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Beziehungsgewalt gegen Männer "Ich habe mich gefühlt wie ein Bettnässer"

Mann schlägt Frau - so das typische Muster bei häuslicher Gewalt. Doch auch immer mehr Männer werden in Partnerschaften misshandelt. In Schutzwohnungen finden die Opfer jetzt erstmals Zuflucht. Was berichten sie?
Gewaltopfer Maik: "Irgendwann tat es gar nicht mehr weh"

Gewaltopfer Maik: "Irgendwann tat es gar nicht mehr weh"

Foto: Sven Doering / DER SPIEGEL

Sie hatten sich im Chat an der Singlebörse von Freenet kennengelernt. Schon beim ersten Treffen brach sie in Tränen aus. Ihr gewalttätiger Mann misshandle sie. Sie habe Angst zu sterben. "Ich fand sie nicht sonderlich attraktiv", erinnert sich Maik (Name geändert). Aber er habe Mitleid gehabt. Sie aktivierte, so sagt er, sein Helfersyndrom. Er zog zu ihr.

Maik war Anfang dreißig. 1,94 Meter groß, 109 Kilogramm schwer und Geschäftsführer eines kleinen Betriebs in Sachsen. Ein gestandener Mann. Die Frau ein wenig älter, 1,75 Meter groß. Nichts an ihr war Furcht einflößend. Doch in den sieben Jahren ihrer Beziehung habe sie aus ihm ein Wrack gemacht, sagt Maik, körperlich und seelisch. Habe ihn geschlagen und getreten. Er verlor seinen Job. Zurück blieben ein zertrümmertes Leben und tiefe Scham. "Ich habe mich gefühlt wie ein Bettnässer."

Gewalt in Partnerschaften ist ein großes Problem, meist ist von Männern die Rede, die ihre Frauen schlagen, bedrohen oder vergewaltigen. Statistiken des Bundeskriminalamts (BKA) besagen, dass 81,8 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt Frauen sind. Doch das Dunkelfeld ist enorm. Schätzungen zufolge werden viele der häuslichen Exzesse nicht angezeigt. Vor allem Männer scheuten aus Angst vor Spott und Häme den Gang zur Polizeiwache.

Während sich die Wissenschaft über das Phänomen noch nicht einig ist und eine dünne Datenbasis beklagt, zeichnet sich doch ein Trend ab. Das BKA zählt seit Jahren immer mehr Übergriffe auf Männer von weiblichen oder männlichen Partnern und Ex-Partnern. 2012 registrierte die Polizei annähernd 20.000 Opfer, 2015 waren es bereits fast 23.200. In Sachsen wurden gerade zwei Männerschutzwohnungen eingerichtet.

Im thüringischen Gera betreibt der Verein Gleichmaß mit Spenden eine solche Unterkunft. Derzeit sind dort drei Männer untergebracht, so Projektchef Tristan Rosenkranz. Zwei seien von ihren Frauen körperlich bedroht worden, einer mit einem Messer. Zudem beklagten sie eine "ökonomische Kontrollgewalt" durch ihre Frauen. Ein Mann wurde von seiner Partnerin gestalkt. Zehn weitere Männer stünden bereits auf der Warteliste.

Die Zahl der Opferberatungen in Sachsen hat sich innerhalb von acht Jahren verdoppelt. Es gibt dort eine "Sensibilisierungskampagne" mit einem eigenen Internetauftritt für misshandelte Männer: Gib-dich-nicht-geschlagen.de.

Auch Schleswig-Holstein hat wegen der zunehmenden Gewalt ein Modellprojekt Männerberatung in Kiel, Flensburg und Elmshorn gestartet. Sie habe damit gerechnet, dass sich Männer melden würden, die über Missbrauch in der Kindheit reden wollten, sagt eine der Beraterinnen in Kiel. Doch tatsächlich hätten sich bisher nahezu ausschließlich Männer an das Büro gewandt, die Opfer häuslicher Gewalt geworden seien. Das Problem, klagt Staatssekretärin Anette Langner im Kieler Sozialministerium, werde "nach wie vor zu wenig wahrgenommen". Der geschlagene Mann ist noch immer ein Tabu in der Gesellschaft.

