AKTUELLE FORSCHUNGEN
Goseck – neue Forschungen zum Ringheiligtum
und zum Benediktinerkloster
Die Kreisgrabenanlage von Goseck
François Bertemes und Andreas Northe, Halle (Saale)
Neolitische Kreisgräben werden heute allgemein
als Zeugen einer ersten europäischen Monumentalarchitektur angesehen. Sie gehören zweifelsfrei zu einem sehr aktuellen Thema der
Jungsteinzeitforschung und stoßen auch in der
breiten Öffentlichkeit auf großes Interesse. Das
war nicht immer so, da diese Befundgattung erst
relativ spät die Aufmerksamkeit der Fachwelt erweckte. Noch vor etwas mehr als dreißig Jahren
galten die wenigen bis dahin vor allem aus Bayern bekannten Beispiele als Exoten und man maß
ihnen keine besondere Bedeutung bei der kulturhistorischen Beurteilung früher bäuerlicher Gesellschaften in Europa zu. Es ist im Wesentlichen
das Verdienst der Luftbildarchäologie, dass in
den 197oer und 198oer Jahren die Anzahl derartiger Befunde rapide anstieg, wobei sich zunächst die bayerische Bodendenkmalpflege bei
ihrer Erforschung besonders verdient machte. Neben der Luftbildarchäologie lieferten systematische geophysikalische Prospektionen (Becker
199o) sowie schließlich auch gezielte Sondagebzw. Rettungsgrabungen erste wichtige Informationen über Aufbau, Konzeption und Bedeutung. Insbesondere war es aber auch die bis heute
andauernde systematische Erforschung der österreichischen Anlagen, die belegte, dass derartige
Rondelle zum festen kulturellen Bestandteil der
Kultur mit Stichbandkeramik, der Lengyel-Kultur und mit ihnen verbundener gleichzeitiger Kulturgruppen im Donaueinzugsgebiet gehören, wobei sich ein Dichtezentrum in Niederösterreich,
im angrenzenden Südmähren, in der Westslowakei und Niederbayern abzeichnete (Petrasch
199o; Daim/Neubauer 2oo5).
Die politische Wende ermöglichte in den
199oer Jahren erstmals eine systematische Befliegung der bis dahin luftbildarchäologisch kaum
erschlossenen Gebiete Mittel- und Ostdeutschlands, der Tschechischen Republik, der Slowakei
und Ungarns. Auf diese Weise erfuhr das Verbreitungsbild noch einmal eine nicht unerhebliche räumliche Ergänzung. Heute geht man nunmehr von etwa 2oo solcher Anlagen in Mitteleuropa
aus1. Als besonders interessant erwies sich eine
Häufung von Rondellen im Mittelelbe-Saale-Gebiet. Allein in Sachsen-Anhalt wurden bis heute
knapp 2o Kreisgräben aus der Luft entdeckt, von
denen allerdings aufgrund morphologischer Merkmale lediglich vier der Stichbandkeramik zugewiesen wurden2. Neben der Luftbildarchäologie
führten die im Zuge der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur durchgeführten linearen Großprojekte sowie Untersuchungen im Vorfeld des Braunkohletagebaues vor allem in Sachsen (Stäuble
2oo7) und auch in Sachsen-Anhalt zu weiteren
Entdeckungen (Schmidt 2oo6). Durch eine Intensivierung der Kreisgrabenforschung in Mitteldeutschland versprach man sich deshalb eine kulturhistorische Neubewertung des Phänomens.
Das interdisziplinäre Forschungsprojekt
»Kreisgrabenanlage Goseck – Archäologie
multimedial«
Die Felduntersuchungen eines bronzezeitlichen
Kreisgrabens des ausgehenden 3. Jahrtausends
v. Chr. in Drama (Bulgarien) und dessen Herausstellung als Heiligtum (Bertemes 2oo2) waren im
damaligen Institut für Prähistorische Archäologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg der Anlass, eine jungsteinzeitliche Kreisgrabenanlage in Sachsen-Anhalt systematisch zu
untersuchen (Abb. 1). Auf dieser Basis sollten die
in Bulgarien gewonnenen Erkenntnisse einem
diachronen und interkulturellen Vergleich zugeführt werden. Das Projekt sollte zusätzlich mittelfristig in eine umfassende landschaftsarchäologische Untersuchung der Mikroregion münden,
in welche die Anlage eingebettet ist. Hintergrund
ist das bessere Verständnis dieses Phänomens
durch eine Betrachtung im größeren regionalen
Kontext und der Vergleich zu zeitgleichen Anlagen im weiteren Umfeld3.
Dafür sollen sämtliche vorhandenen Archivalien
aufgearbeitet, weitere Prospektionen und Surveys
sowie gezielte Feststellungsgrabungen durchgeführt werden. Gemeinsam mit dem Landesarchäologen H. Meller entschied man sich danach für
ein Rondell bei Goseck im Burgenlandkreis. Die
Gründe für diese Entscheidung waren sehr verschieden: Zum einen zeigten die über Jahre hinweg dokumentierten Luftbilder eine durch intensive Beackerung der Fläche bedingte bedrohliche
Abnahme der Substanz des Bodendenkmals, zum
anderen war eine geophysikalische Prospektion
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
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AKTUELLE FORSCHUNGEN
Mittelneolithische Kreisgrabenanlagen
Stichbandkeramik-Kultur
Oberlauterbacher Gruppe
Lengyel-Kultur
Großgartacher Gruppe
Rössener Kultur
Berlin
Prag
Wien Bratislava
Abb. 1 Verbreitung mittelneolithischer Kreisgrabenanlagen (4900 und 4600 v. Chr.)
in den mitteleuropäischen Kulturgebieten von Stichbandkeramik, Oberlauterbacher
Gruppe, Lengyel, Großgartacher
Gruppe und Rössen.
bereits erfolgt. Vor allem aber garantierte die überschaubare Größe der Anlage mit ca. 75 m Durchmesser eine großflächige Untersuchung. Außerdem war der Befund mit nur einem Begrenzungsgraben und zwei begleitenden Palisaden nicht
zu komplex strukturiert. Zusätzlich schien das
Vorkommen von nur drei Toren besonders interessant, da derartige Rondelle bislang nur selten
belegt sind.
Von 2oo2 bis 2oo4 wurde die Anlage vollständig
ausgegraben und dokumentiert. Die Einführung
und Nutzung multimedialer Anwendungen ermöglichte zusätzlich die zeitnahe und öffentlichkeitswirksame Präsentation der Ausgrabung und
erster Ergebnisse (Bertemes u. a. 2oo4). Durch die
offensive PR-Arbeit wurde nicht nur der kulturgeschichtliche Erkenntnisgewinn einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sondern das
Interesse an der archäologischen Arbeit sowie
an der Bedeutung des Gosecker Bodendenkmals
in Politik und Öffentlichkeit nachhaltig geweckt.
Auf dieser Basis war es möglich, Mittel für eine
in Mitteleuropa einmalige exakte Rekonstruktion
am Fundort selbst einzuwerben sowie einen »InfoPoint« im Schloss Goseck zu realisieren, um dem
Besucher einen Einblick in das Phänomen stichbandkeramischer Kreisgrabenanlagen und in jungsteinzeitliche Lebenswelten zu gewähren4.
Prospektion und Ausgrabung – Die Erforschung des Kreisgrabens von Goseck
Wiederentdeckt – Die Prospektionen am Rondell
Obwohl Bewuchsanomalien auf Feldern westlich
des Dorfes bereits in den 7oer Jahren durch Agrarflieger bemerkt wurden, entdeckte erst O. Braasch
bei seinen für das Landesamt gezielt durchgeführten Luftbildprospektionen im Jahr 1991 den
10
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
Kreisgraben für Wissenschaft und Öffentlichkeit
(Braasch/Kaufmann 1992, 192 Abb. 6; Braasch
2oo2, 67 Fig. 7.9; Fröhlich 1997, 29 f.). In den folgenden Jahren wurden weitere Befliegungen
durch R. Schwarz unternommen (Fröhlich 1997,
29 ff.; Schwarz 2oo3, 447 ff.).
Diese ersten Prospektionsergebnisse zeigten
einen annähernd kreisförmigen Graben im Boden,
der im Norden, Südosten und Südwesten durch
drei Tore unterbrochen war und auf den im Norden und Südosten zwei deutlich schmälere Gräbchen zuliefen. Im Inneren waren Spuren paralleler Pfostenkreise und wenige Gruben erkennbar.
Eine erste geophysikalische Prospektion erfolgte 1995 durch A. R. Volker (Volker 1998, 83 ff.;
Volker 2oo2, 61 ff.). Dabei konnten weitere Details
der Anlage erkannt werden, die besonders deutlich in einer Übereinanderprojektion beider Prospektionsverfahren zu erkennen sind (Abb. 2):
zwei konzentrische Palisaden im Inneren, der Graben mit seinen drei Toren und rechwinklig nach
außen umbiegenden Torwangen. Zusätzlich konnten innerhalb und außerhalb des Erdwerkes zahlreiche weitere Gruben erfasst werden.
Die ersten beiden Kampagnen der Jahre 2002
und 2003
In einer ersten dreiwöchigen Grabungskampagne
wurde 2oo2 unmittelbar nördlich des Südost-Tores ein 5o m x 1o m großer Schnitt untersucht5.
Hier ließ die Geomagnetik auf eine gute Befunderhaltung hoffen. Unmittelbar nach dem maschinellen Abtragen des Oberbodens hoben sich
sämtliche archäologischen Befunde wegen ihrer
humoseren Verfüllung deutlich in Farbe und Konsistenz vom eiszeitlichen Schotteruntergrund ab.
