Spartakusaufstand Januar 1919:Als in Berlin der Bürgerkrieg tobte

Spartakusanhänger bei Kämpfen in Berlin, 1919

Januar 1919 in Berlin: Spartakisten bei Barrikadenkämpfen

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Die SPD will zur Jahreswende 1918/19 die Revolution in Deutschland beenden - für die Linksradikalen geht es erst richtig los. Rückblick auf einen blutigen Winter.

Von Robert Probst

Die Revolution ist schon sieben Wochen alt, als sie von Rosa Luxemburg als kleines Kind bezeichnet wird. Auf dem Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands am 31. Dezember 1918 beschreibt die sozialistische Vordenkerin den Charakter des 9. November so:

"Die Revolution war unbefangen, bewusstlos wie ein Kind, das hinaustappt, ohne zu wissen, wohin." Es war mit anderen Worten eine rein politische Revolution. Eine sozialistische Revolution aber sei eine ökonomische und keine politische: "Der Sozialismus kann aber nur durch die Massen, unmittelbar, Brust an Brust mit dem Kapitalismus ausgefochten werden, in jedem Betriebe, von jedem Proletarier gegen seinen Unternehmer."

Zwei Wochen später sind sie und Karl Liebknecht tot - und der Charakter der Revolution wird sich stark verändert haben. Deutschlands Linke sieht sich in diesen Wochen vor einer paradoxen Situation.

Die SPD ist vom Programm her eine revolutionäre Partei, doch an der Macht sind sozialdemokratische Politiker, die keine Revolution machen wollten. Und die äußerste Linke, die unbedingt Revolution machen will, sieht mit Entsetzen, dass sie es nicht schafft, mit ihrem Räte-Modell die Massen zu begeistern.

Bei diesem Modell haben - vereinfacht ausgedrückt - nur die "Werktätigen" (gemeint sind oft nur Arbeiter und Soldaten) ein Wahlrecht, die Räte üben kein freies Mandat aus, sondern sind den Wählern unmittelbar rechenschaftspflichtig, die Gewaltenteilung wäre aufgehoben.

Eine solche klassenmäßige Beschränkung des Wahlrechts ist unvereinbar mit der Demokratie, sagt die SPD. Der Konter der Linken: "Verrat!" Dieser Konflikt zwischen Vertretern der reinen marxistischen Lehre (Diktatur des Proletariats), Räte-Anhängern und Revisionisten schwelt schon seit Längerem. Jetzt eskaliert er.

Mit der Gründung der USPD 1917, die keine Kriegskredite mehr an das Kaiserreich gewähren will, beginnt die Spaltungsgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus der USPD geht die noch radikalere, umstürzlerische Spartakus-Gruppe hervor. Als die Spartakisten schließlich die KPD gründen, gibt es also drei linke Gruppen, die einander erbittert bekämpfen, erst mit Worten, dann mit Gewalt.

Zuerst scheidet Ende Dezember die USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten aus. Grund ist eine Machtprobe, welche die revolutionstreue Volksmarinedivision, die seit dem 9. November zum Schutz des Regierungsviertels im Schloss einquartiert ist, provoziert.

Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert holt sich militärische Hilfe von seinem Partner von der Obersten Heeresleitung (OHL), Wilhelm Groener. Der hat sich gleich nach dem 9. November der neuen Regierung angedient, mit dem Versprechen, nur die Truppen könnten die bolschewistische Gefahr beseitigen.

Im Gegenzug lässt Ebert die Strukturen des preußischen Militarismus weitgehend unangetastet. Doch das Ziel der OHL ist ein anderes: Sie wartet nur auf die Gelegenheit zum Putsch, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Jeden Tag könnte es so weit sein.

"Tötet Liebknecht!", liest man schon Anfang Dezember auf Plakaten

Es kommt an diesem 24. Dezember zur Konfrontation mit der Volksmarinedivision, Ebert lässt also auf seine eigenen Truppen schießen - und gerät so völlig in Abhängigkeit von Groener. Doch Ebert verliert, weil Tausende Arbeiter aus den Fabriken eilen und die OHL-Soldaten daran hindern, weiter auf die Volksmarinedivision zu feuern. Aus Protest gegen die Militäraktion treten die USPD-Politiker zurück. Die SPD besetzt nun alle Posten im Rat der Volksbeauftragten.

Die Angst vor einer blutigen Machtergreifung der Radikalen nach dem Vorbild der Bolschewisten ist schon lange weitverbreitet in Deutschland. Den Bürgerkrieg in Russland vor Augen, scheint der Bolschewismus mehr als nur eine besonders brutale Spielart einer Revolution zu sein - exzessive Gewalt, Willkürherrschaft, Mord und Terror.

