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TV-Kult "Raumpatrouille Orion": Deutsche im Weltall

Foto: WDR/Bavaria / WDR / Bavaria / picture alliance / dpa

TV-Kult "Raumpatrouille Orion" Deutsche im Weltall

Per Bügeleisen-Steuerung zu den Sternen: 1966 startete "Raumpatrouille Orion". Mit irrwitzigen Spezialeffekten simulierte die bekannteste deutsche Science-Fiction-Serie den Krieg im Weltall. Halb Deutschland sah zu, doch das Aus kam schnell. War die Saga zu schlecht? Oder gar faschistoid?
Von Frank Behrens

Am 17. September 1966 sah etwa die Hälfte der Deutschen die Zukunft. An diesem Abend feierte die erste Folge von "Raumpatrouille - Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion" ihr Fernsehdebüt. Josef Hilger gehörte damals zur anderen Hälfte. Seine Eltern wollten dem Neunjährigen nicht erlauben, die erste deutsche Science-Fiction-Serie anzuschauen, obwohl die meisten seiner Klassenkameraden sie sehen durften. Vielleicht war es dieses Verbot, das wenig später seine Jahrzehnte andauernde Leidenschaft entflammte.

Rund 50 Prozent der Fernsehzuschauer sahen die sieben Folgen der "Raumpatrouille" im Herbst 1966. Dabei waren sie eigentlich davor gewarnt worden - von einer Presse, die dem Phänomen "Science Fiction" verständnis- bis fassungslos begegnete. Das Berliner Boulevardblatt "B.Z." attestierte der Serie, sie sei "pseudowissenschaftlicher Quatsch" und gebäre eine "Utopie ohne Geist". Der Informationsdienst "Kirche und Fernsehen" beklagte, insbesondere die Dialoge seien "zu kompliziert für das Publikum". Und noch 1975, neun Jahre nach der Erstausstrahlung, schimpfte die Münchner "tz" anlässlich einer Wiederholung: "Kein Schwachsinn ist offenbar groß genug, um nicht wiederholt zu werden."

Auch der SPIEGEL wusste im September 1966 nicht so richtig, was mit der "Zukunftsserie" anzufangen ist. Der Autor hielt sich an die Fakten: Die Produktionskosten dieser bislang aufwendigsten deutschen TV-Serie - sieben einstündige Folgen zu einem Gesamtpreis von 3,4 Millionen Mark - würden sich die ARD-Stationen in Köln, Stuttgart, Hamburg und Baden-Baden mit dem französischen Fernsehen teilen, vermeldete man und stellte fest: "Mit den phantastischen Abenteuern des Raumschiffes Orion (so der Untertitel der Serie)" suchten die Sender "Anschluss an die anglo-amerikanischen TV-Fabrikanten, die ihre Heimkinos schon seit Jahren mit zukunfts-fiktiven Schockern füttern."

All dies konnte Josef Hilger nicht beeindrucken. Er sah die Sendung zwar erst zwei Jahre später, bei der ersten Wiederholung im Nachmittagsfernsehen 1968. Trotzdem war er vollkommen aus dem Häuschen. "Ich hatte nichts anderes mehr im Kopf", erinnert sich Hilger. Emsig schnitt er die Programmhinweise zur Serie aus der Fernsehzeitschrift "Hörzu" aus und stellte sie zu einer ersten kleinen Sammlung zusammen.

Planetenexplosion - mit Kaffee, Reis und Hochdruckgebläse

Es sollte nicht dabei bleiben. "Als ich älter wurde, kamen Autogramme der Schauspieler hinzu." Auf die Autogramme folgten Teile der Original-Deko und Kostüme. Hilger ließ jedoch auch da noch nicht locker. Er wandte sich an die Produktionsfirma, die WDR-Tochter Bavaria in München. 1986 schließlich kam er in persönlichen Kontakt mit Rolf Zehetbauer, der die Kulissen der Serie verantwortet hatte. "Davon bekam als erster Hans Gottschalk, einer der Produzenten, Wind. Der lud mich ein. So kam die Sache ins Rollen."

"Die Sache", das war Hilgers Buchprojekt. "Raumpatrouille - Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion", 2005 erschienen, gilt als Standardwerk zur TV-Serie. Dafür verbrachte Hilger damals etliche Wochenenden zur "Orion"-Recherche in München. "Samstags bin ich hingefahren, Sonntagabends zurück", sagt er. Hilger konnte viele Bilder abstauben. Darunter einige Fotos, die hinter den Kulissen geschossen worden waren, etwa bei den Trickaufnahmen, dem eigentlichen Highlight der Produktion.

"Die heute oft belächelten Spezialeffekte waren das Beste vom Besten, was der deutsche Film in dieser Hinsicht damals zu bieten hatte", sagt Hilger. Allein die Entwürfe von den Raumschiffen, den Außerirdischen, den Unterwasserwelten und der Startrampe anzufertigen, dauerte mehr als ein Jahr.