Die Grabungen erbrachten Funde und Befunde
aus drei verschiedenen Kulturperioden.
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 2 Goseck, Burgenlandkreis. Übereinanderprojektion
von Luftbild- und Geophysikbefund der Kreisgrabenanlage.
Der an dieser Stelle ca. 2 m breite Graben erwies sich als Spitzgraben mit 1,7 m erhaltener
Tiefe und schmaler gerader Sohle. Scherbenfunde
aus der Verfüllung bestätigten seine Datierung
in die mittelneolithische Stichbandkeramik-Kultur. Im Inneren wurde der Graben von zwei im
Abstand von ca. 5 m parallel verlaufenden, konzentrischen Gräbchen begleitet, die mit einer Breite
von o,2–o,4 m wesentlich schmäler waren, als die
Geomagnetik dies angedeutet hatte.
Östlich des Erdwerkes zog von Ostnordost nach
Westsüdwest ein ca. 6 m breiter und mindestens
16 m langer Pfostenbau in die Grabungsfläche
(Abb. 3; Bertemes u. a. 2oo4, 14o f. Abb. 7). Die Hauswände bestanden aus locker gesetzten Holzpfosten, die wohl ehedem mit Flechtwerk und Lehmverputz verbunden waren. Da die Pfostengruben
nur noch mit geringer Tiefe erhalten waren, fehlen datierende Funde. Dennoch finden die Orientierung des Gebäudes und seine locker-unregel-
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
Abb. 3 Goseck, Burgenlandkreis. Befundplan der Grabungskampagnen 2002–2004.
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AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 4 Goseck, Burgenlandkreis. Gefäß aus einer linienbandkeramischen Kinderbestattung. Vier Seitenansichten
und Abrollung des komplexen
Ritzmusters auf dem flaschenförmigen Gefäß.
12
mäßig gesetzte Firstpfostenreihe gute Entsprechungen bei (früh-)bronzezeitlichen Hausbefunden, wie sie in den letzten Jahren auch in
Mitteldeutschland vermehrt nachgewiesen werden konnten (Stäuble 1997; Brauer 2oo5).
Vor der südlichen Längswand wurde ein Kindergrab der Linienbandkeramik-Kultur entdeckt.
Dem auf der linken Körperseite in Hockstellung
bestatteten, etwa 1–2 jährigen Kind waren zwei
Gefäße beigegeben. Eines war unverziert und lagerungsbedingt zerbrochen, das andere, eine Flasche, blieb vollständig erhalten. Neben den typischen kurvolinearen bzw. spiralförmigen,
eingeritzten und mit Einstichen gefüllten Bändern zeigt sie, von vier Ösen begrenzt, auf einem
Viertel des Umfanges eine Verzierung, die ein
komplexes System gleichschenkliger Dreiecke
wiedergibt (Abb. 4; Bertemes u. a. 2oo4, 14o ff.).
Im Jahr 2oo3 wurde die Grabungsfläche auf
insgesamt 12oo m2 vergrößert. Neben dem Südosttor konnten so ein größerer Teil des Grabens und
der Innenpalisaden sowie zahlreiche Grubenbefunde untersucht und dokumentiert werden. Als
besonders aufschlussreich erwies sich die Ausgestaltung des Torbereiches. Wie erwartet bogen
beide Grabenenden rechtwinklig nach außen um
und bildeten zwei ca. 6 m lange, nahezu parallel
verlaufende Wangen von 1,5–2,o m Breite. Diese
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
waren mit leicht trichterförmigem Querschnitt
bis 1,3 m unter die Planumoberfläche erhalten,
wobei die Querprofile zwei unterschiedliche Aushubphasen erkennen ließen. Der bereits im Luftbild erfasste, vom Südosten auf die südliche Torwange ziehende Befund erwies sich als o,3–o,5 m
breites, seicht u-förmig ausgehobenes Gräbchen
ohne datierendes Fundmaterial.
Das erste Palisadengräbchen im Inneren des
Grabens folgte nach 6 m und war im Süden bereits z. T. nicht mehr erhalten. Die flache Sohle
beider Gräbchen reichte an der tiefsten Stelle
noch o,4 m unter die Planumoberfläche. In diesem Fundamentgräbchen waren unangespitzte
Pfosten von o,2–o,3 m Durchmesser verbaut, wie
teilweise noch erhaltene Standspuren erkennen ließen. In der Verlängerung des Südosttores waren beide Palisaden unterbrochen, wobei das Kopfende jeweils durch einen etwas
mächtigeren Einzelpfosten markiert war. Die
Lücke im inneren Ring betrug exakt o,6 m,
die im äußeren hingegen o,8 m. Im Gegensatz
zur inneren bog die äußere Palisade im Torbereich nahezu rechtwinklig nach innen um. Bei
der Dokumentation der Fläche fiel auf, dass von
der Innenfläche aus betrachtet die beiden südlichen Kopfenden exakt in der Flucht der südlichen Torwange liegen (Abb. 3).
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Wenige Meter nördlich des Durchlasses konnte
eine weitere kleine Lücke im äußeren Palisadenring
dokumentiert werden, welche die Stelle einer wannenförmig eingetieften Grube zu markieren
schien. In dieser Grube brannte offensichtlich
ehemals ein intensives Feuer, wie die durchgeglühten Grubenwände andeuteten. Da keine Ascheoder Kohleschicht nachzuweisen war, musste die
Grube danach gründlich gereinigt worden sein.
Bezeichnenderweise kamen in der oberen, etwas
dunkleren Grubenverfüllung schlecht erhaltene
menschliche Extremitätenknochen eines erwachsenen Individuums zum Vorschein, während hingegen sämtliche Körper- oder Schädelknochen
fehlten (Abb. 5). Da die Knochen nur teilweise
im anatomischen Verband lagen, ist davon auszugehen, dass man sie hier in einem wahrscheinlich bereits teilskelettierten Zustand deponiert
hat. Stratigraphisch gesehen muss die Grube vor
der Errichtung der Palisade zumindest teilweise
wieder verfüllt gewesen sein. Ob die Grube bzw.
die »Sonderbestattung« allerdings unmittelbar
vor und somit in kausalem Zusammenhang mit
der Errichtung der Palisade zu sehen sind, bleibt
unklar. Jedoch scheint die Unterbrechung der Palisade im Bereich der Grube darauf hinzuweisen,
dass die Erbauer von der Grube wussten und
man eventuell wegen einer besonderen Bedeutung dieser Stelle die Palisade hier nicht durchlaufend errichtete. Ähnliche Brandspuren wurden auch in zwei weiteren Gruben beobachtet.
In der Verfüllung einer dieser Gruben kamen
fünf eng nebeneinander liegende Finger- und
Mittelhandknochen einer rechten Hand zum Vorschein, die ebenfalls einem erwachsenen Individuum zugewiesen werden konnten.
Das während der Grabung 2oo3 geborgene
archäologische Material – insbesondere aber die
Keramik aus der Grabenverfüllung – bestätigte
den bereits im Vorjahr getroffenen Datierungsansatz. Als wichtig für die Interpretation und
weitere Planung des Projektes erwiesen sich erste Ergebnisse zu einer möglichen astronomischen
Bedeutung der Anlage. Anhand des georeferenzierten Grabungsplanes konnte W. Schlosser vom
Institut für Astro-Physik der Universität Bochum
nachweisen, dass die festgestellte Flucht der südlichen Kopfenden der Palisaden eine Visurlinie
ergibt, die präzise auf den Horizontpunkt des Sonnenaufgangs zur Wintersonnenwende am Beginn
des 5. Jahrtausends v. Chr. orientiert ist (Bertemes/
Schlosser 2oo4, 51). Mit dieser Vorrichtung ließ
sich demnach vor knapp 7 ooo Jahren der Zeitpunkt der Wintersonnenwende bestimmen.
Die Grabungskampagne 2004
Aufgrund der Grabungsergebnisse der beiden ersten Kampagnen (Bertemes u. a. 2oo4) und der erkennbaren stetigen Zerstörung des Bodendenk-
N
Grubenverfüllung
Palisadengräbchen
menschliche Knochen
Bereich mit Knochensplittern
Ocker
Gerölle
Silex
mals durch intensive landwirtschaftliche Nutzung
des Platzes entschloss man sich, die Anlage 2oo4
im Rahmen einer siebenmonatigen Kampagne
einer vollständigen archäologischen Untersuchung durch das damalige Institut für Prähistorische Archäologie und das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie zu unterziehen6.
Die in den vorherigen Grabungen gewonnenen Informationen zum Aussehen des Grabens
und seiner Verfüllungsgeschichte konnten im Jahr
2oo4 weiter präzisiert werden (Abb. 6). Wie bei
allen bislang untersuchten mittelneolithischen
Rondellen war auch der Gosecker Graben weitestgehend V-förmig ausgehoben worden. Lediglich
einige Profile im Süden zeigten einen eher wannenförmigen Grabenquerschnitt (Abb. 6a). Wegen
des hier anstehenden stark kiesigen und somit
instabilen Substrates hatten die Erbauer der Anlage anscheinend auf die Ausführung einer spitzen Sohle verzichtet. Im Gesamtverlauf der Sohle
fallen ferner unterschiedlich tief ausgehobene Segmente auf. Diese sind nicht ausschließlich auf
Substratunterschiede zurückzuführen. Vermutlich hatte man den Verlauf des auszuhebenden
Grabens in einzelne Segmente unterteilt und diese
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
50 cm
Abb. 5 Goseck, Burgenlandkreis. Neolithische »Sonderbestattung« in einer wannenförmig eingetieften Grube im
Bereich der kleinen Lücke der
äußeren Palisade.
