Ein Meilenstein für die deutsche Energieversorgung? Der neue deutsche Flüssiggas-Deal mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ist eher unbedeutendes Beiwerk einer größeren Vereinbarung. Um ohne Probleme durch den Winter zu kommen, sind andere Lieferanten entscheidender.
Als die Tinte trocken war, herrschte an Superlativen kein Mangel mehr. Von einer „wegweisenden neuen Vereinbarung“ mit dem deutschen Besucher-Tross sprach Sultan Ahmed al-Dschaber, Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate. Als „wichtigen Meilenstein“ bezeichnete der deutsche Energieriese RWE den getroffenen Deal. Und Bundeskanzler Olaf Scholz „begrüßte“ immerhin im Rahmen seines Staatsbesuchs die Vereinbarung: Man habe jetzt schon „eine ganze Reihe“ von Energieprojekten mit den Emiraten vorangebracht.
Insgesamt 137.000 Kubikmeter Flüssiggas (LNG) wird RWE durch den am Sonntag verkündeten Deal beim emiratischen Ölunternehmen Adnoc ankaufen. Es ist die erste Lieferung, die Ende des Jahres beim neuen LNG-Terminal in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) eintreffen soll. Doch was zunächst beeindruckend klingt, relativiert sich schnell mit einem Blick auf die Zahlen. Denn für ein energiehungriges Land wie die Bundesrepublik sind 137.000 Kubikmeter nicht besonders viel.
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Ein Schiff für einen halben Tag
Zum Vergleich: Vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine floss allein am 1. Februar nach Betreiber-Angaben eine Gas-Energiemenge von circa 1,76 Milliarden Kilowattstunden durch die Pipeline Nord Stream 1. Die jetzt vereinbarte erste Lieferung von 137.000 Kubikmetern Flüssiggas für RWE per Schiff aus den Emiraten entspricht etwa 0,95 Milliarden Kilowattstunden.
Die Tanker-Lieferung deckt also etwas mehr als die Hälfte des Tagesvolumens, das früher durch Nord Stream 1 geflossen war. Berechnungen zufolge bräuchte es 144 LNG-Schiffe mit einer Kapazität von 145.000 Kubikmetern, um Deutschland in einem durchschnittlichen Wintermonat komplett mit Gas zu versorgen.
Zwar sollen nach Angaben von RWE und Staatsmedien in den Emiraten im Jahr 2023 weitere Tanker-Lieferungen in Brunsbüttel eintreffen, dem Vernehmen nach soll es sich um fünf Schiffe handeln. Doch mehr als einen Tropfen auf dem heißen Stein stellen die Lieferungen nicht dar. Sie sind eher Beiwerk in Relation zu den anderen Komponenten des Energie-Deals mit den Emiraten, der auch die Lieferung von Diesel und die Zusammenarbeit bei Wasserstoff und Windparks umfasst.
Um den deutschen LNG-Hunger zu stillen, fehlen dem kleinen Golfstaat auch die notwendigen Kapazitäten. Im Jahr 2021 produzierten die Emirate insgesamt 7,6 Milliarden Kubikmeter Gas, die Weltmarktführer Australien und Katar kamen jeweils auf 106 Milliarden Kubikmeter.
Knatsch mit Katar
Die Bundesregierung würde daher auch liebend gerne mit den Kataris ins Geschäft kommen, doch die Gespräche gestalten sich hier schwierig. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte bei einem Besuch im März eine „Energiepartnerschaft“ abgeschlossen, doch nach sechs Monaten ist noch kein einziger Vertrag mit einem deutschen Unternehmen abgeschlossen. „Die Kataris haben sich entschieden, kein gutes Angebot zu machen“, sagte Habeck bereits im Sommer.
Nach Angaben aus der deutschen Energiewirtschaft soll der Golfstaat auf langfristige Verträge bestehen - so lange wollen sich die deutschen Konzerne aber nicht binden, weil sie LNG als Übergangs-Ressource betrachten. Ein Besuch von Kanzler Scholz in Katar am Sonntag brachte ebenfalls keinen Durchbruch. Es liefen noch Gespräche mit den deutschen Unternehmen RWE und Uniper , sagte der katarische Energieminister Saad Sheriba al-Kaabi am Sonntag.

Nur die USA können helfen
Für die deutsche Gasversorgung werden daher drei andere Länder entscheidend sein: Norwegen und die Niederlande können mit erhöhten Fördermengen „herkömmlichen“ Gases einen Teil der ausgefallenen russischen Lieferungen kompensieren. Und für LNG schielt die Bundesrepublik nicht in den Nahen Osten, sondern gen Westen - in die USA.
Bereits im letzten Winter hatte eine spontan entsandte Flüssiggas-Flotte aus den Vereinigten Staaten die deutsche Versorgung stabilisiert. Und auch in Zukunft werde die USA voraussichtlich der wichtigste LNG-Lieferant für Deutschland und Europa darstellen. Die Lücke der russischen Gaslieferungen könne nur durch Flüssiggas-Importe aus den USA gefüllt werden, heißt es in einer Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) im Auftrag des Branchenverbands Zukunft Gas, die am Donnerstag vorgestellt wurde.
„Der Bedarf steigt deutlich“
Die Untersuchung analysierte in verschiedenen Szenarien den künftigen Gashandel zwischen der Europäischen Union (EU) und Russland und deren Auswirkungen auf die globalen Handelsbeziehungen. „Klares Ergebnis: Der europäische Bedarf nach LNG steigt deutlich“, teilte der Branchenverband mit.
Zusätzliches Pipeline-Gas könne nur in begrenztem Umfang von Staaten wie Norwegen bezogen werden. Die Lücke der russischen Gaslieferungen müsse daher mithilfe von LNG-Importen gefüllt werden, hieß es. „Dabei könnten LNG-Lieferungen aus den USA die größte Rolle auf dem europäischen Markt übernehmen.“
Problematischer Hunger
In allen untersuchten Szenarien stiegen die Importe der USA gegenüber dem Jahr 2021 deutlich an. Sollte zwischen Russland und der EU kein Gas gehandelt werden, geht die Studie für 2030 von einem USA-Anteil an den Gesamtimporten der EU von 39 Prozent aus, unter der Voraussetzung, dass bis dahin genügend Verflüssigungsanlagen gebaut werden. „Damit würde sich die EU neben Asien zu einem der wichtigsten Absatzmärkte für Erdgas aus den USA entwickeln.“ Norwegen kommt in dem Szenario auf 28 Prozent Lieferanteil.
Zusätzliche Exporte, etwa aus Katar oder eben aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, seien für den europäischen Markt hingegen nicht bedeutend. „Die zusätzlichen Mengen können jedoch helfen, Knappheiten auf den Weltmärkten zu verhindern“, heißt es in der Studie. Und das ist dringend nötig: Denn mit seinem Energiehunger kauft Deutschland derzeit ärmeren Ländern wie Pakistan und Bangladesch das Gas weg.
mit dpa-Material