1. Startseite
  2. Wirtschaft

Bürgergeld zu hoch? Warum das ein Irrglaube ist

Kommentare

Die weit verbreitete Kritik besagt, das Bürgergeld sei zu hoch. Aber im Vergleich zu Löhnen und Kosten für wichtige Güter bleibt der Regelsatz zurück. Was ist eigentlich erforderlich?

Berlin – Die Bürgergeld-Höhe war 2024 ein großer Streitpunkt innerhalb der Ampel-Koalition. Auch vor der Bundestagswahl ist die Höhe ein Streitpunkt. Die FDP will das Bürgergeld kürzen, auch die AfD plant diesen Schritt. Im Wahlprogramm von CDU und CSU findet sich keine konkrete Angabe, allerdings ist dort von einer „überproportionalen Erhöhung“ die Rede – damit verbunden ist die Forderung, die jährliche Anpassung zu „modernisieren“. Letztendlich läuft das auch auf Kürzungen hinaus.

Kritik an Bürgergeld-Höhe: „Der Regelsatz wird kleingerechnet, er deckt nicht den wahren Bedarf“

Zum 1. Januar 2024 war das Bürgergeld um zwölf Prozent erhöht worden – von 502 Euro monatlich für Alleinstehende auf 563 Euro. Hintergrund war eine Änderung bei der Berechnung, welche die Inflation stärker berücksichtigt hat. 2025 gab es jedoch eine Nullrunde, die Höhe blieb also gleich. Auch daran gibt es jedoch Kritik.

Montage: Eingang eines Jobcenters mit dem Logo der Bundesagentur für Arbeit und einem Porträt von Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband kritisiert die Bürgergeld-Höhe, die aufgrund methodischer Fehler bei der Berechnung nicht den wahren Bedarf decke. (Montage) © Jan Woitas/dpa/Studio Monbijou/Paritätischer Gesamtverband

„Beim Bürgergeld bleibt 2025 leider alles beim Alten: Der Regelsatz wird weiterhin kleingerechnet. Er deckt nicht den wahren Bedarf. Er schützt nicht vor Armut“, erklärte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, IPPEN.MEDIA. Trotz steigender Preise gebe es „nicht einmal einen Inflationsausgleich“. Die drohende Konsequenz: „Das treibt die soziale Spaltung weiter voran.“

Bei Berechnung der Bürgergeld-Höhe werden nur zwei Drittel der Ausgaben berücksichtigt

Bei der Berechnung der Bürgergeld-Höhe gibt es laut dem Paritätischen Gesamtverband methodische Mängel. Bei der Orientierung nach den Ausgaben an der Referenzgruppe werde nicht geprüft, ob diese überhaupt ihre Bedarfe decken kann oder eine Mangellage auf das Existenzminimum übertragen werde.

Zudem werden bei der Ermittlung des Bürgergeld-Regelsatzes nur zwei Drittel der tatsächlichen Ausgaben der Gruppe als relevant angesehen. Die übrigen Ausgaben fließen bei der Ermittlung des Existenzminimums nicht ein. Laut einer Auflistung der Diakonie fallen etwa Versicherungen wie eine Kfz-Haftpflicht und Kaskoversicherungen für ein eigenes Auto weg, das Bürgergeld-Beziehenden besitzen dürfen. Auch in den zentralen Bereichen Bildung, Gesundheit und Verkehr werden Summen als nicht bedarfsrelevant angesehen. Das gilt auch für Aspekte der sozialen Teilhabe.

813 Euro statt 563 Euro: Wie hoch müsste das Bürgergeld eigentlich sein?

Der Paritätische Gesamtverband sieht dagegen ein Bürgergeld in Höhe von 813 Euro statt der aktuellen 563 Euro im Monat als nötig an. Die Summe ergibt sich, wenn sie das Statistikmodell bei der Bildung des Regelsatzes konsequent anwenden und die Streichung „nicht-regelbedarfsrelevanter“ Bereiche wegfällt.

Unterstützung erhält der Verband von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Nullrunde bedeute reale Verluste für Bedürftige. Das Bürgergeld zu kürzen, wäre „eine fatale Fehlentscheidung, gerade für diejenigen, die zu den Schwächsten der Gesellschaft gehören“, erklärte Jutta Schmitz-Kießler, Professorin für Politikwissenschaft im Fachbereich Sozialwesen an der Hochschule Bielefeld.

Extreme Preisentwicklungen für einzelne Güter werden beim Bürgergeld nicht berücksichtigt

Laut Schmitz-Kießlers Analyse ist der Regelsatz der Grundsicherung, also des Bürgergelds und dessen Vorgänger Hartz IV, seit 2005 bis 2023 in etwa gleich gestiegen wie die Preise. Im Vergleich zur Lohnentwicklung blieb der Regelsatz jedoch zurück. Auch die Erhöhung 2024 ändere nichts daran.

Es sei zudem „problematisch“, dass die Entwicklung der Verbraucherpreise den Durchschnitt aller Konsumgüterpreise darstelle, da sich einzelne Güter „extremer“ entwickelt haben. Das gelte für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke, deren Preise um 80 Prozent gestiegen sind. Auch der Strompreis sei um 143 Prozent gestiegen. „Beides sind existenzielle Güter, die aus dem Regelbedarf bestritten werden müssen. Das wird bei der Regelbedarfsanpassung aber nicht in besonderer Weise berücksichtigt“, heißt es in der Analyse für die Hans-Böckler-Stiftung, die bereits im August 2024 veröffentlicht wurde.

Höherer Mindestlohn als „einfaches Mittel“ gegen zu geringen Lohnabstand zum Bürgergeld

Kritikerinnen und Kritiker führen jedoch bereits jetzt einen zu geringen Abstand zwischen dem Bürgergeld und dem Niedriglohnbereich an, obwohl Erwerbstätige immer mehr haben. „Gegen einen vermeintlich zu geringen Lohnabstand gibt es ein einfaches Mittel: Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns“, sagte dagegen Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband.

„Mit der Höhe des Bürgergeldes steht und fällt auch das steuerfreie Existenzminimum aller Beschäftigten“, sagte Rock. „Das Bürgergeld unterstützt schon jetzt Aufstockende und andere Beschäftigte mit geringen Einkommen, es schützt Arbeitnehmende vor Ausbeutung.“ Ein höherer Mindestlohn von 15 Euro sei ein „wichtiger Beitrag, um effektiv Armut zu bekämpfen.“

Auch interessant

Dieser Inhalt von Outbrain kann aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen nicht geladen werden.

(Falls dieser Link nicht funktioniert, müssen Sie ggf. Ihre Adblocker-Einstellungen anpassen.)

Kommentare

Teilen