13
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 6 Goseck, Burgenlandkreis. Profile des stichbandkeramischen Kreisgrabens
(a,b) und des Grabens der
Gaterslebener Kultur (c).
14
zum Abgraben unterschiedlichen Arbeitsgruppen
zugewiesen (Bertemes/ Northe 2oo6).
Der Graben war auf seiner Gesamtlänge mit
jenen drei unterschiedlichen Schichtpaketen verfüllt (Abb. 6), die bereits in den Vorjahren dokumentiert werden konnten (Bertemes u. a. 2oo4,
139). Von ihnen ist lediglich die mittlere anthropogen eingebracht. Im Osten war diese Schicht
deutlich mächtiger ausgeprägt und bestand teilweise aus mehreren kompakten Schichten mit
zahlreichen bis zu Kindskopf großen Geröllsteinen, die nach dem Auflassen der Anlage in den
bereits teilweise verfüllten Graben eingebracht
worden waren. Der auf diese Art nahezu zu zwei
Dritteln verfüllte Graben stand danach allerdings
längere Zeit offen, so dass er nur allmählich
zusedimentierte und eine Bodenbildung im oberen Schichtenpaket einsetzen konnte (Bertemes/
Northe 2oo6).
Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Grabung 2oo4 zählen Befunde in einigen Querprofilen des Grabens, die Hinweise auf den Verbleib
des Aushubs liefern. Sie zeigen im oberen Drittel deutlich eine asymmetrische Verfüllung mit
kiesig-sandigem Material (Abb. 6b). Dieses Material entspricht dem anstehenden eiszeitlichen
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
Untergrund und kann daher nur als sekundär
eingebrachter ehemaliger Aushub angesprochen
werden. Bei diesen Profilen ist die kiesige Schicht
in der Regel von außen in den Graben gerutscht.
Offensichtlich war der Aushub demnach außen
vor dem Kreisgraben als Wall aufgeschüttet. Unter Berücksichtigung des Grabenprofils hatte dieser Wall bei einer angenommen Höhe von 1,5 m
eine Breite von ca. 5 m bzw. bei einer Höhe von
2,5 m eine Breite von 3 m. Diese Beobachtung
widerlegt für Goseck die in der Literatur vielfach
geäußerte Meinung, es habe bei neolithischen
Rondellen keine begleitenden Wälle gegeben und
der Aushub sei weggebracht und außerhalb der
Anlage einplaniert worden (Fera u. a. 2oo5, 66;
Petrasch 199o, 476). Auch die für andere Rondelle
geäußerte Vorstellung, man habe den Aushub im
Zwischenraum der Palisadenringe aufgeschüttet
(Němejcová-Pavúková 1995, 2o2 ff.), trifft für Goseck sicher nicht zu. Da mehrere Bereiche zwischen den Palisaden Gruben aufweisen, die außerdem teilweise die Palisadengräbchen überlagern,
kann der Aushub nicht zwischen den Palisaden
gelagert worden sein (Abb. 3). Zudem lassen die
Ausgestaltung der Torbereiche sowie weitere
2oo4 nachgewiesene Unterbrechungen im Palisadenverlauf eine derartige Rekonstruktion nicht
zu.
Aufgrund dieser sicher nicht erhaltungsbedingten Unterbrechungen musste das bis dahin
angenommene Bild umlaufend blickdicht geschlossener Palisaden korrigiert werden. Entlang
einer gedachten Nord-Süd-Achse durch die Anlage waren diese exakt symmetrisch in der Ostund Westhälfte der Palisadenkreise angeordnet.
Diese Lücken unterscheiden sich in Gestalt und
Ausmaß deutlich von den drei »Toren«. Im Osten
und Westen waren es schmale Unterbrechungen,
während sich im Nordosten und Nordwesten breiter unterbrochene Bereiche mit einzeln gesetzten Pfosten abzeichneten (Abb. 7). Anschließende
astronomische Untersuchungen ergaben auch
für diese paarweisen Unterbrechungen Ausrichtungen auf wichtige Termine im Kultjahr der frühen bäuerlichen Gemeinschaften.
Die Funde
Aufgrund der räumlichen Verteilung der Kleinfunde wird deutlich, dass die Tore im Norden,
Südosten und Südwesten wichtige Aktionsbereiche
der Anlage markieren. Zum einen befanden sich
die meisten Funde in der Verfüllung der Torwangen und angrenzenden Grabenbereiche. Andererseits konzentrierten sich in der Nähe dieser
Bereiche zahlreiche stichbandkeramische Gruben.
Als besonders interessant erwiesen sich Gruben
im Bereich des Südwesttores, deren Wände und
Sohlen – ähnlich der genannten Gruben am Südosttor – durch massive Feuereinwirkung inten-
AKTUELLE FORSCHUNGEN
siv geglüht waren (Abb. 3). Wenn auch die genaue
Funktion dieser Befunde zunächst unklar bleibt,
dürfte es sich bei diesen Gruben wahrscheinlich
um Erdöfen gehandelt haben.
Die meisten Scherben aus der unteren und
mittleren Verfüllschicht sind recht groß und kaum
abgerollt, wodurch sie unmittelbar mit der Nutzungszeit der Anlage in Verbindung gebracht werden können (Abb. 8). Vermutlich sind sie Überreste des während der Rituale verwendeten
Geschirrs, das nach seiner kultischen Nutzung
nicht dem profanen häuslichen Bereich zugeführt
werden durfte und im Bannbereich der Anlage
im Graben »entsorgt« wurde. Daneben kamen
einige wenige Arbeitsgeräte aus Knochen und
Geweih, einige Feuersteinartefakte – meist Klingenfragmente –, aber kaum Felssteingeräte vor. Besonders erwähnenswert ist eine »Deponierung«
von fünf Klingen, die vielleicht in einem nicht
mehr erhaltenen Behältnis aus organischem Material in den Graben gelangten.
In der gesamten Grabenverfüllung fanden sich
des Weiteren in unterschiedlicher Konzentration
Knochen verschiedener Haustierarten. Im Bereich
der Tore konnten jedoch Konzentrationen von Rinderschädelteilen und -hornzapfen (z. T. auch vom
Ur) beobachtet werden. Unklar ist jedoch, ob sie
bewusst hier deponierte Reste darstellen oder als
Bukranien zu interpretieren sind, die ursprünglich an den Pfosten im Torbereich befestigt gewesen und sekundär in den Graben gelangt sind.
Ebenfalls sekundär verlagert sind ferner einzelne Menschenknochen, die aber offensichtlich
in keinem funktionalen Zusammenhang mit der
Anlage stehen, da sie aus dem obersten Schichtpaket der Grabenverfüllung stammen und wahrscheinlich durch Tiere in den Graben verschleppt
wurden.
Datierung der Erbauungs- und Nutzungszeit
Bisher wurde eine Serie von über 4o Knochenproben einer Radiokarbondatierung unterzogen7. Die Datierungsproben stammen dabei sowohl von der Grabensohle als auch aus den darüber liegenden Verfüllungsschichten. Die ersten
Daten bestätigten die bereits aufgrund der keramischen Funde angenommene frühe Errichtung
der Anlage im 49. Jh. v. Chr. Andererseits belegen
sie aber auch, dass die Anlage wohl bis zum Beginn des 47. Jh. v. Chr. in ihrer ursprünglichen
Funktion genutzt worden ist (Abb. 9). Diese Daten entsprechen auch dem typologischen Spektrum der gefundenen Keramik, die in die Stufen
Ib und II der Stichbandkeramik-Kultur nach Kaufmann zu datieren sind (Kaufmann 1976, 16 ff.)
(Abb. 8). Nur die Daten aus der oberen Grabenverfüllung gehören in das 46. Jh. v. Chr., was auch
durch einzelne nach-stichbandkeramische Scherben bestätigt wird, die allerdings nur teilweise
sicher kulturell eingrenzbar sind und am ehesten
in einen spätlengyel- oder trichterbecherzeitlichen Horizont einzuordnen sind. Die relativ kurze
Nutzungszeit während der Stichbandkeramik-Kultur entspricht Beobachtungen an anderen mitteleuropäischen Anlagen, wonach sämtliche Kreisgrabenanlagen ab dem 46. Jh. v. Chr. in ihrer
ursprünglichen Funktion nicht weiter genutzt worden sind (Petrasch 199o, 517 f.).
Datierbares Material aus den Palisadengräbchen konnte hingegen nicht geborgen werden,
weshalb konkrete Angaben zum zeitlichen Verhältnis der Palisaden zueinander und zum Kreisgraben weiterhin offen bleiben.
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
Abb. 7 Goseck, Burgenlandkreis. Unterbrechungen in den
Palisaden mit astronomischer
Ausrichtung (links Beltaine,
rechts Sommersonnenwende).
Beltaine ist der im Irischen
überlieferte zweite Höhepunkt
im keltischen Jahreslauf, er
wurde in der Nacht zum und
während des 1. Mai bei den Inselkelten gefeiert als Frühlingsund Fruchtbarkeitsfest, geht
aber auf sehr viel ältere Vorstellungen zurück (vgl. Abb.28).
Abb. 8 Goseck, Burgenlandkreis. Auswahl von Keramikfunden aus dem stichbandkeramischen Kreisgraben.
