nicht für abwegig halten: daß dieser Staat auf die Gelegenheit wartet, die Opposition mit der Begründung zu zerschlagen, ihr Potential richte sich gegen den Staat und seinen Bestand. Damit wir uns richtig verstehen: Es könnte sein, daß die regierungsnahen Warnungen vor einem ‚heißen Herbst‘ etwas heraufbeschwören helfen, dessen Verlauf die Notstandsgesetzgebung aktiviert.Man kann Internetseiten abschalten, Parteien verbieten, Häuser durchsuchen, Arbeitsmittel beschlagnahmen, Anführer einsperren und soziale Gefüge zerstören. So zu denken, solche Konsequenzen in Planungen einzubeziehen, muß für uns selbstverständlich sein. Denn der Anspruch der vier relevanten Regierungsparteien Deutschlands und die Vorstellung der länder- und kontinentübergreifenden Großkonzerne und Lenkungsbehörden gehen in dieselbe Richtung: ohne Störung die Formierung der Massengesellschaft abzuschließen, den Umbau, den Great Reset.“

Ähnlich wie die Wortwahl vom unvermeidlichen „Aufstand“ setzen diese Beschreibungen den Rahmen, in welchem der extrem rechte Vordenker die Proteste sieht und trotz aller Beteuerungen zur Friedlichkeit, wird hier klar ein anderes Szenario beschrieben: Man wähnt sich im legitimen Widerstand gegen ein Unrechtsregime. Schlussendlich geht es Kubitschek um die Deutungshoheit der Proteste. „Wenn wir darüber hinaus den Leuten erklären konnten, was sie gerade erleben, werden wir unser Soll erfüllt haben“. Was eine derartige Gemengelage auf der Straße bedeutet zeigte sich erst unlängst bei einem extrem rechten „Familienfest“ in Gera: Vom lokalen Unternehmer über Björn Höcke bis zum Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke traf sich hier eine Mischszene, um gemeinsam Stimmung zu machen.

Frank Haußner, einer der meistvertretenen Redner auf Veranstaltungen der AfD und der Pandemie-Leugner*innen-Szene sagte Ende August in Gera deutlich:

„Wir sind bereit zur Auseinandersetzung mit dem Unrechtssystem […], wir sind der heiße Herbst“.

Man arbeitet lokal gemeinsam an der Deutungshoheit, eine Abgrenzung zwischen Pandemie-Leugner*innen-Szene, Neonazismus, AfD/“Neuer Rechter“ gibt es – zumindest in Thüringen – längst nicht mehr.