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Historiker über die Treuhand : "Die Politik ließ die Treuhand an der langen Leine laufen"

Der Historiker Dierk Hoffmann hat die Akten der Treuhand ausgewertet. Danach hat die Behörde als "Blitzableiter" gedient und war mit zu vielen Aufgaben überfrachtet.

22.08.2022
2024-03-04T11:10:11.3600Z
6 Min

Herr Hoffmann, der schlechte Ruf der Treuhand sollte mit dem Forschungsprojekt am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) versachlicht werden: Ist das gelungen?

Dierk Hoffmann: Das Ziel des Forschungsprojektes ist die wissenschaftliche Aufarbeitung der Tätigkeit der Treuhand. Das wurde erst ab 2017 möglich, weil sich bis dahin die Treuhandakten noch nicht im Bundesarchiv befanden; erst dadurch wurden die Treuhandakten öffentlich und allgemein zugänglich. Inwieweit unsere Forschungsergebnisse die öffentliche Debatte beeinflussen werden, das bleibt abzuwarten. Aber ich bin da relativ zuversichtlich.

Foto: privat
Dierk Hoffmann
ist stellvertretender Abteilungsleiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ). Dort leitete er von 2013 bis 2021 das Forschungsprojekt zur Treuhand.
Foto: privat

Ein Forschungsgegenstand ist, welche Folgen die Privatisierungspolitik der Treuhand für die ostdeutschen Regionen hatte. Welche Erkenntnisse liegen Ihnen dazu heute vor?

Dierk Hoffmann: Was wir unter anderem untersucht haben, sind die Entscheidungsprozesse, die zu den Privatisierungen oder Abwicklungen der Unternehmen geführt haben. Die Treuhand spielte dabei nicht immer die zentrale Rolle, vielmehr gab es eine Vielzahl von Akteuren, die maßgeblich mitgewirkt haben. Dabei sind vor allem das Bundeskanzleramt, die Bundesministerien für Finanzen und für Wirtschaft, aber auch Landesregierungen und Landesministerien sowie Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zu nennen. Die Privatisierung war ein Aushandlungsprozess über die Zukunft der ostdeutschen Betriebe. Die Treuhand hat zwar eine wichtige Rolle gespielt, aber keineswegs die alleinige, führende Rolle.

Können Sie das konkretisieren?

Dierk Hoffmann: Es gibt regional sehr große Unterschiede, es gibt Regionen, in denen sich die Industriestruktur weitgehend aufgelöst hat. Ein Beispiel dafür ist die Textilindustrie in Ost-Sachsen. 70 Prozent der DDR-Textilindustrie waren dort angesiedelt, heute ist davon nichts mehr übrig. Sachsen ist ein Beispiel dafür, wie extrem die Gegensätze sein können: Auf der einen Seite gab es dort komplette Deindustrialisierung, während Regionen um Dresden und Leipzig florierten. Auch in Thüringen sind solche Prozesse sichtbar. Diese Gegensätze sind in der öffentlichen Wahrnehmung bislang noch nicht so präsent, die Deindustrialisierung wird als Pauschalentwicklung für Gesamt-Ostdeutschland angesehen. Dabei gab es stellenweise auch eine Re-Industrialisierung, zum Beispiel das Chemie-Dreieck in Sachsen-Anhalt oder die Optik in Jena und die Stahlwerke in Brandenburg. Diese Betriebe wurden allesamt privatisiert und saniert.

Wieso hatte die Treuhand keinen Überblick darüber, welche Betriebe saniert werden können und welche nicht?

Dierk Hoffmann: Die Treuhand existierte nur eine sehr kurze Zeit, von 1990 bis 1994, aber es gab eine Nachfolgeeinrichtung, die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist, nämlich die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS). Die Treuhand war überfordert mit den Aufgaben, die sie erledigen sollte. Dazu gehörte nicht nur die Privatisierung der Betriebe, sondern auch der Strukturwandel, die Regelung der Altschuldenfrage, die Umweltsanierung und die Mitgestaltung der Arbeits- und Sozialpolitik. Diese Aufgaben wurden der Treuhand zugewiesen, in dem Maße, in dem die Arbeitslosigkeit und die Unzufriedenheit in Ostdeutschland anstiegen. Die Treuhand startete 1990 mit 380 Mitarbeitern, bis 1993 wurde die Zahl auf fast 4000 erhöht, dem standen jedoch rund 12.000 Unternehmen gegenüber. Eine engmaschige Betreuung der Betriebe war somit kaum möglich. Die Treuhand war für die Privatisierung der gesamten DDR-Wirtschaft zuständig, nicht nur für einzelne Branchen oder für die Großbetriebe, das war eine historisch einmalige Aufgabe.

Foto: picture-alliance / dpa | Sophie Tummescheit

Über dem Eingang des Hauses der Demokratie in Berlin ist am 23.2.1998 ein Transparent mit der Aufschrift "Die Treuhand will auch dieses Haus verkaufen!" befestigt.