15
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Das Rondell und sein Kontext – Die landschaftsarchäologischen Untersuchungen
Wesen und Bedeutung der Interaktion Kultur
– Natur bzw. Mensch – Umwelt sind seit einigen
Jahrzehnten eine der zentralen Fragestellungen
unseres Faches. Dazu gehört auch die Frage, wie
der Mensch den Lebensraum nach seinen Bedürfnissen organisiert hat. Von der traditionellen Siedlungsarchäologie verlagert sich allmählich das
wissenschaftliche Interesse immer mehr in Richtung Landschaftsarchäologie. Ziel ist dabei, die
Lebensräume der ur- und frühgeschichtlichen Menschen nicht mehr nur unter ökologischen, wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gesichtspunkten und Fragen des Rohstoffangebotes zu
untersuchen, sondern diese auch unter gesellschaftlichen und im weitesten Sinne kultisch-religiösen
Aspekten zu verstehen. Landschaftsarchäologie
wird somit als Archäologie einer Kulturlandschaft
verstanden (Scarre 2oo2).
Weitere archäologische Forschungen widmen
sich seit 2oo5 dem Umfeld der Kreisgrabenanlage
von Goseck, einer Landschaft, die sich vom Neolithikum bis in die Neuzeit durch eine besonders
hohe Fundstellendichte auszeichnet (Abb. 1o). Aus
diesem ca. 5o km2 umfassenden Raum liegen umfangreiche Luftbilddaten, oberirdisch sichtbare
Bodendenkmäler, Grabungen, Altfunde und
Fundmeldungen sowie Survey- und geophysikalische Prospektionsdaten vor. Forschungsziele sind
eine landschaftsarchäologische Rekonstruktion
des Lebensraumes und seiner Entwicklung im
Laufe der Zeit, die Beschreibung von Beziehungen zu zeitgleichen Siedlungen und Bestattungsplätzen8 und die Behandlung weiterer infrastruktureller Gesichtspunkte, da nur so die
komplexe Bedeutung der Kreisgrabenanlage für
die Mikroregion verstanden werden kann (vgl.
Meyer/Raetzel-Fabian 2oo6).
Abb. 9 Goseck, Burgenlandkreis. Radiokarbondaten von
Knochenproben aus dem stichbandkeramischen Kreisgraben.
Die Grabungen der Jahre 2oo5 und 2oo6 bildeten den Auftakt der Untersuchungen der unmittelbaren Umgebung der Kreisgrabenanlage und
der Mikroregion um Goseck. Neben Grabungen
im Umfeld des Rondells umfassen sie Grabungen zur Frühgeschichte, zum Mittelalter und zur
Neuzeit der Mikroregion, die von H.-G. Stephan
in Zusammenarbeit mit R. Schwarz und J. Weinig durchgeführt werden, sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung der bronzezeitlichen Funde
aus der Gegend9. Die bisherigen Grabungsergebnisse zur neolithischen Besiedlung sind hoch spannend, wenn auch sicherlich nicht so spektakulär
wie in den Vorjahren10. Bisher konnten insgesamt vier Hektar nördlich, östlich und südöstlich der Kreisgrabenanlage geophysikalisch prospektiert und dabei u. a. der weitere Verlauf des
nördlichen Gräbchens sowie östlich ein Langhaus
festgestellt werden, das eventuell den Bereich einer Siedlung anzeigt, die während der Nutzungszeit der Kreisgrabenanlage bestand.
In dem 2oo6 weiter südöstlich prospektierten
Bereich ergaben sich Hinweise auf eine mit einem Graben umfasste Siedlung aus mehreren
Langbauten. Neuere Luftbilder und vor allem die
Ergebnisse einer Baubegleitung im Rahmen der
Befestigung eines an der Kreisgrabenanlage vorbeilaufenden Weges konnten diese Befunde einer linienbandkeramischen Siedlung zuweisen.
Während der Baubegleitung bestätigte sich die
Annahme einer stichbandkeramischen Siedlung
östlich der Kreisgrabenanlage ebenfalls durch angeschnittene zeitgleiche Siedlungsgruben. Ebenfalls durch Luftbilder neu entdeckt wurde ein
Bereich mit mehreren rechteckigen und ovalen
Gruben etwa 4oo m südlich des Kreisgrabens, der
wahrscheinlich eine Nekropole darstellt (Abb. 11).
Durch diese Daten können die Planungen zukünftiger landschaftsarchäologischer Grabungen
sehr gezielt vorgenommen werden.
Atmospheric data from Stuiver et al. (1998); OxCal v3,9 Bronk Ramsey (2003); cub r:4 sd:12 prob usp[chron]
Goseck 75 5660±35BP
Goseck 139 5620±35BP
Goseck 380-XIV 5670±40BP
Goseck 190-III 5880±40BP
Goseck 301-VII 5905±35BP
Goseck 386/XV 5820±40BP
Goseck 380-XI 5945±35BP
Goseck 201 5900±35BP
5500 CalBC
5000 CalBC
4500 CalBC
Calibrated date
16
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
4000 CalBC
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 10 Goseck, Burgenlandkreis. Siedlungskammer um die
Kreisgrabenanlage bzw. das
Gebiet der vorgesehenen landschaftsarchäologischen Untersuchungen zwischen Saaletal
Naumburg-Weißenfels, unterer
Unstrut und Zeuchfelder
Trockental.
Funde und Befunde im Kontext der Kreisgrabenanlage
Da der im Norden auf die westliche Torwange
zulaufende Graben (Graben I) bereits auf den Luftbildern einen deutlichen Bezug zum Nordtor der
Kreisgrabenanlage zeigte, war hier eine Grabung
zur Klärung der chronologischen Einordnung des
Befundes notwendig. Nach ursprünglicher Annahme wurde dieses Gräbchen als eventuelle Markierung einer »Prozessionsstraße« zur Kreisgrabenanlage angesehen.
Die Untersuchungen beschränkten sich auf eine
ca. 3o m x 4o m große Fläche (Abb. 12). Hier konnte
der Graben auf einer Länge von 35 m dokumentiert
werden. Im nördlichen Teil besaß er eine ca. 5 m
breite Unterbrechung, im mittleren Bereich überlagerte er einen von Südosten nach Nordwesten
ziehenden schmaleren Graben (Graben II), der auf
einer Länge von ca. 25 m dokumentiert werden
konnte und anscheinend im Bereich der nordwestlichen Grabungsecke nach Nordosten umbog. Beide Gräben zeigen einen wannenförmigen Querschnitt und waren bis in eine Tiefe von
1,2 m erhalten (Abb. 6c).
Bei den wenigen keramischen Funden aus Graben I handelt es sich ausnahmslos um eine unverzierte graubraune bis dunkelgraue, uneinheitlich gefärbte Ware mit geglätteter Oberfläche.
Die unverzierten Wandungsfragmente besitzen
meist kein aussagekräftiges Profil. Einige Fragmente lassen jedoch einen mehr oder weniger
deutlichen Schulterumbruch erkennen. Nicht selten sind dort halbkugelige bis konische Knubben angebracht. Derartige Merkmale finden am
ehesten Entsprechungen in der spät-lengyelzeitlichen Gaterslebener Kultur. Die Warenart der
wenigen Scherben aus Graben II stimmt mit den
Funden aus Graben I überein. Nach-stichbandkeramische Keramik ähnlicher Machart und Gestaltung fiel, wie oben erwähnt, bereits in den
obersten Verfüllungsschichten des Kreisgrabens
besonders im Norden und Osten auf. Demnach
muss dieser auch noch zur Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr. teilweise offen gelegen haben und
offensichtlich nachgenutzt worden sein.
Etwa 1,5 m westlich der Unterbrechung des
Grabens I befand sich in einer ca. o,4 m x o,3 m
großen und noch ca. o,25 m tiefen, ovalen Grube
ein kleines zentrales Leichenbrandhäufchen, neben dem zwei Feuersteinklingen und zwei stark
beschädigte Gefäße niedergelegt waren. Eines der
beiden Gefäße konnte nach seiner Blockbergung
nahezu vollständig zusammengesetzt werden. Dieses ca. 7 cm hohe Gefäß weist einen ausgebildeten, konkaven Standboden, einen leicht konischen
Bauch und ein durch einen deutlichen Umbruch
abgesetztes, recht gerades Oberteil auf. Dicht oberhalb des Umbruchs liegen zwei halbkugelige Knub-
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
17
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Graben
Langhaus
Graben
Langhäuser
Graben
Nekropole?
Abb. 11 Goseck, Burgenlandkreis. Geophysikalisch
und luftbildarchäologisch
nachgewiesene Befunde im
näheren Umfeld der stichbandkeramischen Kreisgrabenanlage.
Abb. 12 Goseck, Burgenlandkreis. Befundplan der
Grabungskampagne 2005
(vgl. Abb. 11 links oben).
18
ben, die zu einem Verbund von ursprünglich vier
kreuzständigen Knubben zu ergänzen sind (Abb.
13). Im Bruch ist ein mineralisch gemagerter Ton
mit graubraunem Tonkern zu erkennen. Die Tonschale ist gelbbraun bis graubraun und die Gefäßoberfläche außen leicht geglättet. Durch Form
und Ware des Gefäßes ist dieser Befund ebenfalls mit der Gaterslebener Kultur zu verbinden,
für die – neben der Körperbestattung in gehockter Lage – Brandbestattungen nicht untypisch sind
(Kroitzsch 1973, 12 f.).
