30.05.2023

Am 28. Mai 2023 wur­de Recep Tayyip Erdoğan erneut zum Prä­si­dent der Tür­kei gewählt. In den zurück­lie­gen­den 20 Jah­ren wur­de unter sei­ner Füh­rung die Tür­kei zu einem auto­kra­tisch geführ­ten Staat umge­baut. Nach dem geschei­ter­ten Putsch-Ver­such 2016 wur­de ins­be­son­de­re das Jus­tiz­sys­tem weit­ge­hend gleich­ge­schal­tet, vie­le Richter*innen wur­den ent­las­sen oder inhaf­tiert. Die staat­li­che Ver­fol­gung rich­tet sich gegen die kur­di­sche Frei­heits­be­we­gung, wei­te­re eth­ni­sche Min­der­hei­ten, LGBTIQ, unab­hän­gi­ge Journalist*innen oder auch die poli­ti­sche Opposition.

Die Tür­kei ist Her­kunfts­land von poli­tisch Verfolgten

„Der Sieg von Prä­si­dent Erdoğan ist eine her­be Nie­der­la­ge für jene, die sich in der Tür­kei für Men­schen- und Frau­en­rech­te, Demo­kra­tie und Rechts­staat ein­set­zen. Der Druck auf sie wird nach die­ser Wahl noch stär­ker wer­den. Für vie­le wird es kei­ne ande­re Opti­on geben, als zu flie­hen. Doch aktu­ell ste­hen ihre Chan­cen im deut­schen Asyl­ver­fah­ren äußerst schlecht. Die Bun­des­re­gie­rung und das BAMF müs­sen sich end­lich ehr­lich machen was die Situa­ti­on in der Tür­kei angeht: Es gibt eine mas­si­ve Ver­fol­gung der Oppo­si­ti­on und von Min­der­hei­ten, Straf- und Ter­ro­ris­mus­ver­fah­ren wer­den hier­für gezielt genutzt. Doch immer wie­der behaup­tet das BAMF, sie könn­ten in der Tür­kei auf fai­re Ver­fah­ren ver­trau­en“, kom­men­tiert Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Die sich ver­schlech­tern­de Lage in der Tür­kei zeigt sich auch anhand der Flucht­be­we­gung. Im ver­gan­ge­nen Jahr 2022 wur­den knapp 24.000 Asy­l­erst­an­trä­ge tür­ki­scher Staatsbürger*innen regis­triert, eine neue Höchst­mar­ke. Mehr Erst­an­trä­ge wur­den nur von Antrags­stel­len­den aus Afgha­ni­stan und Syri­en gestellt – ein Trend, der sich im ers­ten Quar­tal 2023 fort­setzt. Bekam jedoch 2019 noch etwa jede*r zweite*r Antragsstellende*r aus der Tür­kei einen Schutz­sta­tus, erhält die­sen im März 2023 nur noch jede*r vier­te. Die (berei­nig­te) Schutz­quo­te ist damit von über 50 % (2019) auf 24 % (April 2023) gefal­len. Wor­an die­se nied­ri­ge Schutz­quo­te liegt hat PRO ASYL hier und hier diskutiert.

Zuneh­men­de Het­ze zeigt: Die Tür­kei ist kein „siche­rer Dritt­staat“ für syri­sche oder afgha­ni­sche Geflüchtete

Der Wahl­kampf war geprägt von mas­si­ven Hetz­kam­pa­gnen gegen in der Tür­kei leben­de Geflüch­te­te z.B. aus Syri­en oder Afgha­ni­stan. Her­aus­for­de­rer Kılı­ç­da­roğ­lu hat­te u.a. ange­kün­digt, alle Flücht­lin­ge nach Hau­se zu schi­cken, wenn er gewin­nen wür­de. Und auch Erdoğan ver­sprach, zeit­nah eine Mil­lio­nen Syrer*innen in die von der Tür­kei kon­trol­lier­te Zone in Nord­sy­ri­en zurück­zu­schi­cken. Hier­bei han­delt es sich um ein von der Tür­kei völ­ker­rechts­wid­rig kon­trol­lier­tes Gebiet. Auch aktu­ell fin­den Abschie­bun­gen in die Kon­flikt­län­der Syri­en und Afgha­ni­stan aus der Tür­kei statt.

Seit 2015 ver­sucht die EU, eng mit der Tür­kei bei Flücht­lings­fra­gen zu koope­rie­ren. Neben der rich­ti­gen huma­ni­tä­ren Unter­stüt­zung der cir­ca 3,9 Mil­lio­nen Flücht­lin­ge im Land geht es auch dar­um, in der EU ankom­men­de Flücht­lin­ge in die Tür­kei zurück zu schi­cken. In Grie­chen­land wer­den die Asyl­an­trä­ge etwa von syri­schen oder afgha­ni­schen Flücht­lin­gen seit 2016 bzw. 2021 als „unzu­läs­sig“ abge­lehnt, weil die Tür­kei für sie sicher sei. Nur die Hal­tung der Tür­kei, seit 2020 kei­ne Abschie­bun­gen aus Grie­chen­land zu akzep­tie­ren, stoppt eine mas­sen­haf­te Rück­füh­rung von eigent­lich Schutz­be­rech­tig­ten in das Land.

„Der Wahl­kampf der letz­ten Wochen hat mehr als deut­lich gezeigt, dass die Tür­kei kein siche­res Land für syri­sche oder afgha­ni­sche Flücht­lin­ge ist. Die EU muss dies end­lich ein­se­hen und auf­hö­ren, die Tür­kei als Tür­ste­her Euro­pas zu instru­men­ta­li­sie­ren“, for­dert Wieb­ke Judith.

Im Rah­men der geplan­ten Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems könn­ten Koope­ra­tio­nen wie mit der Tür­kei in Flücht­lings­fra­gen wei­ter for­ciert und neben der Tür­kei noch wei­te­re Staa­ten als „sicher“ ein­ge­stuft wer­den mit dem Ziel, Flücht­lin­ge aus Euro­pa in die­se Län­der zu brin­gen. Gleich­zei­tig besteht die Gefahr, dass bei einer wei­te­ren Tal­fahrt der Aner­ken­nungs­quo­te von Asyl­su­chen­den aus der Tür­kei, auch die­se häu­fig poli­tisch Ver­folg­ten in den geplan­ten Asyl­grenz­ver­fah­ren an den euro­päi­schen Außen­gren­zen lan­den, da alle Asyl­su­chen­den aus Län­dern mit einer Schutz­quo­te von 20% oder weni­ger die­sen zuge­wie­sen wer­den sol­len, oder wegen der Push­back-Poli­tik gar nicht erst dazu kom­men, in Euro­pa Schutz zu suchen. Für mehr Infor­ma­tio­nen zu den Reform­plä­nen sie­he hier.

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