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Ausland Spanien

„Nicht beten und nicht die Schuhe ausziehen!“

Bußmönche in der Kathedrale von Cordoba Bußmönche in der Kathedrale von Cordoba
Bußmönche in der Kathedrale von Cordoba
Quelle: dpa
Einst gründeten die islamischen Kalifen in Cordoba eine Moschee. Die wurde später als Kirche genutzt. Und dann wieder als Moschee. Heute fragen sich Christen wie Muslime: Wem gehört das Gotteshaus?

Ein warmer Frühsommersonntag im Hof der Kathedrale von Córdoba. Drinnen hat der Bischof die Mittagsmesse beendet, draußen predigen Laien: Sie singen, tanzen, musizieren. Und sie missionieren. Eine Frau wird an das Mikrofon unter dem goldenen Kreuz gebeten. Mercedes erzählt, wie ihr eine Begegnung mit Jesus den Egoismus ausgetrieben habe. Damals wollte sie abtreiben. Jetzt hat sie 13 Kinder.

Mercedes findet ein paar Zuhörer, aber die meisten können ihr nicht folgen. Sie verstehen nichts. Sie sind auch nicht wegen des Gottesdienstes hier. Nicht mal wegen der Kathedrale. Die Heerscharen von Touristen wissen vielleicht nicht einmal etwas von einer Kathedrale. Sie wollen die Mezquita besichtigen, die Moschee: eines der wichtigsten Kulturdenkmäler des ganzen Mittelmeerraumes.

Achten Sie mal drauf, die Aufseher verfolgen jeden Schritt von uns
Samir, Englischlehrer aus Annency

Das Problem an der Sache: Die Kathedrale ist in der Moschee. Und die Moschee ist die Kathedrale. So etwas schafft Nähe, aber Nähe und Religion, das ist ja oft nicht so einfach. Man kennt die Sensibilitäten aus Jerusalem. So angespannt ist die Lage in Córdoba nicht. Aber wirklich harmonisch ist sie auch nicht.

Früher Abend, die Messen sind beendet, nur noch die letzten Touristen im Gebäude, darunter eine Frau in lila Umhang, mintgrünem Schleier und erregtem Gefühlszustand. „Schlimm, alles schlimm“, stöhnt Victoria, Muslimin mit algerischen Wurzeln. Ein bewaffneter Wärter antwortet mit bösem Blick und der Warnung, leiser zu sein. Nicht die erste für sie und ihre Reisegruppe aus dem französischen Annecy. „Als wir kamen, sagte man uns als Erstes: Nicht beten und nicht die Schuhe ausziehen!“ Samir, ein junger Englischlehrer, zwinkert: „Achten Sie mal drauf, die Aufseher verfolgen jeden Schritt von uns.“

Der Minarettturm und die Kathedrale von Cordoba
Der Minarettturm und die Kathedrale von Cordoba
Quelle: picture alliance / Robert Hardin

Jetzt filmen ein paar aus der Gruppe mit ihren Telefonen, wie sie ihnen etwas erklären will. Der Wärter fordert aufzuhören. „Ich bin so etwas wie ein Führer“, verteidigt sich Victoria, die zu Hause als Schriftstellerin arbeitet. „Private Führungen sind nicht erlaubt“, entgegnet der Wärter. Kurze Diskussion, viel Kopfschütteln, dann drehen beide Seiten ab, und zurückt bleibt die Frage: Wem gehört dieses Weltkulturerbe? Und was soll es sein?

Im frühen Mittelalter errichteten die Kalifen hier das prächtigste Gotteshaus auf Erden. Córdoba, regiert von Arabern, bewohnt auch von Christen und Juden, war eine Metropole und produzierte Gelehrte wie Averroes, einen islamischen Philosophen, der das antike Werk von Aristoteles kommentierte und damit entscheidend die christliche Scholastik prägte.

1236 eroberten die Christen die Stadt zurück, 1239 wurde die Mezquita zur Kathedrale geweiht, und nach der Vertreibung aller Araber und Juden im Jahr 1492 baute man eine Kirche in die Moschee. Heraus kam eine Mixtur, die aus manchen Perspektiven an einen asiatischen Krimskramsladen erinnert und schon den Zeitgenossen Kaiser Karl V. erschrocken haben soll: „Ihr habt etwas erbaut, was es andernorts schon gibt, und dafür habt ihr etwas zerstört, was einmalig war.“

Das Gotteshaus ist namenlos

Abgesehen davon hat Eklektizismus natürlich auch seinen Charme. Wo Araber auf Steinen aus römischen Säulen und einer frühchristlichen Basilika eine Moschee errichteten, der später noch eine Kathedrale eingesetzt wurde – da lagern nicht nur die historischen Platten Spaniens übereinander, von da könnte auch ein starkes Symbol ausgehen in diesen Zeiten, in denen sich die Kulturen nicht immer leicht tun miteinander. Man müsste sich dafür allerdings erst mal auf einen Namen einigen.