Ein weiteres Grab kam an der westlichen Grabungskante zum Vorschein. In einer 1,5 m brei-
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
ten, rundlichen Grube lag in o,5 m Tiefe ein schlecht
erhaltener, nordwest-südost-orientierter linker
Hocker mit Kopf im Norden (Abb. 14). Um die
Bestattung herum waren in die Grubenfüllung
mehrere Feuersteinabschläge und -klingenbruchstücke eingebettet. Eine Zuordnung zur Gaterslebener Kultur ist aufgrund des Fehlens keramischer Beigaben nicht sicher, wenn auch durchaus
wahrscheinlich, da neben den vornehmlich rechten auch linke Hockerbestattungen überliefert
sind (Schirmer 1938, 37 f.).
Neben einigen Pfostengruben im zentralen Bereich der Grabungsfläche wurde eine nicht datierbare Pfostengrubenkonzentration im Nordostteil
dokumentiert. Die im Abstand von ca. 2 m liegenden Pfostenlöcher können zu einem mindestens
5 m langen und 4 m breiten, nordwest-südost-orientierten Hausgrundriss verbunden werden. Da in
der gesamten Grabungsfläche jedoch keine Funde
vorhanden waren, die sicher jünger oder älter als
die Gaterslebener Kultur sind, ist für diesen Befundkomplex eine Zuweisung zu dieser Kultur
nicht unmöglich. Eine kulturelle Zuordnung des
Befundes aufgrund architektonischer Merkmale
ist schwierig, da bisher keine Hausbefunde aus
dieser Kultur bekannt sind (Steinmann 1994, 86).
Im Jahr 2oo6 wurde begonnen, eine 7oo m2
große Fläche östlich der Kreisgrabenanlage zu
untersuchen. Sie umfasst jene geomagnetischen
Anomalien, die als Hinweise auf wandbegleitende
Materialentnahmegruben eines Langhauses interpretiert wurden und in unmittelbarer Nähe zu
den während der Baubegleitung 2oo5 angeschnittenen stichbandkeramischen Siedlungsgruben
liegen.
Unmittelbar unter der Unterkante der Pflugschicht kamen zahlreiche Gruben, Pfostengruben und Gräbchen zum Vorschein, die als Beleg
dafür gewertet werden können, dass diese Stelle
während der Linien- und Stichbandkeramik, aber
auch in post-bandkeramischer Zeit besiedelt war.
Die Pfostengruben und die Gräbchen im Osten
der Grabungsfläche gehören mehreren, sich teilweise überlagernden Gebäuden an, deren Grundrisse aufgrund des zu geringen Ausschnittes noch
nicht ganz erschlossen werden konnten (Abb. 15).
Das keramische Fundmaterial umfasst Scherben der mittleren und jüngeren Linienbandkeramik sowie der älteren, aber vorwiegend mittleren bis jüngeren Stichbandkeramik. Vereinzelte
Stücke gehören in nach-stichbandkeramische
Zeit und können vor allem der Gaterslebener Kultur zugeordnet werden. Die Steinindustrie umfasst neben dem üblichen Geräteinventar auffallend viele Kernsteine und Präparationsabschläge.
In der Westhälfte der Grabungsfläche kamen
auf einer Fläche von ca. 2oo m2 Reste einer ungestörten Kulturschicht mit jungsteinzeitlichen
Befunden zum Vorschein, die sich kleinräumig
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 13 Goseck, Burgenlandkreis. Gefäß aus der Brandbestattung der Gaterslebener Kultur.
Gefäßhöhe 7 cm.
in einer Senke erhalten hat. Sie besteht aus grauschwarzem, humosem Material mit zahlreichen
bandkeramischen Keramikfragmenten, Silexartefakten, Tierknochenbruchstücken, Holzkohleflitter und kleinen Hüttenlehmpartikeln. In diese
Schicht sind in einem Abstand von ca. 8 m jene
bereits in der Geomagnetik erkannten nordwestsüdost-verlaufenden Längsgruben eingetieft, ohne
dass sich hier die Grubenränder bisher deutlich
absetzen. Diese Gruben sind mit dem Wandversturz eines verbrannten Hauses verfüllt, der wohl
auch die Ursache für die deutliche Erkennbarkeit
während der geophysikalischen Prospektion war.
Aufgrund der Einzigartigkeit dieses Befundes beschloss man, diesen Bereich vorerst unberührt
zu lassen, wieder abzudecken und erst im folgenden Jahr mit entsprechender Sorgfalt auszugraben11.
Wohnen an der Kreisgrabenanlage – Die Dokumentation eines bandkeramischen Hauses
Da sich die angenommenen Befunde während
der Kampagne 2oo6 zunächst nicht von der umliegenden humosen Kulturschicht abgrenzen ließen, wurde der Bereich 2oo7 in 2 m x 2 m große
Sektoren unterteilt und schachbrettartig ausgegraben, um flächendeckend Längs- und Querprofile
als Kontrollmöglichkeit zu erhalten (Abb. 16).
Bereits nach einigen Zentimetern waren zahlreiche Gruben und Grubenkomplexe sowie die
hausbegleitenden Längsgruben mit mehr oder weniger deutlichen Befundgrenzen zu erkennen. Nur
einige wenige Gruben waren erst erkennbar, als
der anstehende Kies erreicht wurde und sich die
Eintiefungen farblich und durch ihre Substanz
klar vom Anstehenden abhoben (Abb. 17).
Ein Großteil dieser Gruben kann anhand ihrer
Verfüllung, Form und Lage als Pfostengruben eines ehemaligen Hauses angesprochen werden.
Dieses nordwest-südost-ausgerichtete Gebäude
ließ sich auf einer Länge von 14,5 m Länge und
8 m Breite zwischen den Längsgruben dokumentieren, wobei weder der nordwestliche noch
der südöstliche Hausabschluss sicher erfassbar
waren. Zumindest die östliche Hausseite lässt sich
durch Befunde, die 2oo6 dokumentiert wurden,
nördlich und südlich erweitern (Abb. 18).
Die Längsseiten des Hauses wurden durch
4o–6o cm breite und teilweise bis zu 3o cm in
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
Abb. 14 Goseck, Burgenlandkreis. Neolithische Körperbestattung (Gaterslebener Kultur?).
19
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Gruben, Gräbchen, Pfostenlöcher
N
»Kulturschicht«
Hüttenlehm
0
Pflugspuren
Abb. 15 Goseck, Burgenlandkreis. Befundplan der
Grabungskampagne 2006.
20
den Kies eingetiefte Pfostengruben gebildet, die
in unregelmäßigen Abständen von 1,o–2,5 m in
3o–5o cm Entfernung von den erkennbaren Kanten der hausbegleitenden Längsgruben lagen. Die
Standspuren zeigen, dass in den Gruben bis zu
o,3 m starke Pfosten direkt auf dem Grubenboden oder knapp darüber standen.
Rechtwinklig zu den Längspfostenreihen verlaufen in Abständen von 3,o–4,2 m vier Reihen
von Bindern, deren Gruben einen Durchmesser
von o,8–1,o m hatten. Größtenteils waren diese
Gruben nur bis auf den anstehenden Kies eingetieft, vereinzelt wurde aber auch bis zu 4o cm in
den Kies gegraben. Auch in diesen Pfostengruben
waren zum Teil noch Standspuren von 4o–5o cm
starken Pfosten zu erkennen. Das Fehlen einer
Pfostengrube in der südlichen Binderreihe ist wohl
auf das Abbaggern bis auf den Kies im Jahr 2oo6
in diesem Bereich zurückzuführen.
Die Anordnung dieser Querreihen entspricht
nicht der Innengliederung linienbandkeramischer
Langhäuser, sondern der Aufteilung in stichbandkeramischen Gebäuden. Hiermit und durch die
typische Ausrichtung bandkeramischer Häuser
sind bereits erste Hinweise auf eine relative Gleichzeitigkeit des Siedlungsplatzes mit der nur 15o m
entfernten Kreisgrabenanlage gegeben. Unge-
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
10 m
wöhnlich erscheint jedoch, dass die Längswände
offensichtlich nicht aus Doppelpfostenreihen bestehen, wie man sie z. B. von stichbandkeramischen Hausbefunden aus Zwenkau-Harth (Quitta
1958) oder Böhlen-Zeschwitz (Hoffmann 1957)
kennt. Bei diesen Gebäuden wurde jedoch festgestellt, dass die Pfosten der inneren Reihe häufig deutlich schmäler waren und weniger tief gesetzt wurden. Eventuell waren diese in Goseck
fehlenden Pfosten im Mutterboden nicht erkennbar oder bereits im Vorjahr beim Abtrag des Pflughorizontes abgebaggert worden.
Im Bereich der östlichen Pfostenreihe konnten dennoch drei Pfostengruben dokumentiert
werden, die ca. 2o cm vor der Pfostenreihe standen und eventuell Reste der zu erwartenden zweiten Pfostenreihe sind. Zu diesen Befunden passen außerdem drei Pfostenlöcher 12 m südöstlich
in dieser Flucht, die bereits 2oo6 dokumentiert
wurden und 3o cm vor einer breiteren Pfostengrube lagen, die sich ebenfalls in der Flucht der
östlichen Längsseite des Hauses befand (Abb. 18).
Aufgrund des Fehlens datierbarer Funde in
diesen Pfostenlöchern kann eine Zusammengehörigkeit aber nicht mit Sicherheit angenommen
werden. Dass stichbandkeramische Bauten jedoch
nicht immer durch äußere Doppelpfostenreihen
AKTUELLE FORSCHUNGEN
gekennzeichnet sind, zeigen z. B. auch Hausbefunde aus anderen Verbreitungsgebieten der
Stichbandkeramik-Kultur (z. B. Godłowska 1969;
Günther 1973; Modderman 1969; Modderman
1977; Riedhammer 2oo3).
