Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AS 13/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - temporäre Bedarfsgemeinschaft - Härtefallmehrbedarf - Pauschalierung

Verhandlungstermin 27.09.2023 13:00 Uhr

Terminvorschau

1. H. K., 2. L. K. ./. Jobcenter Flensburg
Im Streit stehen höhere Ansprüche auf Sozialgeld für April bis Juni 2016.

Die Kläger waren im Streitzeitraum 12 und 9 Jahre alt. Die Eltern leben getrennt, beide sind sorgeberechtigt. Mit dem Vater der Kläger besteht eine Umgangsregelung, wonach diese an mehreren Tagen pro Woche, auch an Schul- und Werktagen, bei ihm leben.

Wegen des Erwerbseinkommens der Mutter bewilligte das beklagte Jobcenter Alg II beziehungsweise Sozialgeld nur vorläufig. Die Bedarfe der Kläger ermittelte es taggenau und bewilligte ihnen nur für die Tage Leistungen (Regelbedarf, Bedarf für Unterkunft und Heizung, Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwassererzeugung), an denen sie sich im Haushalt ihrer Mutter aufhielten.

Während das Sozialgericht den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Entscheidungen verurteilt hat, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Kürzungen des Sozialgelds und des Mehrbedarfs für dezentrale Wassererzeugung zu gewähren, hat das Landessozialgericht auf die vom Sozialgericht zugelassene Berufung des Beklagten das Urteil des Sozialgerichts geändert. Es hat den Beklagten verurteilt, den Klägern Leistungen unter Berücksichtigung von Mehrbedarfen nach § 21 Absatz 6 SGB II in Höhe der tagesanteiligen Beträge der Abteilungen 3 (Bekleidung und Schuhe), 4 (Energie und Wohnungsinstandhaltung), 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände, laufende Haushaltsführung) und 8 (Post und Telekommunikation) gemäß § 6 Absatz 1 Nummer 2 Regelbedarfsermittlungsgesetz für die Tage zu gewähren, an denen sie sich nicht im Haushalt ihrer Mutter aufgehalten haben und die Klage im Übrigen (bezogen auf die im Berufungsverfahren noch als weitere Klägerin geführte Mutter) abgewiesen. Durch regelhafte Aufenthalte der Kläger in zwei Wohnungen mit mehreren Wechseln in der Woche entstünden zusätzliche, erhebliche Bedarfe, die nicht vom Regelbedarf abgedeckt seien. Dieser Mehrbedarf sei durch taggenau ermittelte Beträge der genannten Abteilungen abzudecken.

Mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte unter anderem die Verletzung des § 21 Absatz 6 SGB II.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Schleswig, S 8 AS 206/16, 26.10.2018
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 3 AS 17/19, 24.03.2022

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Terminbericht

Die Revision des Beklagten war im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht begründet. Die Feststellungen des Landessozialgerichts lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob dem Kläger im Streitzeitraum höheres Sozialgeld zusteht. Die zunächst noch als Klägerin zu 2 geführte Schwester des Klägers hat ihre Klage während des Revisionsverfahrens zurückgenommen.

Der Kläger war als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit seiner aufstockend SGB II-Leistungen beziehenden Mutter grundsätzlich leistungsberechtigt. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. Dies ist in einer aus dem Kläger und seiner Mutter gebildeten (Haupt-)Bedarfsgemeinschaft im Grundsatz der Fall. Ob der Beklagte allerdings zurecht davon ausgegangen ist, dass er an Tagen, an denen er sich mehr als 12 Stunden bei seinem Vater aufhielt, nicht mehr der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter angehörte, kann der Senat nicht abschließend überprüfen.

Es fehlt bereits an tatsächlichen Feststellungen, die die Beurteilung des gewählten Betreuungsmodells erlauben. Insbesondere ist unklar, ob zwischen den Eltern ein sogenanntes paritätisches Wechselmodell mit einer etwa hälftigen Aufteilung der Betreuungs- und Erziehungszeiten vereinbart war oder ob die Betreuung überwiegend durch die Mutter erfolgte. Zwar könnte in beiden Fällen, die Leistungsberechtigung des Vaters insoweit unterstellt, eine temporäre Bedarfsgemeinschaft des Klägers mit seinem Vater anzunehmen sein. Da die Höhe der Ansprüche des Klägers aber wegen der vorzunehmenden horizontalen Bedarfsberechnung auch vom Umfang der Ansprüche der Mutter abhängt und diese sich wiederum je nach Betreuungsmodell - etwa im Hinblick auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende - unterschiedlich darstellen können, sind entsprechende Feststellungen nicht entbehrlich.

Zudem fehlt es an Feststellungen dazu, ob der Vater des Klägers im streitbefangenen Zeitraum selbst leistungsberechtigt nach dem SGB II war. War dies nicht der Fall, war der Kläger nicht Mitglied von zwei Bedarfsgemeinschaften. Für eine Aufteilung seiner pauschalierten Regelbedarfe fehlt es in diesem Fall an einer gesetzlichen Grundlage. Ob dies auch dann gilt, wenn der Kläger sich nicht überwiegend im Haushalt seiner hilfebedürftigen Mutter aufhielt, zum Beispiel im Fall eines paritätischen Wechselmodells, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

Zudem hat das Landessozialgericht, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, der Umgangsmehrbedarf könne auf der Grundlage des geltenden Rechts pauschaliert werden, keine Anknüpfungstatsachen mitgeteilt, die die Prüfung eines Härtefallmehrbedarfs nach § 21 Absatz 6 SGB II ermöglichen. Diese sind aber nicht verzichtbar. Der entstehungsgeschichtlich geprägte Sinn und Zweck der Norm, ihr Wortlaut sowie die Systematik der Regelung stehen der vom Landessozialgericht vorgenommenen Pauschalierung von Mehrbedarfen des Klägers in der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter in Zeiten seiner zeitweisen Zugehörigkeit zur - insoweit unterstellten - Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater sowohl hinsichtlich des “Ob“ als auch in Bezug auf ihre Höhe entgegen. Erforderlich ist ein besonderer, unabweisbarer Bedarf aufgrund der konkreten Lebenssituation.

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