Und so zeigt sich der Journalist Theodor Wolff schon am 12. November überzeugt, "dass die Spartakusleute und sehr viel Gesindel bewaffnet auf eine Gelegenheit zu putschen lauern".

100 Jahre Novemberrevolution und Ende Erster Weltkrieg
(Foto: dpa)
Revolutionäre (IV): Rosa Luxemburg

Man wird niemals wissen, welchen Weg Rosa Luxemburg genommen hätte, wäre sie nicht gemeinsam mit ihrem Weggefährten Karl Liebknecht 1919 von rechtsextremen Soldaten ermordet worden. Kaum vorstellbar ist es aber, dass sie wie andere Kommunisten der ersten Stunde eine Stalin-hörige Ideologin geworden wäre; nicht umsonst verurteilte die KPD bereits 1925 eifernd "die Fehler des Luxemburgismus". Bald schon würden solche Vorwürfe an Abweichende in der Sowjetunion dem Todesurteil gleichkommen. Rosa Luxemburgs Andenken wird bis heute lebendig gehalten, sie gilt als Visionärin eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz. 1871 geboren, war sie eine Wortführerin des linken SPD-Flügels und argumentierte vehement gegen den "Reformismus" in der Partei. Sie gewann ihren moralischen Nimbus ab 1914 durch ihre konsequente Verurteilung des Krieges, dafür ging sie sogar ins Gefängnis. Scharfsinnig und belesen war sie den meisten Genossen intellektuell überlegen. Vergeblich rief sie den Linksradikalen zu, die es im Dezember 1918 ohne Rücksicht auf die Folgen nach Aktion drängte: "Ihr macht Euch Euren Radikalismus ein bisschen bequem." Ihr berühmtester Satz, Freiheit sei immer die Freiheit des Andersdenkenden, ist Teil einer visionären Kritik an der kommunistischen Parteidiktatur nach der Oktoberrevolution 1918 - er wendet sich vor allem gegen das Ersticken jeder innerparteilichen Freiheit durch die Führungskader. In den Tagen vor ihrem Tod bemerkte Karl Liebknecht einmal, sollten seine "historischen Papiere" von den Verfolgern vernichtet werden, "schieße ich mir eine Kugel durch den Kopf." Rosa Luxemburg lächelte und erwiderte: "Aber Karl, Sie haben doch gar keinen Revolver." Joachim Käppner

Anfang Dezember sieht man Plakate in der Hauptstadt mit der Aufschrift: "Schlagt ihre Führer tot! Tötet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Freiheit und Brot haben!" Die Radikalen sind ein perfektes Feindbild, ganz unabhängig von der sehr geringen realen Gefahr, die von ihnen ausgeht.

Doch im Januar schlagen die ganz linken Revolutionäre tatsächlich los. Und die Regierung zeigt, welche Gegenmittel sie vorbereitet hat. Seit Ende Dezember ist Gustav Noske, zuständig für Heer und Marine, im Rat der Volksbeauftragten.

Weil das Heer nach dem Waffenstillstand inzwischen weitgehend demobilisiert ist, beginnen Noske und die OHL rasch mit der Aufstellung von Freiwilligenverbänden, die zum Schutz der Revolutionserrungenschaften vor allem im Inneren eingesetzt werden sollen.

Luxemburg und Liebknecht werden ermordet - das Mitgefühl der SPD hält sich in Grenzen

In diesen Freikorps befinden sich aber kaum Demokraten, sondern vor allem nationalistische, monarchistische und antirevolutionäre Soldaten, die nur ihren Offizieren dienen, gewiss nicht aber der Revolution oder der Demokratie. Allerdings haben sie durchaus Lust, "den Bolschewismus" zu bekämpfen. Und dafür kann Noske die Leute gut gebrauchen.

Der Anlass für den nicht geplanten Aufstand ist die Entlassung des Berliner Polizeipräsidenten am 4. Januar, eines USPD-Mannes, der bei den Weihnachtskämpfen illoyal zur SPD-Führung stand. USPD, Revolutionäre Obleute (radikale Vertreter der Fabrikarbeiter) und KPD organisieren eine Massenprotestversammlung. Ein revolutionärer Moment entsteht.

Regierungstreuer Truppen mit einem Panzer während des Januaraufstandes, 1919

Panzerwagen eines Freikorps der Regierung. Dem 'Hedi' genannte Wagen der Panzer-Kraftwagen-Abteilung fehlt die Kanone, als Zeichen trägt er den Totenkopf.

(Foto: SZ Photo)

Bewaffnete besetzen das Zeitungsviertel, die Führer des Aufstands geben nach tagelangen Verhandlungen - in völliger Verkennung der Lage, da ohne eigene Machtbasis - die Parole aus: "Gebraucht die Waffen gegen eure Todfeinde, die Ebert-Scheidemann!" Das ist das Signal zum Umsturz.