Besonderes Interesse galt den beiden hausbegleitenden Längsgruben. Fanden sich doch hier
Hinweise auf eine Zerstörung des Hauses durch
Brand. In beiden Längsgruben konnten bereits
2oo6 zum Teil recht große und gut erhaltene verbrannte Reste des ehemaligen Wandverputzes
dokumentiert werden. Da zahlreiche Fragmente
deutlich erkennbar die Abdrücke der ehemaligen hölzernen Wandkonstruktion zeigen, werden von der Auswertung der Funde interessante
Details zur Bauweise bandkeramischer Langhäuser erwartet (Abb. 19).
Ursprünglich wurde angenommen, dass während des Brandes oder kurz danach die Hauswände nach außen kippten und sich dadurch der
verziegelte Wandverputz in den Längsgruben erhielt. Nach der Untersuchung weiterer Befunde
im Bereich des Hauses wurde jedoch klar, dass
der verbrannte Bauschutt absichtlich in bereits
offene Gruben, wie die Längsgruben, gebracht
wurde. Offensichtlich wurde der Platz somit
nachträglich bereinigt, um neuen Nutzungsraum
zu schaffen. Für die Entsorgung wurden jedoch
nicht nur Siedlungsgruben aus der Nutzungszeit
des Hauses benutzt. Im Rahmen der Bereinigung
scheinen zusätzlich Gruben im Bereich des ehemaligen Hauses ausgehoben worden zu sein, um
den Bauschutt aufzunehmen (Abb. 2o).
Gruben, Gräbchen, Grubenkomplexe
Erdofen?
hausbegleitende Längsgruben
neolithische Kinderbestattung
zum Haus gehörige Pfostengruben
Steinkeil-Depot
Pfostenstandspuren
Mahlstein-Depot
Abb. 16 Goseck, Burgenlandkreis. Grabungsfläche 2007.
Abb. 17 Goseck, Burgenlandkreis. Befundplan der Grabungskampagne 2007.
N
0
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AKTUELLE FORSCHUNGEN
N
Pfostengruben 2007
Pfostengruben 2006
hausbegleitende Längsgruben 2007
Abb. 18 Goseck, Burgenlandkreis. Hausgrundriss der Kultur
mit Stichbandkeramik.
22
Eventuell brannte das Haus jedoch nicht vollständig ab, so dass einige Pfosten zumindest teilweise erhalten blieben. Diese Reste wurden offensichtlich aus dem Boden gezogen und vielleicht
weiterverwendet. Die so hinterbliebenen Eintiefungen dienten danach ebenfalls als Raum zur
Entsorgung des Bauschuttes (Abb. 21).
Installationen im Inneren des Hauses konnten nicht festgestellt werden, da der ehemalige
Laufhorizont nicht mehr erhalten war. Interessant sind jedoch zwei Befunde, deren Gleichzeitigkeit mit dem Haus zwar nicht sicher, aber wahrscheinlich ist. So fand sich im nordwestlichen
Teil des Hauses eine ovale Grube, die 1,3 m lang,
8o cm breit und noch 5o cm tief erhalten war.
Die Grubenfüllung enthielt neben einigen verziegelten Lehmbrocken und vereinzelten stichbandkeramischen Scherben zwei vollständige
Mahlsteine, die direkt auf dem Grubenboden lagen (Abb. 22). Einer der beiden lag dabei umgedreht an den zweiten gelehnt. Obwohl dieser Befund nicht den Eindruck hinterlässt, als wären
die Mahlsteine achtlos in der Grube entsorgt worden, müssen Aussagen zu den Hintergründen
der Niederlegung offen bleiben. Gegen eine Ansprache als Arbeitsplatz sprechen jedoch die relativ enge Grubensituation und das Fehlen weiterer Funde, insbesondere botanischer Makroreste.
Eine sichere Datierung der Grube in stichband-
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
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10 m
keramische Zeit ist allein anhand der Mahlsteine
nicht möglich, da ihr Aussehen durch die Handhabung geprägt ist und somit auch eine Datierung in andere Epochen ermöglicht.
Der zweite interessante Befund lag ca. 2 m südöstlich davon. Hier konnte eine Grube aufgedeckt
werden, die unmittelbar und ohne klare Befundabgrenzung an einer zum Haus gehörenden Pfostengrube lag. In ihrer Verfüllung lagen 2o cm
über der Grubensohle auf gleicher Höhe drei geschliffene Felsgesteingeräte. Hierbei handelt es sich
um einen 3o cm langen, 6 cm hohen und 5 cm
breiten durchbohrten Schuhleistenkeil, neben dem
ein 16 cm langes, 5 cm breites und 2 cm hohes
trapezförmiges Querbeil lag. Direkt unter diesem Querbeil kam ein zweiter, 2o,5 cm langer,
3,5 cm hoher und 3 cm breiter Schuhleistenkeil
zum Vorschein. Alle diese Geräte wurden aus ortsfremdem Amphibolit hergestellt und waren sehr
fein poliert (Abb. 23). Klare Gebrauchsspuren zeigt
keiner der Funde. Die sehr kleinen Aussplitterungen im Bereich der Klingen können nur während des Schleif- oder Poliervorgangs entstanden
sein. Lediglich der kleinere, undurchbohrte Schuhleistenkeil besitzt am Nacken größere Absplitterungen. Die Politur des Nackens reicht aber etwas über die Kanten der abgesplitterten Bereiche
hinaus, was gegen eine nutzungsbedingte Absplitterung spricht (Abb. 24). Ganz offensichtlich
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 19 Goseck, Burgenlandkreis Auswahl verbrannter
Fragmente des ehemaligen
Lehmverputzes.
waren die Geräte vor ihrer Niederlegung nie in
Gebrauch gewesen.
Der gesamte Befund lässt nur den Schluss zu,
dass die Geräte absichtlich und mit einer gewissen
Sorgfalt in die Grube gelegt wurden. Offen bleiben muss, ob es sich bei diesem Depotfund um
einen Verwahrfund oder vielleicht ein »Opfer«
handelt. Aufgrund des großen Arbeitsaufwandes,
den die Herstellung solcher Geräte erforderte,
und der Tatsache, dass es sich um eingehandeltes Rohmaterial handelt, wird der hohe Wert dieser Gegenstände klar12. Unklar bleibt aber, ob die
Geräte als Fertigprodukte eingehandelt oder vor
Ort zugerichtet wurden. Da die Keile nie benutzt
wurden, scheinen sie eine Bedeutung für den Besitzer gehabt zu haben, die wohl weit über mögliche praktische Funktionen hinaus ging. Sicherlich haben wir hier Artefakte vor uns, die besondere Prestige- oder Statussymbole waren. Mitunter wird das Fehlen von Nutzungsspuren, wie
z. B. beim Depotfund von Seebergen (Hennig 1963),
aber auch als Argument für die Ansprache als
Werkstattverwahrfund herangezogen. Hier finden sich aber neben fertig gestellten Artefakten
auch häufig Halbfabrikate oder sogar unbearbeitetes Rohmaterial wie im Falle des Verwahrfundes in der stichbandkeramischen Siedlung bei
Zwenkau-Harth (Quitta 1955). Für uns ist jedoch
gerade das Fehlen von Abfallprodukten oder Halb-
fabrikaten ein Indiz für eine völlig anders geartete Motivation der Niederlegung, die eventuell
sogar kultisch begründet sein kann (Baumann
1962).
Ein weiterer erwähnenswerter Befund fand
sich südöstlich des Gebäudes. Direkt am südlichen
Ende der östlichen Längsgrube wurde beim Tiefergehen innerhalb eines Grubenkomplexes eine ca.
3 m lange und 1 m breite längsovale, ost-west orientierte Grube erfasst, deren Sohle zwei unterschiedliche Niveaus besaß. Der Grubenboden war bis
zu 4o cm in den anstehenden Kies eingetieft und
gemessen von der heutigen Geländeoberkante
ca. 8o cm tief. Der östliche Bereich war dabei ca.
1o cm tiefer als der westliche, wobei zwischen
beiden Höhen ein fließender Übergang bestand
(Abb. 25). Die Grubenwände waren – soweit dokumentierbar – relativ steil. Für das westliche Grubenende konnte aufgrund der Überschneidung mit
anderen Befunden jedoch kein klares Grubenprofil erkannt werden.
Auf dem leicht muldenförmigen Grubenboden im Osten befand sich eine bis 12 cm dicke
Lehmschicht, die aufgrund größerer Hitzeeinwirkung rot gebrannt war. Darüber lag eine noch
4o cm dicke, schwarzgraue aschig-humose Schicht,
in deren unterem Drittel sich eine Anhäufung
größerer Gerölle fand, unter denen eine große
Anzahl von Brocken aus Muschelkalk auffiel. Der
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
23
AKTUELLE FORSCHUNGEN
handelte es sich vor allem um unspezifische Scherben, die lediglich als allgemein jungsteinzeitlich
angesprochen werden konnten.
Die konkrete Funktion des Ofens ist derzeit
noch unklar. Das Fehlen botanischer Großreste
spricht wohl gegen eine Verwendung als Darre.
Auch eine Nutzung als Backofen bleibt unsicher.
Eventuell hängen aber die knapp über dem Grubenboden liegenden Gerölle und hier besonders
die Muschelkalkbrocken mit der ursprünglichen
Funktion zusammen. Unsicher bleibt auch die
Datierung. Gegen eine Zugehörigkeit zum Haus
scheinen jedoch die unmittelbare Nähe des Hauses und die Lage des »Ofenzugangs« im Windschatten des Gebäudes zu sprechen.