Sie sagen, die Treuhand war auch für den Strukturwandel zuständig. Wo gab es da Probleme?

Dierk Hoffmann: Dafür gab es keinen Masterplan. Allgemein bekannt war, dass die DDR-Wirtschaft Ende der 1980er Jahre rund zehn Jahre im Rückstand zur westlichen Industrie lag, vor allem in der Mikroelektronik und im Maschinenbau. Dazu kam noch, dass die DDR-Industrie stark von der Schwerindustrie geprägt war, die sich in West-Europa bereits seit den 1950er Jahre im Krisenmodus befand, wie beispielsweise beim Bergbau, aber auch bei den Werften. Dieser Rückstand musste ab 1990 in kürzester Zeit aufgeholt werden. Die Treuhand hatte sich dabei nicht nur mit den Landesregierungen und der Bundesregierung abzustimmen, sondern auch mit den damaligen EG-Institutionen und den Mitgliedsstaaten der EG. Diese Aushandlungsprozesse waren kompliziert, vielseitig und zeitintensiv.

Konnten Sie herausfinden, welchen Einfluss genau die Bundesregierung auf die Behörde hatte, und welchen die Bundesländer?

Dierk Hoffmann: Die Treuhand-Anstalt war eine nachgeordnete Behörde, Dienst- und Fachaufsicht hatte das Bundesfinanzministerium, in Absprache mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Allerdings agierte die Treuhand relativ autonom und wurde von der Politik an der langen Leine laufen gelassen. Erst mit dem Aufkommen massiver öffentlicher Kritik, ab Mitte 1991, gab es mehr Kontrollversuche durch die beiden Bundesministerien, aber auch durch das Bundeskanzleramt und den Bundestag. 1993 wurde ein Treuhand-Untersuchungsausschuss eingerichtet; somit gab es eine Reihe von Instrumenten, mit denen die Arbeit der Treuhand kontrolliert werden sollte.

Der Arbeitsplatz hatte in der DDR einen besonderen Stellenwert, er diente nicht nur dem Gelderwerb, sondern war auch Freizeit-, Bildungs-, Ferieneinrichtung. Hätten Teile dieser "sozialistische Arbeitswelt" erhalten werden können?

Dierk Hoffmann: Es ist nach unserer Erkenntnis eine der größten Verlusterfahrung der ostdeutschen Arbeitnehmer, dass sie nicht nur den Arbeitsplatz verloren haben, sondern auch das gesamte kulturelle und soziale Umfeld wegfiel. In Westdeutschland ist das nach wie vor nicht zur Kenntnis genommen worden, was an den unterschiedlichen Wirtschaftssystemen liegt. Die sozialistische Arbeitswelt bot in großen Betrieben und Kombinaten neben dem Arbeitsplatz Kindergärten, Polikliniken, Ferienheime und vieles mehr; das fiel 1990 ersatzlos weg. Es gab zwar den Versuch bei der Treuhand und bei der Politik, Teile davon zu retten. So sollten Kommunen bestimmte Bereiche davon übernehmen, aber insbesondere in den ländlichen Regionen ist davon bis auf die Freiwillige Feuerwehr und die Volkssolidarität nichts übriggeblieben. Anfang der 1990er Jahre hätte man sehr viel mehr gegensteuern können, um für die ostdeutsche Gesellschaft Stabilitätsanker zu schaffen. Allerdings war den meisten Westdeutschen die sozialistische Arbeitswelt komplett fremd. Die enge Fokussierung auf den Betrieb gab es in der westdeutschen Wirtschaftsordnung nirgends.

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Im Zusammenhang mit der Arbeit der Treuhand gibt es immer wieder den Hinweis darauf, die Behörde habe das Aufkommen von Oligarchen verhindert. Ist das tatsächlich so?

Dierk Hoffmann: Die Treuhand-Anstalt ist eine ostdeutsche Erfindung, von der Bürgerrechtsbewegung von im Herbst 1989/1990 entwickelt. Die Behörde wurde geschaffen, um zu verhindern, dass die alten Funktionseliten sich an dem Volkseigentum bereichern. In Ostdeutschland entstanden keine oligarchischen Strukturen, wie wir sie in Russland und in Teilen Osteuropas kennen. Es gab zwar die Debatte um "alte Seilschaften", bestehend aus SED, Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit und Kombinatsführung, die sich angeblich Betriebe zuspielen würden; aber das konnte die Treuhand-Anstalt verhindern, was der Behörde auch als Verdienst angerechnet werden kann. Ab Ende 1990 hat die Treuhand unter anderem ein Controllingsystem aufgebaut und solche Vorwürfe geprüft. Die Unterlagen, die wir durchsehen konnten, zeigen, dass das Ausmaß von Seilschaften bei der Privatisierung der Betriebe relativ gering gewesen ist, und dass diese Vorgänge bereits zeitgenössisch publik geworden sind. Betroffen waren vor allem mittlere und kleinere Betriebe.