Das Sächsische Landeskriminalamt hat ein Lagebild zu häuslicher Gewalt im Freistaat erstellt. Die Beamten zählten fast 4000 Angriffe auf Frauen - und 1700 auf Männer ab 21 Jahren. Teils mit schweren Folgen: 35 Männer mussten stationär behandelt werden, zwei trugen bleibende Schäden davon, drei starben.

Maiks Leben änderte sich, als seine Internetbekanntschaft die Scheidung von ihrem Mann vollzog: "Mit einem Mal hat sich die Stimmung komplett gedreht." Zunächst habe sie psychisch Druck gemacht: Seine Freunde schlechtgeredet, die Familie ausgeschlossen. Sie lebten in einem abgelegenen Haus, das ihr gehörte. Er empfand zunehmende Abhängigkeit und Isolation.

Geld wurde das neue, bestimmende Thema der Beziehung. Seine Frau wollte das Haus sanieren und teure Dinge anschaffen, Maik war dagegen. "Sie vertrug keine Widerworte. Sie schrie und schrie, wie ein bockiges Kind." Er sei wahlweise die Lusche oder der Nichtsnutz gewesen. Dann begannen die Schläge. Benutzt habe sie dazu, was sie gerade greifen konnte: das Telefon, eine Blumenvase, eine Pfanne.

Zu Beginn, sagt Maik, habe er sie angebrüllt, sie solle aufhören. Doch dann habe er sich in eine Ecke gesetzt und es einfach über sich ergehen lassen. "Irgendwann tat es gar nicht mehr weh." Danach ging er aus dem Haus, kam wieder und räumte auf. "Ich dachte, damit kann ich sie besänftigen." Und immer habe er geglaubt: Heute war es bestimmt das letzte Mal. Gewehrt hat er sich nie.

Der Sozialwissenschaftler Hans-Joachim Lenz beschrieb das Phänomen des still leidenden Mannes in seinem Buch über Männer als Opfer so: Im traditionellen Rollenverständnis werde vom Mann erwartet, "dass er aktiv und überlegen ist, mit seinen Problemen allein fertig wird und sich jederzeit und selbstverständlich ohne Hilfe von außen wehren kann". Es werde erwartet, dass ein Mann nicht leide - "oder zumindest sein Leiden nicht zeigt".

Maik beherrschte dieses Versteckspiel offenbar perfekt. Den Arbeitskollegen tischte er die tollsten Geschichten auf, wo denn die blauen Flecken nun wieder herstammten. Er war der Chef, wie konnte er da zugeben, ein Problem mit seiner Frau zu haben? Er hatte Angst, sich lächerlich zu machen. Zu Hause versuchte er, die Stimmung mit Blumen zu retten. Doch wenn er die falschen brachte, bekam er die Vase an den Kopf geworfen. Einmal habe er mit dem Auto fliehen wollen, einem riesigen Pick-up. Da habe sie sich in den Weg gestellt und einen schweren Stein auf die Motorhaube gewuchtet: "Der nächste geht an deinen Kopf." Maik sagt, von dem Moment an habe er um sein Leben gefürchtet.

Zusammen hätten sie 11.000 Euro verdient, doch das habe ihr nie gereicht. Er habe Kredite aufgenommen, sogar in die Firmenkasse gegriffen. Doch sie habe ihn angespuckt, ihm das Knie in den Unterleib gerammt, ihn die Treppe hinabgestoßen. Maik brach sich das Knie. Von der Leiter gefallen, sagte er in der Firma. Er zeigt Narben an seinem Knie. Zweimal habe er versucht, sich umzubringen. Er stieg auf einen Telefonmast und wollte springen. Ein Freund konnte ihn unter Tränen dazu bewegen herunterzukommen. Seine Frau habe sich lustig gemacht: "Wenn dir weiter nichts einfällt, du feige Sau."

Dass er viele Leidensgenossen haben könnte, kam Maik nie in den Sinn.

