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Auferstandenes "Stonehenge" in Goseck

Archäologie. - Ein Luftbild bescherte Archäologen in Sachsen-Anhalt einen fesselnden Zufallsfund: der darauf zu erkennende Kreis zwischen Äckern deutete auf eine sehr alte Siedlungsstätte hin, die sich später gar als Sonnenobservatorium entpuppte. Langsam nähert sich seine Rekonstruktion der Fertigstellung.

Von Hartmut Schade | 30.11.2005
    Sanft steigt der Weg hügelwärts an. Gelber Kies knirscht unter den Schuhen. Ich passiere einen nahezu mannshohen Erdwall, hinter ihm liegt ein fast zwei Meter tiefer Graben. Noch ein paar Schritte und ich habe das Nordtor der Anlage erreicht. Ich bin damit in die Fußstapfen der Gosecker Siedler vor 6800 Jahren getreten, sagt mir Dr. Andreas Northe vom Institut für Prähistorische Archäologie der Universität Halle:

    "Es scheint so, als ob die Leute von Norden gekommen sind - ob die Siedlung sich auch in der Richtung fortgesetzt hat, wissen wir nicht."

    Die Siedlung der jungsteinzeitlichen Stichbandkeramiker, die hier einen Graben aushoben, einen Wall aufschütteten, über 2000 Baumstämme in zwei Kreisen den Boden rammten und damit – ja was eigentlich schufen?

    "Ich benütze den Begriff Heiligtum..."

    ...sagt Professor Francois Bertemes, der Chef der Prähistorischen Archäologie in Halle.

    "Das Observieren der Sonne ist eine der Aktivitäten, die in diesen Heiligtümern gemacht worden ist, aber es beschränkt sich nicht auf das Observieren der Sonne. Denn da könnte ich viel einfacher die Observierung vornehmen. Da brauche ich letztendlich nur zwei Pfosten und einen Visierstein, und da kann ich die gleichen Beobachtungen machen."

    Die vielen Rinderschädel im Graben gerade bei den Toren deuten auf kultische Handlungen hin, vielleicht hingen sie sogar einst an den Palisaden. Hinter den blickdicht aufgestellten Pfählen vollzogen sich vielleicht Initiationsriten, vermutet Francois Bertemes. Nun ist also das Heiligtum der steinzeitlichen Stichbandkeramiker wiedererstanden. Eine Rekonstruktion, die viel Phantasie und historisches Einfühlungsvermögen erforderte, denn von den steinzeitlichen Bauten fanden die Archäologen nur ...

    "...die Gräben, in denen die Pfosten standen, einzelne Pfostenlöcher und Pfostengruben und den vorgelagerten Graben. Wie die Hölzer jetzt konkret aussahen, wissen wir nicht. Wir haben keine Holzfunde. "

    Sagt Rekonstruktionsleiter Andreas Northe. Einzig Veränderungen des Magnetfeldes und Verfärbungen im Boden verrieten den Ausgräbern, wo einst Pfähle standen, wo die Gräben verliefen. Nun ragen 2300 Eichenpfähle rund zweieinhalb Meter aus dem Boden. Mit 20 bis 25 Zentimetern haben sie die gleiche Stärke wie jene, die vor knapp 7000 Jahren dort standen. Mit Rindenmessern wurden die Stämme von der Rinde befreit, mit Kettensäge und Stechbeiteln angespitzt und schließlich die Spitze im Feuer ausgeglüht. Allerdings ganz modern mit Gasschweißgeräten.

    "Wir wissen nicht, ob die Leute das so gemacht haben. Wir müssen bloß, um die Sachen zumindest für die nächsten zehn bis 15 Jahre zu erhalten, irgendwie schützen. Und da haben wir nach alten, traditionellen Methoden gesucht. Also wir wollten nicht industriell die Hölzer imprägnieren, sondern mit zumindest mittelalterlichen oder frühgeschichtlichen Methoden die Hölzer konservieren. Dazu wurden die Hölzer im unteren Drittel erst einmal angesengt, anschließend mit Buchenholzteer eingestrichen und abschließend noch mal angesengt und sind dann in den Boden gekommen. "

    Während oberirdisch Phantasie gefragt war, setzten die Archäologen bei den Bodenarbeiten auf absolute Präzision. Die Eichenpfähle stehen exakt so wie vor 6800 Jahren - inklusive kleiner Abweichungen vom perfekten Kreis und einiger rätselhaften Lücken.

    "Die Motivation, die dahinter steckt, können wir nicht mehr rekonstruieren. Also es gab eine Unterbrechung im Palisadenverlauf, warum sie da ist, wissen wir nicht. Interessant ist es, dass bei dieser weiter nördlichen stehenden Unterbrechung mit diesen lose stehenden Pfosten, die haben wir im Osten auch noch mal, die orientiert vom diesem Mittelpunkt auf den Untergangspunkt und im Osten auf den Aufgangspunkt der Sonne zur Sommersonnenwende."

    Ein Observatorium eben. Das älteste bekannte der Welt – und es zeigt, dass die Astronomie nicht erst mit den Hochkulturen an Euphrat und Tigris aufkam, sondern schon tausende Jahre früher sich die Menschen darauf verstanden, den Lauf der Sonne zu bestimmen.