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Deutschland Studie

Warum jetzt viele Deutsche die Todesstrafe fordern

Politik-Redakteurin
Mehr Deutsche sprechen sich wieder für die Todesstrafe aus Mehr Deutsche sprechen sich wieder für die Todesstrafe aus
Neuerdings sprechen sich wieder mehr Deutsche für die Todesstrafe aus
Quelle: Infografik Die Welt
In der Bevölkerung wird der Ruf nach drakonischer Bestrafung von Schwerverbrechern lauter. Dahinter steckt ein Gefühl der Unsicherheit – mit dem die Politik bislang kaum umzugehen weiß.

Dieses Studienergebnis hat die Öffentlichkeit irritiert: Trotz sinkender Zahl von Morden und Totschlägen in Deutschland wächst bei jungen Juristen offenbar der Wunsch nach immer drakonischeren Strafen. Ein Drittel von ihnen findet, dass selbst eine lebenslange Haft bei manchen Straftaten noch zu mild ist. Die Hälfte der Befragten würde einen Verdächtigen foltern, wenn damit ein Menschenleben gerettet werden könnte. Ein Drittel spricht sich sogar für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus.

Für seine Langzeitbeobachtung hatte der Erlanger Jura-Professor Franz Streng zwischen 1989 und 2012 etwa 3100 Jura-Studenten befragt, die gerade mit ihrem Studium begonnen hatten (die „Welt“ berichtete). Die Ergebnisse seiner Langzeitstudie haben den Professor selbst geschockt. Einen einfachen Erklärungsansatz gebe es dafür nicht. Er vermutet jedoch unter anderem, dass die verstärkte Opferorientierung Grund für die Strenge der angehenden Juristen ist. „Die Opferorientierung ist sehr sinnvoll im Strafrecht, und sie ist früher vernachlässigt worden. Sie hat aber auch problematische Nebenwirkungen“, so der Professor. „Wer sich abstrakt für Opferbelange starkmacht, der neigt zu hohen Strafen.“

Sicherheit ist den Deutschen wichtiger als Freiheit

Offenbar folgt die Einstellung der jungen Juristen einem Trend in der Bevölkerung. So hat das Institut für Demoskopie Allensbach für eine Studie des Heidelberger John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung auch die Frage gestellt, was der Staat tun darf, um seine Bürger möglichst gut zu schützen. Das Ergebnis: 24 Prozent sprachen sich dafür aus, bei allen Bürgern verpflichtende Gentests durchzuführen, um Verbrecher schneller identifizieren zu können. Und 25 Prozent plädierten gar für die Einführung der Todesstrafe für Schwerverbrecher.

Generell ist der Befund der Forscher, dass den Deutschen ihre Sicherheit lieber als ihre Freiheit ist. Das Institut an der SRH-Hochschule Heidelberg misst dies in einem umfassend angelegten „Freiheitsindex“. Auf dessen Skala von minus 50 bis plus 50 rangieren die Deutschen in diesem Jahr auf einem Mittelwert von minus sieben. Das heißt: Nach wie vor befindet sich Freiheit damit im Hintertreffen gegenüber konkurrierenden Werten wie Sicherheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Tendenz weiter sinkend.

„Kopf-ab-Jaeger“ kämpfte sogar im Bundestag für die Todesstrafe

Das Allensbacher Institut hat über die Jahrzehnte regelmäßig auch selbst Erhebungen zum Thema Todesstrafe durchgeführt, zuletzt im Jahr 2009. Die Frage hier lautet: „Sind Sie grundsätzlich für oder gegen die Todesstrafe?“ Und obwohl diese in Westdeutschland bereits vor 65 Jahren abgeschafft wurde (In der DDR gab es sie bis 1987 und wurde in mehr als 160 Fälle vollstreckt), gibt es noch immer zahlreiche Anhänger. Zu Beginn der Allensbacher Befragungen im Jahr 1950 hatte sich mit 55 Prozent noch die Mehrheit der Bürger für die Todesstrafe ausgesprochen.

Im Zuge der gesellschaftlichen Liberalisierung sank dieser Wert dann zwischenzeitlich auf einen niedrigeren Stand von 30 Prozent Anfang der 70er-Jahre. Allerdings zeigt sich, dass Ereignisse, die das Sicherheitsgefühl der Menschen beeinträchtigen, den Ruf nach drakonischer Bestrafung wieder wachsen lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Hochphase des RAF-Terrors im Deutschen Herbst 1977, wonach der Umfragewert wieder sprunghaft auf 45 Prozent anstieg.

Damals sprachen sich auch aktive Politiker für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Der CSU-Politiker Richard Stücklen nannte sie beispielsweise „ein Gebot der Gerechtigkeit“. Sein Parteifreund Richard Jaeger, von 1967 bis 1976 Vizepräsident des Deutschen Bundestages, kämpfte derart vehement für die Wiedereinführung der Todesstrafe, dass ihm dieses Engagement bei Kritikern den wenig schmeichelhaften Titel „Kopf-ab-Jaeger“ eintrug.