„Mezquita-Catedral“ heißt der Bau auf den meisten Schildern und Broschüren der Stadt. Noch. Der Bischof fordert aber schon länger, die „Mezquita“ solle verschwinden. Innerhalb der Kirchenmauern hat er Fakten geschaffen. Überall steht Catedral; allenfalls klein und in Klammern darunter „Antigua Mezquita“: Ex-Moschee.

Die Mezquita in Cordoba
Die Mezquita in Cordoba
Quelle: picture alliance / blickwinkel/m
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„Es wird versucht, die Vergangenheit zu löschen, die Spuren zu verwischen“, sagt Isabel Romero. Die Präsidentin der Junta Islámica und Vizepräsidentin des Zentralrats der spanischen Muslime empfängt in einem modernen Glasbüro am Rand der Innenstadt. Die Junta Islámica finanziert sich durch Zertifikate für Halal-Küche und hat sich einst bewusst in Córdoba niedergelassen. Der Anteil von nur 4000 Muslimen in der ganzen Provinz ist zwar gering, aber da ist ja immer noch der Mythos der einstigen Hauptstadt von al-Andalus, dem maurischen Spanien – als Ort der Toleranz, als Schmelztiegel, in dem es Araber, Christen und Juden immerhin ein paar Jahrhunderte lang miteinander aushielten und sich sogar gegenseitig inspirierten.

Romero – weißes Haar, kein Kopftuch – erzählt, dass diese Idee durchaus lebendig war, als sie vor 30 Jahren in die Stadt kam. „Die Mezquita, die ich damals kennenlernte, ist weit weg von der heute. Der Hof war ein Ort der Zusammenkunft für die Jugendlichen und alle Bürger Córdobas, einer des Austauschs mit Ausländern, unser Fenster zur Welt.“ Das sei immer weiter zurückgefahren worden, die Mezquita sei von einem öffentlichen zu einem privaten Gut geworden. „Wir verschenken damit ein einmaliges Symbol, die Möglichkeit, eine Botschaft zu senden: dass Frieden und Eintracht möglich sind.“

Kleinlicher Revanchismus

Betritt man die Ex-Moschee, folgt als Erstes der Hinweis auf ein Fenster im Boden. Darunter: Ruinen. Sehr wahrscheinlich – die Archäologen sind sich nicht ganz einig – stand an derselber Stelle im sechsten Jahrhundert eine Basilika zu Ehren des Heiligen Vinzenz. Von ihr aus erzählt die offizielle Besucherbroschüre eine lineare Geschichte: durch die „islamische Intervention“ sei die Kirche zur Moschee konvertiert, ehe sie „wiedererlangt“ wurde, eine „Stätte, der ein fremder Glauben auferlegt worden war“.

In den knappen Passagen zur Baukunst der Araber fehlt weder der Hinweis auf Christenverfolgungen noch der, dass die schönsten Elemente von byzantinischen Künstlern beigesteuert worden seien. Auch auf die Bezeichnung der ikonischen Hufeisenbögen als „Säulenwald“ wären Kunsthistoriker eher nicht gekommen.

Man kann da schon eine Siegerkultur herauslesen, einen etwas kleinlichen Revanchismus, und damit ist man dann endgültig mitten im Streit um dieses Weltkulturerbe. Offen schwelt er seit 2006, als Romeros Vorgänger mit einem Gebet außerhalb der Kirchenmauer gegen die exklusive Nutzung des Gebäudes als christliche Kultstätte protestierte.

Woraufhin die Diözese das seit knapp sieben Jahrhunderten von ihr verwaltete Gebäude als Eigentum registrieren ließ und ihre restriktive Politik begann. Für den jüngsten Aufruhr sorgt nun eine Petition, die vor diesem Hintergrund eine Rückkehr zum Namen „Mezquita-Catedral“ fordert, sondern auch eine Überführung in öffentliches Eigentum. Knapp 400.000 Menschen haben bisher unterschrieben.

