Der Ton ruftHeute beim Mittagessen platzte es aus Jinok heraus: “Wir Menschen essen zu viel! Alle sollten mal zwei Tage lang nichts essen, dann würden sie merken, wie die Geschmacksnerven viel sensibler werden. Dann würde man den Apfel oder den Reis oder den Fisch ganz anders wahrnehmen.” Hmm, heißt das nun, man müsse Verzicht üben? Nunja, geprägt in Südkorea, spricht Jinok über eine Lebenseinstellung, die ihren Ursprung im Seon Buddhismus (Seon; jap. = Zen) hat. Nicht nur in den buddhistischen Tempeln bei den Nonnen und Mönchen, sondern auch in der breiten Bevölkerung existiert eine tiefe Verbundenheit mit der wortwörtlichen Kostbarkeit von Speisen. Und – das muss erwähnt werden – sie fußt auch auf einer Geschichte beladen von Mangel und Hunger. Es blieb den Menschen gar nichts anderes übrig als der Natur mit Erfindungsreichtum unendlich experimentell Nahrhaftes zu entlocken und Möglichkeiten zu entwickeln, die unmöglichsten Dinge genießbar zu machen. Eine wahnsinnige Freude am Kochen, und eine leidenschaftliche Kultur des Speisens ist daraus entstanden. In einem Maß, das wir hier in Europa uns nicht vorstellen können und – belehrt mich eines Besseren – hier nicht kennen, weil dahinter eine komplett andere Lebenseinstellung steht. Das Leben ist einfach und immerfort zerbrechlich. In der Einfachheit hängt alles mit allem zusammen und nur ein Weg führt zum Ziel, ein einziger Weg: aufeinanderzugehen. Beim Kochen und Essen heißt das: auf die Natur eingehen. Korea lehrt: Essen ist Wurzeln - in beide Richtungen: wurzeln in der Natur, sich mit ihr vereinen, nicht gegen sie arbeiten. Und wurzeln im Körper, dem Organismus eine Medizin sein, damit Körper und Geist in der Balance bleiben. Vereinigung, Balance, Harmonie - mit der Natur und für den Körper - das sind die Wurzeln der alten koreanischen Esskultur. In der Philosophie dieser Küche geht es nicht um technisches Equipment, nicht um Rezepte und Kochtechniken, es geht um Leben. So abgedroschen es klingen mag: Alles fließt. Lebendige Prozesse. Die eigene Energie geht durch die Hand jener, die kocht, ins Essen über. Und auch die Zeit fließt ins Essen. Fast alles wird in Korea fermentiert, das heißt: bis der Gärvorgang ein Gericht reift gemacht hat, dauert es. Die Zeit macht es, da braucht die Küche nicht viele Geräte und Kochbestecke. Im Keller blubbernd, in die Erde verbuddelt und die Hand als Medium der Körperkräfte, so lebt diese Küche. Küche als Lebenselixier. Es müssen nicht die exquisitesten Zutaten im Rolli vorfahren, und dann werden damit Dinge – mitunter asiatisch angehaucht – kunstvoll fabriziert, nein ganz anders: man lebt mit den lebendigen Vorgängen im Keller. Beobachtet, wie die Natur das Essen macht. Das ist wahrlich eine andere Philosophie. “Das ist der wahre Luxus!”, ruft Jinok, “man muss nicht Buddhist sein, auch nicht Koreanerin. Dieser Luxus ist hervorragend auf die Gegenwart übertragbar. Man muss nur die Einstellung ändern.” Während Jinok so in die Welt hinaus ruft, bebt ihr Körper und voller Tatendrang geht sie nach dem Mittagessen wieder hoch ins Atelier, verwandelt ihr Rufen in die Form eines keramischen Gefäßes.
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