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Baden-Württembergs Regierungschef Kretschmann erschrocken über seine Verfassungsschutz-Akte

Winfried Kretschmann ist in den Siebzigerjahren vom Verfassungsschutz überwacht worden. Der Grünen-Politiker hält seine Erfassung im Nachhinein für gerechtfertigt. Er sei damals verbohrt und verblendet gewesen.
Ministerpräsident Kretschmann (Archiv): "Wie kommt es, dass man als gebildeter Mensch auf einmal in so einer Sekte landet?"

Ministerpräsident Kretschmann (Archiv): "Wie kommt es, dass man als gebildeter Mensch auf einmal in so einer Sekte landet?"

Foto: Felix Kästle/ dpa

Hamburg - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich nach dem Bekanntwerden seiner Überwachung durch den Verfassungsschutz in den Siebzigerjahren erschrocken gezeigt. "Ich lese die Akte gerade selber erst", sagte der Grünen-Politiker der Wochenzeitung "Die Zeit".

Kretschmann war aufgrund des sogenannten Radikalenerlasses wegen seiner Mitgliedschaft im Kommunistischen Bund Westdeutschland überwacht worden. Kretschmanns Akte war Ende vergangenen Jahres in Stuttgart aufgetaucht.

In dem Interview sagte der Grünen-Politiker, dass er seine Erfassung durch die Behörden im Kern aber für gerechtfertigt halte. Bei Zweifeln an der Verfassungstreue angehender Beamter müsse der Staat diesen nachgehen, sagt der Ministerpräsident zu dem Material, das über ihn zusammengetragen worden war. Kretschmann war damals angehender Lehrer. "Das war ja eine CDU-geführte Landesregierung damals, aber in den Unterlagen offenbart sich - neben manch unerträglicher Gesinnungsschnüffelei - in meinem Fall auch großzügige Liberalität."

Wie die Zeugen Jehovas

Der Ministerpräsident attestiert sich rückblickend "Verbohrtheit" und "Verblendung" als Mitglied einer sogenannten K-Gruppe. Er frage sich selber: "Wie kommt es, dass man als gebildeter Mensch auf einmal in so einer Sekte landet? Dass man die Welt nur noch durch einen Tunnelblick sehen kann?" Wenn er heute am Bahnhof an den Zeugen Jehovas mit ihrem Wachtturm vorbeilaufe, denke er: "Ja, so bist du mit der Kommunistischen Volkszeitung vor irgendeinem großen Betrieb gestanden."

Trotz der Beobachtung durch den Verfassungsschutz konnte Kretschmann später eine Stelle als Biologie-Lehrer an Gymnasien antreten, ehe er Ende der Siebzigerjahre die Grünen mitbegründete und in die Politik wechselte. Die Ermittlungen gegen ihn, so der Grünen-Politiker, seien zu dem Schluss gekommen: "Der Unsinn bei dem Kretschmann wächst sich schon noch aus."

Seit 2011 regiert Kretschmann Baden-Württemberg als erster grüner Ministerpräsident Deutschlands.

mka/syd