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Die Angeklagte Lina E. im Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden.

© dpa/Sebastian Kahnert

Urteil im Fall Lina E.: Wo das Gericht einen Fehler gemacht hat

Zu milde, sagen die einen, einen Freispruch verlangten die anderen. Die Justiz muss etwas richtig gemacht haben, wenn sie solchen Widerspruch auf sich zieht. Aber womöglich nicht alles.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Das Urteil in einem Strafprozess wird selten als das bewertet, was es ist: Ein Urteil in einem Strafprozess. So ist es auch und vor allem bei Urteilen zu Taten, die als politisch verstanden werden. Daher teilen sich auch im Fall der in Dresden verurteilten Lina E. samt ihrer Mitangeklagten die Meinungen.

Lina E. hat nach den Feststellungen des Gerichts Gewalttaten gegen Nazis oder vermeintliche Nazis begangen und erhielt eine Strafe von fünf Jahren und drei Monaten unter anderem wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung.

In einem Teil des Spektrums wird falsche Milde kritisiert, weil die Strafe unterhalb den von der Bundesanwaltschaft geforderten acht Jahren liegt und Lina E. den Gerichtssaal als freie Frau verließ - ihr Haftbefehl wurde außer Vollzug gesetzt.

Härter geht fast immer. Aber wäre das schuldangemessen? Das wird im Streit um den Fall ausgeblendet. Wen kümmern schon Einzelheiten, solange man auf der richtigen Seite steht?

Jost Müller-Neuhof

In einem anderen Teil des Spektrums ist von einem Fehlurteil die Rede. Der Bundessprecher der Grünen-Jugendorganisation sprach davon, der Prozess sei „übertrieben“ und beruhe auf „fragwürdigen Indizien“. Ein Berliner Linke-Abgeordneter meinte: „Wer sich gegen Nazis organisiert, ist nicht kriminell, sondern wird kriminalisiert“.

Das Gericht muss etwas richtig gemacht haben, wenn die Positionen derart auseinandergehen. Tatsächlich erscheint die Entlassung aus der Untersuchungshaft folgerichtig. Lina E. befand sich mehr als zweieinhalb Jahre darin, und Strafhaft wird bei guter Führung regelmäßig um ein Drittel gekürzt. Viel ist nicht mehr zu erwarten.

Härter strafen geht fast immer. Aber wäre das schuldangemessen? Das wird im Streit ausgeblendet. Wen kümmern schon Einzelheiten, wenn man auf der richtigen Seite steht?

Einige dieser Einzelheiten sind im Schädel eines Mannes fixiert, der zum Opfer wurde, weil er eine Strickmütze trug, die ihn für die Bande als Nazi auswies. Dort hält jetzt eine Metallplatte zusammen, was von den Gesichtsknochen übrig blieb. Entfernt werden kann sie nicht, es droht Erblindung.

In solchen Zusammenhängen redliche Motive zu rühmen, wirkt irritierend. So sagte auch der Vorsitzende Richter, es sei „achtenswert“, Rechtsextremismus entgegenzutreten. Dieser Satz wäre überall richtig gewesen, nur nicht in diesem Urteil. Ein Fehler des Gerichts, hoffentlich der einzige.

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