Durch die Inhaftierung von Menschen, die eine gegen sie verhängte Geldstrafe nicht zahlen, entstehen jedes Jahr Kosten von über 200 Millionen Euro. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei hervor, die ZEIT ONLINE exklusiv vorliegt.

Zu einem ähnlichen Ergebnis war das ARD-Magazin Monitor im Januar gekommen. Aus der nun vorliegenden Antwort der Bundesregierung geht außerdem hervor, dass diese mit jährlich 130.000 Euro Projekte unterstützt, die helfen sollen, Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit zu vermeiden.

Nach Ansicht der Linkspartei ist das zu wenig, die Bundesregierung widerspreche damit ihren eigenen Zielsetzungen, Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden, sagte Niema Movassat, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei. "Kurze Freiheitsstrafen, wie sie bei der Ersatzfreiheitsstrafe der Normalfall sind, sind abzulehnen. Sie gefährden die soziale Bindung der Betroffenen und reißen sie aus der Familie und dem Berufsleben heraus."

Eine Ersatzfreiheitsstrafe muss absitzen, wer die Tagessätze seiner Geldstrafe nicht bezahlen kann. Sie ist unter anderem deshalb umstritten, weil durch sie das Risiko, inhaftiert zu werden, für Arme größer ist als für Reiche. Die einen überweisen den Betrag, die anderen leben schon am Existenzminimum und müssen deshalb je nach Strafe für fünf, 20 oder mehr Tage ins Gefängnis – für jeden Tagessatz einen.

Die Zahl derer, die aktuell eine solche Strafe verbüßen, wird nur noch an einigen Stichtagen im Jahr erhoben. Am 31. August 2017 verbüßten beispielsweise bundesweit 4.700 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe. Das waren sieben Prozent aller Inhaftierten. Pro Tag kostete 2016 ein Haftplatz in Deutschland durchschnittlich etwa 130 Euro. Daraus ergeben sich die Kosten von gut 200 Millionen Euro.

Die Tendenz ist steigend: 2016 waren es zum Stichtag im August 4.421 Inhaftierte, zwei Jahre zuvor noch 4.042. Betroffen sind jährlich jedoch weit mehr als 4.700 Menschen. Wie viele pro Jahr insgesamt eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, wird seit einer Umstellung der Strafvollzugsstatistik 2003 jedoch nicht mehr erhoben. Die letzte Zahl stammt aus dem Jahr 2002, damals waren es 65.000 Fälle im Jahresverlauf.

Die Stichtagszahl zeigt nur, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt im Gefängnis sitzt, sagt aber nichts darüber aus, wie viele insgesamt in einem Jahr aufgenommen und entlassen werden. Weil aber die Ersatzfreiheitsstrafen so kurz sind und die Fluktuation deshalb hoch ist, schätzt der Kriminologe Heinz Cornel, dass 30 bis 40 Prozent aller Aufnahmen und Entlassungen in einem Jahr in deutschen Gefängnissen Ersatzfreiheitsstrafler betreffen.

Bund-Länder-Arbeitsgruppe prüft Alternativen

In der Antwort der Bundesregierung heißt es, aus ihrer Sicht sei die Ersatzfreiheitsstrafe "ein unerlässliches Mittel" zur Durchsetzung der Geldstrafe, da diese sonst bei zahlungsunwilligen Verurteilten ins Leere liefe. Empirische Befunde würden bestätigen, dass die drohende Ersatzfreiheitsstrafe ein entscheidendes Instrument sei: So würden nach einer Untersuchung der Kriminologischen Zentralstelle e.V. bei drohender Ersatzfreiheitsstrafe 77 Prozent der zunächst als uneinbringlich geltenden Geldstrafen doch gezahlt, schreibt das Justizministerium. Allerdings stammt die Untersuchung aus dem Jahr 1993.

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe prüfe zwar Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe, heißt es in der Antwort auf die kleine Anfrage. Die Beratungen dauerten aber noch an. Aus Sicht der Bundesregierung sei es begrüßenswert, Maßnahmen auszubauen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe vermeiden können, zum Beispiel die Ableistung von Arbeitsstunden. Deshalb finanziere das Justizministerium den Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik mit besagten 130.000 Euro jährlich. Weil der Justizvollzug Ländersache sei, seien die Fördermöglichkeiten des Bundes sehr eingeschränkt.