Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Graphic Novel: "Tschechenkrieg"
Historischer Abenteuerroman

Mit dem Comic "Alois Nebel" wurde der Tschechische Zeichner Jaromir 99 weltberühmt. Nun präsentiert er auf der Leipziger Buchmesse seine aktuelle Arbeit "Tschechenkrieg" - in der es um viel tschechische Geschichte und das größte Fiasko der DDR-Volkspolizei geht.

Andrea Heinze im Gespräch mit Christoph Reimann | 22.03.2019
Der tschechische Comiczeichner, Maler und Sänger Jaromir 99 am Vorabend der Buchmesse Leipzig mit der Kafka Band in der Schaubühne Lindenfels (20.03.2019)
Der tschechische Comiczeichner, Maler und Sänger Jaromir 99 am Vorabend der Buchmesse Leipzig mit der Kafka Band in der Schaubühne Lindenfels (ZB (dpa / Jens Kalaene))
Mit dem Comic "Alois Nebel" um einen Eisenbahnwärter ist der tschechische Zeichner Jaromir 99 weltberühmt geworden. Das war im Jahr 2013 und damals hat er den Stoff mit dem Schriftsteller Jaroslaw Rudis zusammen erarbeitet - der gerade für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Nun ist sein aktueller Comic "Tschechenkrieg" fertig - der pünktlich zur Leipziger Buchmesse auch auf Deutsch erscheint - auf der Buchmesse ist Tschechien in diesem Jahr Gastland. "Tschechenkrieg" hat Jaromir 99 zusammen mit dem Schriftsteller Jan Novak gezeichnet - und die beiden hat meine Kollegin Andrea Heinze in Leipzig getroffen.
Christoph Reimann :"Alois Nebel " ist nach einer wahren Geschichte erzählt - ist das bei "Tschechenkrieg" genau so?
Nationalheld erteilt Söhnen einen Auftrag
Andrea Heinze : Ja, es geht um zwei Brüder, die nach dem 2. Weltkrieg erleben, wie die Sowjets ein kommunistisches Regime aufbauen und die das so sehr hassen, dass sie in den Untergrund gehenund Sabotageakte organisieren.Das hat Familientradition: der Vater war im 2. Weltkrieg Oberstleutnant und hat in der tschechischen Armee gegen Nazideutschland gekämpft - und zwar auch noch, als sich die Tschechen längst ergeben hatten. Dieser Oberstleutnant Maschin wurde von den Nationalsozialisten gefasst, in der Haft umgebracht und ist direkt nach dem Krieg zu einem Nationalheld geworden. Und er hat den Söhnen einen Auftrag hinterlassen, dass auch sie immer für die Freiheit kämpfen sollen.
Reimann : Und wie wird das jetzt im Comic erzählt?
Heinze: Das ist im Comic sehr geschickt erzählt - nämlich in einem Bericht,den einer der Brüder Maschin in seiner Haft verfassen muss - denn auch diese Untergrundgruppe der Maschin-Brüder ist aufgeflogen -und als die dann aus der Haft entlassen werden,weil die Polizei ihnen doch nicht so ganz auf die Schliche gekommen ist, da beschließen sie durch die DDR in den Westen zu fliehen - das war 1953. In der DDR werden sie von Hundertschaften der Volkspolizei gejagt - und nicht gefasst - die Aktion hieß damals übrigens "Tschechenkrieg" und sie gilt als größtes Fiasko der DDR Volkspolizei. In diesem Comic ist also ganz viel tschechische Geschichte enthalten.
Reimann : Alois Nebel, um darauf noch einmal zurückzukommen, war ja gezeichnet in fast schon poetischen Schwarz Weiß Bildern. Wie sieht das jetzt bei der neuen Geschichte aus?
Heinze : Ganz anders. Der Tschechenkrieg ist viel rauer gezeichnet, die Gesichter sind viel kantiger, ernster.Ich finde, er fängt die Atmosphäre der 50er Jahre sehr gut ein, mit den gedeckten Farben und steifen Hüten, und Jaromir hat mir erzählt, dass er sich dafür Vorbilder aus den 50er Jahren gesucht hat.
Es geht um Leben und Tod
"Für den Comic Tschechenkrieg wollte ich diesen Look des sowjetischen Realismus reproduzieren. Ich habe dafür eine Menge Plakate und Gemälde studiert. Es war aber auch eine Reise in meine eigene Kindheit, als ich "Schnelle Pfeile" - die Comicserie von Jaroslav Foglar gelesen habe, ein Klassiker, den damals jeder tschechische Junge gelesen hat. Ich hab noch mal die alten Hefte rausgeholt und wollte genau diese gedeckten Farben verwenden und diese Anmutung eines billigen, schlechten Drucks. Ich wollte so ein Gefühl für die Atmosphere damals erzeugen, die sehr ungemütlich war. Damals ging es oft um Leben und Tod, um Flucht. Das hat auch etwas von einer Abenteuergeschichte."
Heinze: Tatsächlich sind die stärksten Szenen Abenteuerszenen: die Flucht durch die DDR, wo Suchscheinwerfer das Dunkel der Nacht durchschneiden, Kugelhagel das Schneegestöber stört und dazwischen immer wieder die dunklen Umrisse der flüchtenden Männer, das ist schon stark.
Reimann: Ist Tschechenkrieg also vor allem Abenteuercomic oder historischer Comic?
Brutale Zeit und mörderisches Regime
Heinze: Man bekommt schon eine Vorstellung davon, was in den 50er Jahren in der Tschechoslowakei los war, aber es ist vor allem eine Abenteuergeschichte. Mir persönlich sind die Motive der Maschin Brüder doch zu kurz gekommen die ballern zum Beispiel auf ihrer Flucht ziemlich oft einfach los, bringen damit einige Menschen um und es scheint ihnen egal zu sein.
Ich hab mich gefragt, ob die in ihrem Hass auf den Kommunismus vielleicht auch unmenschlich und verroht geworden sind - und Jan Novak, der diese Geschichte für einen 700 Seiten starken Roman recherchiert - und jetzt für den Comic umgeschrieben hat meinte dazu: "Der kalte Krieg war nicht so kalt in der Tschechoslowakei. Das Regime hat rund 300 Menschen hinrichten lassen, tausende sind in Lagern gestorben, oder an der Grenze oder haben sich umgebracht. Und Hunderttausende saßen im Gefängnis. Es war also eine sehr brutale Zeit damals - und die Brüder haben sich entsprechend verhalten. Aber die haben niemanden getötet, der nichts mit diesem mörderischen und stalinistischen Regime zu tun hatte."
Heinze: Der Comic macht das leider nicht so klar -und zeichnet diese Schießereien der Maschins vor allem als Heldentaten. Ich würde sagen, "Tschechenkrieg" als Comic kann neugierig machen auf die Tschechoslowakei der 50er Jahre und ich würde jetzt aber gern auch den Roman lesen,der immerhin auch auf Englisch erschienen ist.