Sicher nach-stichbandkeramisch ist ein Befund,
der aufgrund seiner Lage zunächst als eventuelle
Pfostengrube angesprochen wurde. In der Flucht
der östlichen Längswand des stichbandkeramischen Hauses konnte in unmittelbarer Nähe zur
Längsgrube eine 4o cm x 6o cm große ovale Grube
dokumentiert werden, die die Bestattung eines
ca. ein- bis zweijährigen Kindes enthielt. Das Kind
lag in Hockstellung auf der rechten Seite mit dem
Kopf im Südosten, nach Nordosten blickend
(Abb. 27). Die Beigabe eines 1o cm hohen verzierungslosen Gefäßes scheint das Grab entweder in eine späte Phase der StichbandkeramikKultur oder in post-bandkeramische Zeit zu
datieren und kann somit eventuell auch der Rössener Kultur zugeordnet werden.
Zusammen mit diesem Fund und den Funden der Grabung im Jahr 2oo5 weisen die zahlreichen linien- und stichbandkeramischen Befunde
in unmittelbarer Nähe der Kreisgrabenanlage auf
die intensive Besiedlung des Gebietes um Goseck
in den ersten tausend Jahren seit Ankunft der ersten sesshaften Bauern in Mitteldeutschland hin.
Abb. 20 Goseck, Burgenlandkreis. Grube mit eingebrachtem
Bauschutt (verbrannter
Lehmverputz).
Abb. 21 Goseck, Burgenlandkreis. Pfostengrube mit
eingebrachtem Bauschutt
(verbrannter Lehmverputz) im
Bereich des ehemaligen
Pfostens.
24
Boden des höheren, westlichen Teils bestand aus
einer ca. 1 cm starken, grauweißen kalkig-tonigen
Schicht, über die sich ebenfalls die schwarzgraue
Schicht zog. Hier lagen deutliche weniger Gerölle und ausschließlich in der Nähe des Grubenrandes (Abb. 26).
Allein aufgrund der verziegelten Lehmschicht
im westlichen Teil kann dieser Befund wohl als
»Ofen« angesprochen werden, wobei das Fehlen
ungebrannter Grubenränder bei diesem Befund
sonderbar erscheint. Reste oder Hinweise auf kuppelartige Überbauten konnten nicht festgestellt
werden. Daher scheint dieser Ofen wirklich unterirdisch angelegt worden zu sein, wie dies häufig
für die bandkeramische Zeit festgestellt werden
konnte (Petrasch 1986; Lüning u. a. 2oo4).
Datierendes Material wurde nur in sehr geringem Maße in der Verfüllung gefunden. Neben
einigen wenigen stichbandkeramischen Scherben
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
Zur Deutung der Kreisgrabenanlage von
Goseck
Seit den 198oer Jahren wurden sehr unterschiedliche Funktionsinterpretationen für neolitische Kreisgräben vorgeschlagen. Für die einen
handelte es sich um Viehkrale, für andere hingegen soll es sich um Befestigungen handeln, die
man im Fall von kriegerischen Auseinandersetzungen aufsuchen konnte. Nicht selten wurden
sie mit Markt- und Versammlungsplätzen in Verbindung gebracht. Weiterhin sehen zahlreiche
Forscher in ihnen Heiligtümer und Kultplätze.
Aufgrund der durch die geophysikalische Prospektion festgestellten Ausrichtung der bayerischen Anlagen vermutete bereits H. Becker eine
astronomische Bedeutung mittelneolithischer
Rondelle (Becker 199o, 139 ff.).
Die meisten der vorgeschlagenen Interpretationen kranken aber daran, dass sie ausschließlich monokausal durchdacht sind. Ansätze, die
AKTUELLE FORSCHUNGEN
auf monokausalen Überlegungen basieren, sind
jedoch in der Urgeschichte, wo insbesondere die
profanen und sakralen Bereiche eng miteinander verwoben sind und gesellschaftliche oder wirtschaftliche Belange in der Regel auch eine kultisch/religiöse Dimension haben, sicher nicht
ausreichend. Allerdings tut man sich in der Forschung nach wie vor schwer damit, die Erkennbarkeit von Religion, Kult und Ritual im archäologischen Material zu definieren. Gleiches gilt
für die räumliche Verortung der damit vollzogenen Handlungen, d.h. den Kultplatz im eigentlichen Sinn (Bertemes 1991; Bertemes 2oo 2,
123 ff.). Eine wesentliche Herausforderung liegt
demnach darin, bisher fehlende, allgemein akzeptierte methodische Richtlinien bzw. theoretische
Grundlagen zu schaffen (Bertemes/ Biehl 2oo1,
1 ff.). Erschwert wird das Ganze dadurch, dass
die archäologischen Daten nicht aus sich selbst
heraus ihren kultischen oder religiösen Hintergrund zu erkennen geben. Allzu oft wird eine
spezielle Befundgattung oder ein spezieller Fundtyp allein aufgrund ihrer scheinbaren »Außergewöhnlichkeit« oder einer aus heutiger Sicht
nicht mehr erkennbaren profanen Funktion unreflektiert der sakralen Sphäre zugewiesen. Da
besonders im Falle schrift- und bilderloser Kulturen die archäologischen Daten die mit ihnen
verbundenen Rituale und kultischen Handlungen selbst nicht überliefern, können wir allenfalls den Ort des Geschehens oder aber die »verdinglichten« Überreste solcher Handlungen
(Deponierungen, »Entsorgungen« usw.) bzw. die
dabei verwendeten Hilfsmittel (Kultgeschirr, Opfer usw.) nachweisen. Mit der Frage, wie sich urgeschichtliche Kultplätze zu erkennen geben, hat
sich F. Bertemes in den letzten Jahren ausführlich auseinandergesetzt und ist dabei zum Schluss
gekommen, dass sie ausschließlich aus den archäologisch festgestellten Merkmalen der Befunde und
Funde sowie deren speziellen Fundumständen
im Gesamtkontext erschlossen werden kann. Dafür wurde ein umfassender Fragenkatalog entworfen, der die bei einer solchen Analyse zu berücksichtigende Punkte auflistet (Bertemes 1991;
Bertemes 2oo2, 132).
Die Kreisgrabenanlage von Goseck kann – wie
auch für zahlreiche andere mittelneolithische Rondelle nachgewiesen – als zentraler Bezugspunkt
einer durch topographische Merkmale begrenzten Mikroregion angesehen werden. Ihre Positionierung auf dem oberen Teil eines leichten Hanges ermöglicht den Blick über ca. 3o km2 Siedlungsgebiet.
Die durch drei Eingänge charakterisierte, etwa
kreisrunde Anlage besaß eine zu stichbandkeramischer Zeit unbebaute Innenfläche. Auch in unmittelbarer Umgebung befanden sich zu dieser
Zeit keine weiteren Bauten. Hinweise auf gleichzeitige Häuser finden sich erst in einer Entfer-
nung von rund 15o m östlich der Anlage. Die Abgrenzung des Platzes nach außen wird durch einen an der ehemaligen Oberfläche13 2,5–3 m
breiten, tiefen Spitzgraben markiert und durch
den außen vorgelagerten Wall zusätzlich unterstrichen sowie optisch betont. Für die zwei Palisadenringe wurden schätzungsweise 2ooo Baumstämme mit einem Durchmesser von ca. 2o–3o cm
verwendet. Da diese ca. o,7–1,o m unter die neolithische Oberfläche eingetieft waren, kann unter heutigen statischen Gesichtspunkten von einer aufgehenden Höhe von mindestens 3 m
ausgegangen werden.
Die Konzeption der Anlage macht eine primär strategische Funktion wenig wahrscheinlich.
Vor allem der außen vorgelagerte Wall macht
fortifikatorisch kaum Sinn, da von hier aus recht
einfach das Innere der Anlage mit Schuss- oder
Wurfwaffen angegriffen werden konnte. Zusätz-
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
Abb. 22 Goseck, Burgenlandkreis. Im Bereich des Hauses
deponierte Mahlsteine.
Abb. 23 Goseck, Burgenlandkreis. Im Bereich des Hauses
deponierte Amphibolit-Keile
(v.l.n.r. durchbohrter Schuhleistenkeil, Schuhleistenkeil,
Flachhacke).
25
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 24 Goseck, Burgenlandkreis. Schneiden der AmphibolitKeile und Nacken (Mitte unten)
des undurchbohrten
Schuhleistenkeils.
lich wirken die Tore eher als offene Durchlässe
als Übergänge bzw. Landbrücken über den Graben, für die sich keinerlei Hinweise auf eine Verschließung bzw. Verbarrikadierung fanden. Der
Bauaufwand und die dadurch erzielte Monumentalität der Anlage sprechen außerdem gegen eine
einfache Nutzung als Viehkral, da ein wesentlich
einfacher zu errichtendes Gehege aus Buschwerk
oder einfachen Zäunen den gleichen Zweck erfüllen könnte. Zusätzlich ließen Phosphatanalysen
keine Unterschiede zwischen dem Inneren der
Anlage und der Umgebung erkennen.
Sowohl der Wall als auch der zweifache Palisadenring verhinderten aber die Einsehbarkeit
des Innenraumes und verbargen so die Geschehnisse im Inneren der Anlage. Gleichzeitig wurde
innen befindlichen Personen sicher ein Gefühl
der Abgeschiedenheit vermittelt, da die Außenwelt ihrerseits ebenfalls nicht mehr einsehbar
war. Dieses Gefühl wird auch heute noch zusätzlich
dadurch unterstrichen, dass Geräusche der Umgebung nur sehr begrenzt nach innen dringen,
andererseits das eigene gesprochene Wort, von
den Palisaden reflektiert, mit einem Widerhall
wahrgenommen wird. Die architektonische Konzeption der Anlage bewirkt somit eine Fokussierung der Aufmerksamkeit und erfüllt dadurch
eines der Kriterien, die bereits Renfrew und Bahn
als wichtige archäologische Indikatoren für Rituale ansahen (Renfrew/Bahn 1996, 391; Renfrew
1984).