Das BKA beklagt, dass es seit Jahren deutschlandweit keine repräsentativen Opferbefragungen bei Männern gegeben habe. Vorhandene Erhebungen legten aber nahe, dass Männer etwa gleich häufig wie Frauen zumindest einmal von ihrem Partner angegriffen wurden. Eine internationale Gesundheitsstudie von 2014 in sechs europäischen Städten kam zu dem Ergebnis, dass 3,5 Prozent der Frauen angaben, im Jahr zuvor Opfer eines körperlichen Angriffs geworden zu sein. Bei den Männern waren es 4,1 Prozent.

Die Annahme, dass Frauen genauso gewalttätig sind wie Männer, will die Polizei aber unter Hinweis auf Forschungsergebnisse so nicht stehen lassen. Der Unterschied liege vor allem in der Schwere der Misshandlungen: Frauen erlebten weltweit erheblich häufiger schwere und lebensbedrohliche Gewalt. Frauen als Täterinnen reagierten mit ihrer Gewalt häufiger, als das bei Männern der Fall ist, auf einen Angriff ihres Partners.

Sieben Jahre lang lebte Maik in der Beziehung, die er, wie er sagt, als "eine einzige Tortur" erlebte. Irgendwann reifte der Entschluss: Es ist genug. Auf dem Weg von der Firma nach Hause schaltete er das Handy aus und fuhr in ein Hotel. Sie fand ihn, tobte. Er zog in eine Wohnung, auch da habe sie plötzlich vor der Tür gestanden und mit den bloßen Händen die Scheibe an der Tür eingeschlagen. Die Polizei rückte an. Die Hölle ging weiter. Er schlief bei Arbeitskollegen im Garten, übernachtete im Auto. Maik hätte sich einen Schutzraum gewünscht, wo ihn niemand so einfach finden kann.

Den gibt es jetzt, in einem Dresdner Plattenbaugebiet. Drei Schlafzimmer, Küche, Bad. Ikea-Charme mit ahnungsloser Nachbarschaft, als Gästewohnung getarnt. Es ist die erste Männerschutzwohnung in Sachsen. Bis zu drei Männer können hier mit ihren Kindern unterkommen, für drei Monate, die Adresse ist wie bei Frauenhäusern geschützt. Die Betroffenen werden betreut, ihr Leben wird neu geordnet. 65.000 Euro zahlt das Sozialministerium für zwei Wohnungen in Dresden und Leipzig jährlich. "Moderne Gleichstellungspolitik", sagt Ministerin Petra Köpping (SPD), "richtet sich an beide Geschlechter."

Torsten Siegemund vom Männernetzwerk Dresden betreut eine der Wohnungen. Er bekam als Erstes einen Anruf von Maik, der begeistert war, dass es endlich eine Anlaufstelle gibt. "Bisher konnten wir die Männer nur beraten, ihnen sagen, sie sollen bei Freunden oder Verwandten untertauchen. Oder sich ein teures Zimmer nehmen", so Siegemund.

Maik wohnt heute zurückgezogen im Vogtland, er bekam Hilfe von seiner Rechtsanwältin. Er hat jetzt ein Postfach, seine Meldeadresse ist beim Amt gesperrt. Ein Klinikaufenthalt und eine Therapie brachten ihn wieder ins Gleichgewicht. Er sei noch immer misstrauisch gegenüber Frauen, sagt er. Seine Eltern kennen seine Leidensgeschichte bis heute nicht. Seine Scham ist zu groß. Streit geht Maik instinktiv aus dem Weg: "Wenn es laut wird, verlasse ich den Raum."

Maik sitzt in seiner 26 Quadratmeter kleinen Wohnung an seiner Doktorarbeit. Ein Bett, eine kleine Couch, eine Orgel. Er wolle gar nicht mehr Platz, sagt er: "Da kann ich schnell alles zusammenpacken, falls ich plötzlich wegmuss." Unter dem Heizkörper schaut ein schwarzes Fellbündel hervor. Eine Katze aus dem Tierheim. Maik hat sich zielgerichtet die ausgesucht, die nie vermittelt werden konnte.

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