Viele sehnen sich dann nach dem starken, zupackenden Staat
Detmar Doering, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Solche Stimmen sind seither verstummt. Und dennoch hält sich die Fraktion der Todesstrafenbefürworter in der Bevölkerung hartnäckig. Der niedrigste Zustimmungswert wurde 2009 mit 17 Prozent erreicht. Und nun, 2014, sind es wieder 25 Prozent, wie im „Freiheitsindex 2014“ erhoben.

Für Detmar Doering, Chef des Liberalen Instituts bei der Friedrich-Naumann-Stiftung, ist das ein bedenklicher, aber nicht überraschender Wert. „Wir beobachten seit Längerem, dass die freiheitlichen und rechtsstaatlichen Werte auf dem Rückzug sind“, sagt Doering, dessen Institut beratend bei der Erstellung des „Freiheitsindex“ tätig ist.

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„Gerade in Krisenzeiten sind die Law-and-Order-Parolen populär“, erklärt Doering. Euro-Krise, Ukraine-Krise, internationaler Terrorismus – das geopolitische Umfeld, in dem Deutschalnd sich bewege, werde derzeit immer unruhiger. „Da bricht sich das extreme Sicherheitsdenken, zu dem die Deutschen neigen, schnell Bahn. Viele sehnen sich dann nach dem starken, zupackenden Staat.“

Renate Künast, Spitzenpolitikerin der Grünen und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, findet den wachsenden Wunsch nach Wiedereinführung der Todesstrafe weder plausibel noch nachvollziehbar. „Wer ein ,Auge um Auge‘-Modell befürwortet und Mörder mit dem Tode bestrafen will, der vergisst zweierlei: Erstens hat der Staat die Aufgabe, das Leben der Menschen zu schützen. Und sie nicht zu töten. Und zweitens ist der Staat nicht ein gottgleicher Richter, der unfehlbar über Gut und Böse entscheiden darf“, sagte Künast der „Welt“.

Künast begründet denn auch ihre entschiedene Ablehnung so: „Die Todesstrafe negiert die Menschenwürde. Nicht nur die des Verurteilten, sondern die Menschenwürde aller Menschen. Denn wenn sich der Staat zum Richter über Leben und Tod aufschwingt, nimmt nicht Gerechtigkeit ihren Lauf, sondern Rache und Vergeltung.“

Kriminologisch seien die „irrationalen Ängste“ der Deutschen jedenfalls nicht erklärbar, meint die Ausschussvorsitzende, und sie sucht nach einer Erklärung: „Die Zahl schwerer Straftaten nimmt in Deutschland permanent ab. Zudem weiß die Wissenschaft und die Justiz seit Jahrzehnten, dass die Härte und Höhe von Strafen kaum Auswirkung auf die Anzahl von Straftaten hat. Viel entscheidender ist die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Deswegen stecken wohl eher individuelle oder soziale Befindlichkeiten dahinter.“ Statt auf den Wunsch nach drakonischen Strafen einzugehen, solle der Staat nach Auffassung der Grünenpolitikerin die Rahmenbedingungen für eine verbesserte Grund- und Menschenrechtsbildung und eine höhere Mediennutzungskompetenz junger Leute setzen.

„Gefühl von Ohnmacht und Angst“

Künasts Kollege und Stellvertreter im Rechtsausschuss, der Berliner CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak, kann sich zumindest erklären, woher die Ängste stammen könnten. „Leider gibt es immer wieder Fälle von brutalsten Verbrechen, die in den Augen der Bevölkerung zu milde bestraft werden. Das führt zu einem Gefühl von Ohnmacht und Angst. Daraus können Forderungen nach härteren Strafen und sogar der Todesstrafe erwachsen“, sagte Luczak der „Welt“. „Die Menschen haben ein Grundvertrauen, aber auch die Erwartung an den Staat, dass sie vor Kriminalität geschützt werden.“

Die Abschaffung der Todesstrafe in Art. 102 Grundgesetz sei aber eine bewusste Wertentscheidung der Verfassungsväter und -mütter als Reaktion auf die Nazi-Gräuel gewesen. Diese Motive seien leider von ungebrochener Aktualität, wie die Enthauptungen etwa durch die Terror-Miliz Islamischer Staat zeigten: „Jede Hinrichtung ist ein barbarischer Akt und degradiert einen Menschen zum Objekt staatlicher Macht. Das ist mit der unverbrüchlichen Menschenwürde nicht vereinbar – dafür kann es in einem aufgeklärten Rechtsstaat wie Deutschland keinen Platz geben.“

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