Doch die Regierung ist bereit zum Kampf, es gilt die Ordnung wiederherzustellen und ein Zeichen zu setzen. Noske sagt: "Meinetwegen! Einer muss der Bluthund werden. Ich scheue die Verantwortung nicht." Die Reichsregierung lässt plakatieren, man treffe alle nötigen Maßnahmen, "um die Schreckensherrschaft zu zertrümmern". Der Aufruf schließt mit den Worten: "Die Stunde der Abrechnung naht."

Bis zum 12. Januar erobern Regierungstruppen die besetzten Häuser wieder zurück, es gibt unzählige Tote, Aufständische und Unbeteiligte werden willkürlich erschossen, andere übel misshandelt. Für die Revolutionäre ist diese Woche ein Fiasko, Noske schreibt in seinen Erinnerungen: "Damit war die bolschewistische Gefahr in Deutschland vorbei."

Doch für die Anführer der KPD ist es noch nicht vorbei.

Die Regierung will nun allen noch vorhandenen Widerstand brechen, Berlin wird systematisch von Soldaten nach Waffen durchsucht. Dabei ist auch die Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter dem Ersten Generalstabsoffizier Waldemar Pabst. Sie ist als einzige Einheit des kaiserlichen Heeres mobil geblieben und so etwas wie der Kern von Noskes Truppe.

Pabst sucht nicht nach Waffen. Er sucht Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Für ihn ist, wie er im Nachhinein sagt, klar: "Die müssen weg! Die sind so gefährlich, wenn wir die haben, dann gibts nichts zu winseln, dann müssen wir selber Richter sein."

Als seine Leute Luxemburg und Liebknecht am 15. Januar fassen, entschließt sich Pabst, beide ermorden zu lassen. Liebknecht wird im Tiergarten erschossen; Luxemburg wird in den Kopf geschossen, ihre Leiche wirft man in den Landwehrkanal.

Am selben Tag erscheint Liebknechts letzter Artikel in der Roten Fahne: "Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein (. . .) Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird - leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!" Doch von diesem Schlag erholen sich die Kommunisten nie wieder.

Auch für die SPD, die wegen des Januaraufstands nach Vergeltung gerufen hat, hat sich Entscheidendes geändert. Der Historiker Mark Jones schreibt: "Die Militärs und die Sozialdemokraten fanden sich in einem neuen Raum der Gemeinsamkeit zusammen, in dem von da an alles, was regierungstreue Soldaten taten, um jeden Preis gerechtfertigt und verteidigt wurde, ganz gleich, welche Gräuel sie sich dabei zuschulden kommen ließen. Der Ebert-Groener-Pakt war jetzt mit Blut besiegelt."

Das große Sterben aber wird erst noch kommen. Vom 9. November 1918 bis zum Ende des Januaraufstands zählt Jones 250 Tote in Berlin. Bei den folgenden Aufständen kommen weitere tausend Tote hinzu - inklusive standrechtlicher Erschießungen, veranlasst vom "Bluthund" Noske.

Der weiße Terror nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik im April/Mai 1919 wird erneut mindestens tausend Todesopfer fordern. Die Zahlenangaben schwanken freilich stark.

Für die Kommunisten ist die SPD die "Partei der Liebknecht-Mörder"

Das Mitleid der Sozialdemokraten mit Luxemburg und Liebknecht hält sich in Grenzen. Philipp Scheidemann sagt nach dem Mord: "Sie haben Tag für Tag das Volk zu den Waffen gerufen und zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgefordert. Sie sind nun selbst Opfer ihrer eigenen blutigen Terrortaktik geworden."

Dass nun letztlich die Garde-Kavallerie-Schützen-Division die Macht in Berlin ausübt, eine durch und durch konterrevolutionäre Truppe, ist der Regierung unangenehm, aber einen anderen Schutz hat sie nicht. Loyale Truppen wie die Volksmarinedivision will man lieber früher als später loswerden. Dass ein Bürgerkrieg von rechts droht, will man nicht wahrhaben.

Als Liebknecht auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt wird, feiern Zehntausende den Toten als "Vorkämpfer der Menschheitsideale". Die deutschen Kommunisten stehen von diesem Tag an in noch größerer Erbitterung gegen die SPD, jahrzehntelang.

Die Sozialdemokratie habe 1914 den Klassenkampf verraten, 1918 dann die revolutionären Massen und schließlich die Revolution in Blut erstickt. "Partei der Liebknecht-Mörder", schimpft man sie.

Die SPD nimmt das hin, ihr ist nur wichtig, dass in der Hauptstadt rechtzeitig Ruhe einkehrt, denn am 19. Januar 1919 ist Wahltag. Die Revolution ist zehn Wochen alt und steht jetzt auf sicheren Beinen. So glaubt die Regierung.

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