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EG-KOMMISSION Es geht nicht

Bonns Pläne, die Brüsseler Kommission aufzuwerten, sind gescheitert -- an den innenpolitischen Schwierigkeiten von Frankreichs Giscard d"Estaing.
aus DER SPIEGEL 10/1976

Kanzler Helmut Schmidt, der Außenpolitik gern fernmündlich oder im direkten Gespräch abwickelt, suchte in Brüssel vergeblich nach einem angemessenen Partner. Denn, so urteilte Schmidt über die Galerie der Präsidenten der Brüsseler EG-Kommission: »In den vergangenen 17 Jahren war kaum jemals ein erstklassiger Politiker darunter.« Präsidenten waren in diesem Zeitraum Hallstein, Rey, Malfatti, Mansholt und Ortoli.

Dem Kanzler schien es unerträglich, daß die Kommissions-Präsidenten und die »übrigen Hanseln« (so Schmidt im Oktober in Bonn), die das Brüsseler 13-Mann-Kollegium bilden, fast nur nach innenpolitischen Gesichtspunkten ausgewählt und in die Europa-Behörde entsandt wurden.

Brüsseler Kommissare bekamen ihren Job als Folge eines Koalitionskompromisses oder wurden, weil innenpolitisch unbequem, in die EG-Behörde fortgelobt. »Oder der Mann hat noch keine Pension, schicken wir ihn nach Brüssel, da kriegt er eine« (Schmidt).

Nach Schmidts Vorstellungen sollte dieser Schlendrian verschwinden. Bei den übrigen acht Regierungschefs der Neuner-Gemeinschaft warb der Kanzler für eine »neue Kommission«, deren Präsident vor allem wegen seines hohen Standings vom Europäischen Rat, dem dreimal jährlich tagenden Gremium der EG-Regierungschefs, ernannt werden solle. Der künftige Kommissions-Präsident würde dann »ganz erheblichen Einfluß« auf die Zusammensetzung seines Teams haben, denn, so Schmidt: »Das gibt es doch in keinem Land der Welt, daß eine Regierung aus den divergierendsten Faktoren zusammengesetzt wird.«

Das wird es auch in Zukunft geben. Zwar hatte noch Anfang des Jahres der belgische Premier Leo Tindemans die Kommissionsvorschläge des deutschen Kanzlers in seinen »Bericht zur Europäischen Union« aufgenommen, doch schon vier Wachen später mußte sich Schmidt von Frankreichs Staatspräsident Giscard d"Estaing in Nizza sagen lassen: »Es geht nicht.«

Der Franzose, von Schmidt immer wieder als wichtigster Verbündeter in der Europa- und Weltwirtschaftspolitik hervorgehoben, mußte sein Unvermögen eingestehen, einer Ausweitung der Kompetenzen für den künftigen Kommissionspräsidenten zuzustimmen.

Giscard nämlich hatte sich für EG-weite Direktwahlen zum Europäischen Parlament schön für 1978 innenpolitisch stark gemacht und trifft dabei auf schärfsten Widerspruch sowohl der Kommunisten wie des rechten gaullistischen Flügels. So erregte sich de Gaulles einstiger Musterschüler und Ex-Premier Michel Debré: »Die allgemeinen Wahlen zum Europäischen Parlament führen zum Atlantismus« -- gaullistisches Synonym für die gefürchtete US-Hegemonie in Westeuropa.

In der Zange zwischen Gaullisten und Kommunisten wollte Giscard die Europa-Debatte nicht noch weiter anheizen: Die Brüsseler Kommission, einst von de Gaulle entmachtet, soll weiter ohnmächtig bleiben.

Dabei weiß Kanzler Schmidt sogar schon einen Kandidaten für die Präsidentschaft der EG-Kommission, die am 1. Januar 1977 ihre Arbeit aufnehmen wird: Beim Kanzler-Besuch in London einigte er sich mit Englands Premier Harold Wilson auf Sir Christopher Soames, gegenwärtig Kommissar für Außenbeziehungen der Gemeinschaft.

Der trinkfeste Brite, als Schwiegersohn Churchills bei den britischen Konservativen schnell prominent geworden, hatte es in den sechziger Jahren als Botschafter in Paris gar vermocht, den englandfeindlichen de Gaulle für sich einzunehmen.

Sollte Soames für das Präsidentenamt Interesse zeigen -- Wilson will Mitte März das Angebot formell unterbreiten -, dürfte der massige Brite noch in diesem Sommer von den EG-Regierungschefs gewählt werden.

Sein Mitspracherecht bei der Auswahl seiner zwölf Kommissionskollegen allerdings wird ähnlich beschränkt bleiben wie in der Vergangenheit. Das deutsche Kommissionsmitglied Guido Brunner erwartet allenfalls, daß er »sicher in der Sondierungsphase gehört wird«.

Sicher ist zunächst nur, daß es in der Kommission »viele neue Gesichter geben wird« (Brunner): Präsident François-Xavier Ortoli wird Brüssel verlassen. Der honorige, aber glücklose Korse operierte in den letzten Jahren ohne die Unterstützung seines Präsidenten Giscard d'Estaing. Sein Landsmann Claude Cheysson, der seit 1973 mit Geschick und Erfolg das Ressort Entwicklungspolitik führte, muß auf Drängen des französischen Premiers Chirac seinen Europa-Job aufgeben.

Auch die beiden italienischen Kommissare, der sozialistische Altiero Spinelli und Christdemokrat Carlo Scarascia Mugnozza, werden nach Rom zurückkehren. Während der Ire Patrick Hillery und der niederländische Agrarkommissar Petrus Lardinois auf Wunsch ihrer Regierungen als Kommissare ausscheiden sollen, will der belgische Energie-Kommissar Henri Simonet in der Innenpolitik seines Landes Karriere machen,

Einem Präsidenten Soames bleiben unter anderem die beiden deutschen Kommissare Wilhelm Haferkamp und Guido Brunner, der einstige Vertraute Walter Scheels und Chef des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Derzeit für das wenig attraktive Forschungsressort dei- EG-Behörde zuständig, hat Brunner gute Aussichten, sich bald wieder mit auswärtigen Beziehungen zu beschäftigen: Soames hat durchblicken lassen, daß er Brunner gern als seinen Nachfolger im Amt des Außen-Kommissars sehen würde -- vorausgesetzt, die Regierungschefs erheben keine Einwände.

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