Es wurde viel experimentiert. Götz Weidner, der Filmarchitekt, etwa baute die Gipskugel, mit deren Hilfe die berühmte "Overkill"-Szene, eine Sternenexplosion, gefilmt wurde. "Die riesige Kugel füllten wir mit allem Möglichen. Kaffee, Reis, Sand und Puderzucker. Dann wurde mit einem Hochdruckgebläse hineingepustet und das Ganze mit einer Highspeed-Kamera aufgezeichnet."

Die Unterwasserstarts der Orion wurden mit Hilfe von Brausetabletten dargestellt, die in Wasser gelöst wurden. Die Aufnahmen wurden gekippt und vor ein ausgeschnittenes Foto der Orion montiert. Als das Drehbuch eine Supernova-Explosion vorsah, "schmierten wir einfach eine Holzkugel mit Brandmasse ein", erzählt Weidner. "Am nächsten Tag hängten wir sie an ein Seil und zündeten sie an." Der zugehörige Feuerschweif wurde mit einem Blechstreifen simuliert, der ebenfalls mit Brandmasse präpariert worden war.

Bügeleisen-Kult im Steuerpult

Der Charme der Serie liegt für Weidner "in der Chuzpe, mit der wir damals an die Sache herangegangen sind. Die technisch wie finanziell beschränkten Mittel wurden auch durch die Schwarzweiß-Technik verdeckt." Für das berühmte Bügeleisen (Marke Rowenta) im Steuerpult auf der Orion-Kommandobrücke ist nicht Weidner verantwortlich, sondern Kulissenbauer Rolf Zehetbauer, dem aufgefallen war, dass Hausgeräte und Badezimmerarmaturen seinerzeit die Vorhut der Design-Avantgarde bildeten. Außer dem Bügeleisen baute Zehetbauer auch Duschköpfe und Minenspitzer als weitere Bedienelemente des Raumschiffes in die Deko ein.

In den achtziger Jahren sollte die Serie eine Renaissance erleben: Die Filme wurden 1985 im Rahmenprogramm der Berlinale gezeigt. Anschließend war die TV-Serie regelmäßig in langen Filmnächten im Berliner Sputnik-Kino zu sehen. "Vorführungen an Unis taten Ende der achtziger Jahre das Ihre, um den Kultcharakter der 'Orion' zu festigen", sagt Hilger.

"Wir waren dumm, dass wir damals fast nichts aufgehoben haben", kommentiert Weidner heute den späten Hype. Mit all den Dingen, die damals auf dem Schrott landeten, könnte man heute viel Geld machen. "Aber die Serie war für uns einfach vorbei." Weidner spricht damit eine beliebte Verschwörungstheorie der "Orion"-Fans an: die Frage, warum es bei sieben Folgen, dazu nur in Schwarzweiß, geblieben ist. Manche Fans glauben hartnäckig an das Gerücht, dass in den Bavaria-Tresoren weitere, in Farbe gedrehte Folgen schlummern, die aufgrund der negativen Kritik der späten sechziger Jahre nie gezeigt wurden.

Nur sieben Folgen wegen Faschismus-Verdacht?

Einige Jahre nach ihrer Erstausstrahlung war der Serie unterstellt worden, sie habe faschistoide Züge. Weidner glaubt, dass dies an der Vorlage des Autors Rolf Honold lag: "Das militaristische Gepränge haben die Regisseure Michael Braun und Theo Mezger sogar schon abgemildert." "Orion"-Produzent Helmut Krapp meint: "Kritiker haben uns dies mit Recht vorgeworfen." Schon allein deshalb habe sich eine Fortführung nach der Erstausstrahlung der letzten Folge am 10. Dezember 1966 verboten.

Josef Hilger hat mit vielen Beteiligten gesprochen und von zwei weiteren Theorien zum Ende der Serie gehört. Produzent Hans Gottschalk sei der Meinung gewesen, es habe an der zündenden Drehbuchidee für Fortsetzungen gefehlt. Und Bavaria-Generaldirektor Helmut Jedele glaubt, das Unternehmen habe sich mit der "Orion" personell und finanziell übernommen. Der Filmkritiker Markus Risser meint, dass eine Fortsetzung in Farbe nötig gewesen wäre: "An der Schwarzweißoptik soll auch ein Verkauf der Serie in die USA gescheitert sein."

"Orion"-Experte Hilger bedauert nicht, dass keine weiteren Folgen der Serie existieren: "Wahrscheinlich konnte der Kult nur so entstehen."

Die "Enterprise" war übrigens am 8. September 1966, neun Tage vor der "Orion", im US-Farbfernsehen auf Jungfernfahrt gegangen und fliegt bis heute. Vielleicht fehlte der "Orion" tatsächlich schlicht die Farbe, um die Zukunft nicht nur zu zeigen, sondern auch eine zu haben.