Ich kann Ihnen versichern, dass es hier kein Mandat an keinen Wachmann gibt, besonders auf einen bestimmten Typ von Touristen zu achten
Pater José Juan Jiménez, Sprecher des Domkapitels

Pater José Juan Jiménez lächelt gequält. Der Sprecher des Domkapitels empfängt in der Verwaltung gleich neben der – ja, was denn nun? „Wie jeder einzelne diesen Tempel nennt, ist uns egal, und das war in Córdoba auch nie ein Problem“, erklärt er. „Hier wird das so unterschiedslos verwendet, dass man sogar Leute sagen hört: ‚Ich gehe zur Messe in die Moschee.’“ Der historisch korrekteste Titel wäre seiner Auffassung nach „Kathedrale–Ex-Moschee–Ex-Basilika, aber das sei nicht praktikabel, und über die offizielle Bezeichnung entscheide immer noch der Eigentümer, das Bistum Córdoba: „Der Name dieses Tempels kommt von dem Gebrauch, den er hat. Heutzutage ist er eine Kathedrale. Man sollte nicht negieren, was offensichtlich ist.“

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Im Domkapitel firmiert die Debatte als „diese Polemik“. Jiménez nennt sie „übertrieben, künstlich und von außen herangetragen“. Niemand wolle die Vergangenheit als Mezquita auslöschen. Die viel kritisierte Broschüre? „Zu behaupten, dieser Tempel würde einer exklusivistischen christlich-katholischen Erklärung unterzogen, ist ein hundertprozentiger Trugschluss.“ Die Vorwürfe, muslimische Besucher würden gegängelt? „Ich kann Ihnen versichern, dass es hier kein Mandat an keinen Wachmann gibt, besonders auf einen bestimmten Typ von Touristen zu achten.“

Jeder kann seinen Glauben ausüben

Der Pater findet, die Lage sei mehr als zufriedenstellend, für alle Seiten. In Córdoba gebe es schließlich auch Moscheen, jede könne seinen Glauben ausüben. Ob das früher in al-Andalus auch so gewesen sei, daran hat er so seine Zweifel. „Persönlich glaube ich, dass es sich dabei mehr um Mythos als um Realität handelt.“ Die „convivencia“ – das Zusammenleben – wie sie heute in romantisierter Form dargestellt werde, habe es so nicht gegeben. „Besonders hier in der Gegend von Córdoba war die muslimische Herrschaft nicht sehr tolerant. Die von Christen und Katholiken danach auch nicht.“

Letzteres ist historisch belegt, doch wie es vor 1492 war, darüber herrscht angesichts der lückenhaften Quellenlage auch unter Experten keine Gewissheit. Es kommt also darauf an, was man sehen will. In der nationalkatholischen Geschichtsschreibung galt die arabische Epoche immer als Sündenfall, ausgelöst durch die Fleischeslust des letzten Westgotenkönigs Rodrigo, der die Tochter seines nordafrikanischen Statthalters Don Julián vergewaltigte und diesen so zum Verrat anstiftete. Der Gegenmythos wiederum idealisiert das Maurenreich als eigentliche Wiege der spanischen Nation.

Eine prächtige Außenwand des Gotteshauses
Eine prächtige Außenwand des Gotteshauses
Quelle: picture alliance / Godong

Die politische Transition nach Ende der Franco-Diktatur hat die Fronten etwas abgeschliffen, aber noch lange nicht beseitigt. „In Spanien muss man in Abschnitten von 500 Jahren denken, und nicht von 40“, sagt Romero, die eine „religiöse Transition“ fordert und hofft, durch Papst Franziskus werden sich die Dinge etwas entspannen. Fürs Erste ist die konservative spanische Kirche in den letzten zwei Jahrzehnten nämlich noch konservativer geworden. Romero räumt aber auch ein, dass das mit dem Gebet ihres Vorgängers keine so gute Idee war und zusammen mit dem islamistischen Terrorismus eine diffuse Angst ausgelöst haben könnte, die ebenfalls eine Rolle spielt bei den Machtdemonstrationen im Domkapitel. Córdoba ist nah an Nordafrika mit seinen Christenverfolgungen. Auch das darf man nicht übersehen.

Das mit dem Symbol für eine zeitgenössische „convivencia“ muss noch warten, trotzdem bemüht sich die Stadt neuerdings aktiv um muslimischen Tourismus. Über zwei Millionen kamen voriges Jahr nach Spanien, erzählt Romero, die meisten vom Persischen Golf oder aus Südostasien. „Sie wollen die Mezquita und die Alhambra sehen, die Fußballstadien von Real Madrid und dem FC Barcelona sowie in den großen Shopping-Centern einkaufen.“ Sie bringen Geld, das Spanien gut gebrauchen kann. Doch wenn sie die Mezquita verlassen, sagt Romero, „dann sind sie traurig“.

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