Vor dem Hintergrund einer möglichen kultischen Funktion der Anlage sind ebenfalls die
Gruben bemerkenswert, die sich an den beiden
südlichen Toren konzentrierten und den Nachweis der Einwirkung intensiven Feuers lieferten.
Eventuell spielten sie eine Rolle bei der Zube-
26
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
reitung von Festspeisen oder – wie besonders im
Fall der Gruben mit eingeschlossenen menschlichen Knochen – bei besonderen Handlungen
während der Erbauung der Anlage. Weitere Hinweise für eventuell vollzogene Festspeisen liefern die zahlreichen Reste geschlachteter Tiere,
vor allem Rinder. Die vielen, z. T. sehr großen
Fragmente von Rinderschädeln und Hornzapfen
sowie die zahlreichen Keramikfunde aus den Torbereichen des Grabens markieren diese Stellen
als Aktionszentren kultischer Handlungen, die
durch den in den Schädeln sicherlich konzentrierten Symbolgehalt des Rindes betont werden.
Dass Rinder in bandkeramischer Zeit wahrscheinlich eine über den wirtschaftlichen Nutzen hinausgehende Bedeutung hatten, belegen
Gefäße mit hornartigen Applikationen. Auch das
oben erwähnte Klingendepot besaß vielleicht einen rituellen Hintergrund.
Die Ausrichtung des Südost- und des Südwesttores sowie der Unterbrechungen in der Palisade erfolgte nach astronomischen Gesichtspunkten (Abb. 28). Das Südost- und Südwesttor
sind gemäß der Sonnenaufgangs- und -untergangspunkte zur Wintersonnenwende orientiert.
Unter Berücksichtigung der Geländemorphologie konnte W. Schlosser Berechnungen durchführen, welche belegen, dass auch die weiteren
Unterbrechungen der Palisaden im Osten und
Westen astronomisch exakt ausgerichtet sind und
die Sonnenauf- und -untergangspunkte zur Sommersonnenwende und Ende April/Anfang Mai
(Beltaine/Walpurgisnacht) markieren. Bereits die
Manifestierung solcher für frühe bäuerliche Gemeinschaften bedeutsamen Termine spricht für
eine kultische Nutzung der Anlage. Mit diesen
Vorrichtungen konnte man einerseits die für das
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 27 Goseck, Burgenlandkreis. Neolithische Kinderbestattung.
28
Erst nach der letzten Eiszeit kommt es im Zuge
der Neolithisierung zu gravierenden Veränderungen. Die produzierende Wirtschaftsweise im
Neolithikum und mit ihr einhergehende Domestikationen und Kultivierungen hatten nicht nur
Auswirkungen auf Umwelt, Pflanzen und Tiere,
sondern veränderten auch tiefgreifend das gesellschaftliche, religiöse und psychische Verhalten
der Menschen. Dabei spielt der Konflikt zwischen
der wilden und der domestizierten Welt eine bestimmende Rolle. Die domestizierte Welt war ständig den physischen wie auch metaphysischen Übergriffen aus der sie umgebenden Wildnis ausgesetzt.
Die Wildnis wurde als Bedrohung der eigenen
Ordnung angesehen. Die Grenze zwischen beiden Welten erwies sich als wenig stabil und war
nur mit erheblichem Aufwand zu erhalten. Dieser Konflikt generierte ein gesteigertes Schutzbedürfnis, das zur Bildung bewusst konzipierter,
materialisierter Grenzen geführt hat, die zur Sicherung der Siedlungen, Felder und Herden dienten. Die Grenze wurde zum physischen Hindernis, wie sie auch die frühen Bauern Mitteleuropas
in Form von Palisaden, Zäunen und komplexen
Erdwerken aus Gräben und Wällen errichteten.
Durch diese »Sichtbarmachung« werden Grenzen
erstmals auch archäologisch fassbar.
Der umhegte, abgeschlossene Raum zeigt uns,
dass im Neolithikum das duale Konzept »Innen
und Außen« mit der Konnotation außen = Gefahr
und innen = Sicherheit eine besondere Rolle gespielt hat. Dies lässt auf eine im Vergleich zu jener bei den Wildbeutern weit reichende Veränderung des Sinngehaltes der Grenze schließen.
Ein derartiger Bedeutungswandel ist auch auf
anderen Gebieten, wie z. B. der Gesellschaft und
dem Kult fassbar. Neben Naturheiligtümern kommen nun erstmals auch architektonisch konzipierte Heiligtümer als genau festgelegte Kultplätze
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
vor, die in der Regel eine sichtbare Abgrenzung
des sakralen Bereiches von der profanen Umwelt erkennen lassen. In diesem speziellen Fall
dürfte das Konzept lauten: innen = sakral und
außen = profan. Im kultischen Geschehen stand
das Überleben der Sippe im Vordergrund und
so vollzog man in diesen Heiligtümern Riten, die
die Fruchtbarkeit der Felder, der Herde aber auch
der eigenen Gruppe sichern sollten. Die mit der
produktiven Nahrungsmittelwirtschaft einhergehenden Handlungen ihrerseits – sowie übrigens auch das Ausbeuten natürlicher Ressourcen –
wurden als Eingriffe in die natürliche Ordnung
verstanden. Durch Opferungen musste diese deshalb wieder hergestellt werden.
Das Konzept der Grenze gliedert ebenso den
Ablauf der natürlichen Zyklen in deutlich getrennte
Phasen. Der Übergang von der einen zur nächsten Phase erfolgte durch das »Überschreiten« dieser Grenzen. Heiligtümer wie das stichbandkeramische Rondell von Goseck zeigen, dass bei
der Wahrung der Ordnung die genaue Bestimmung astronomischer Wendepunkte wie die Sonnenwenden oder auch die Äquinoktien von größter Bedeutung war. An der in solchen Anlagen
erfolgten kalendarischen Bestimmung richtete
man den Ablauf des bäuerlichen Jahres aus. Aber
auch andere Zyklen wie z. B. der Lebenszyklus
Geburt – Leben – Sterben – Tod wurden nicht in
ständigem Fluss verstanden, sondern in einzelne
Phasen bzw. Seinszustände unterteilt. Die Grenze
zwischen zwei Phasen konnte nur mit Hilfe genau festgelegter Riten überwunden werden. Somit ist das neolithische Konzept der Grenze ebenfalls eng mit dem des Übergangs verbunden.
Mit den gesellschaftlichen bzw. kultischen Riten, die beim Überwinden solcher Grenzen vollzogen wurden, hat sich erstmals der Ethnologe
und Volkskundler A. van Gennep ausführlich beschäftigt (van Gennep 19o9). Er beschrieb und klassifizierte erstmals sämtliche Formen von Übergangsriten. Analog zum beschriebenen Konzept
der Grenze handelt es sich auch hier um zeitliche, räumliche, aber auch gesellschaftliche Übergänge. Dabei herrscht die Auffassung vor, dass
beim Passieren eines Übergangs die gegebene
Ordnung in Frage gestellt wird. Durch genau definierte Rituale muss deshalb dieser Übergang
markiert und Störungen der Ordnung durch Opferungen minimiert werden. Lassen sich zwar
Markierungen im günstigsten Fall archäologisch
nachweisen, so hinterlassen Riten sowie der Akt
und die Bedeutung einer Opferung keine Spuren. Lediglich das dem Erdreich übergebene materielle Resultat der Opferung oder der geopferte
Gegenstand ist für den Archäologen fassbar.
Van Gennep untergliedert Übergangsriten in
drei Bereiche: »rites de passage, rites de marge«
und »rites d’agrégagation«. Der Amerikaner V. Turner fasste seinerseits diese Begriffe unter den
AKTUELLE FORSCHUNGEN
Abb. 28 Goseck, Burgenlandkreis. Plan der astronomischkalendarischen Ausrichtungen
der Kreisgrabenanlage. Der
29. April entspricht dem Frühlings- und Fruchtbarkeitsfest
Beltaine.
heute in der Ethnologie und Archäologie geläufigen Bezeichnungen »Separation«, »Liminalität«
und »Reintegration« zusammen (Turner 1967; Turner 1969). Torkonstruktionen, Landbrücken,
Durchlässe durch sakrale oder profane Erdwerke,
befestigte Siedlungen oder umfriedete Ländereien
wurden von den Menschen des Neolithikums stets
mit größter Sorgfalt gestaltet. Im Sinne van Genneps stellen sie räumliche Übergänge dar, die einer sichtbaren Markierung bedurften. Übergänge
stellen Schwellen oder eine Art Niemandsland
dar. Nicht selten häufen sich hier Reste von blutigen und unblutigen Opferungen. Im gesellschaftlichen Rahmen spielen z. B. der Übergang
eines Kindes in die Welt der Erwachsenen, d. h.
in die Gesellschaft, die Ab- und Rückgliederung
eines Kranken, die Hochzeit, die Geburt und der
Tod eine besondere Rolle. Inhaltlich regelten die
dabei vollzogenen Riten die Auflösung des bisherigen Status eines Individuums, die Initiation
sowie die Vorbereitung seines Übergangs in einen neuen Status. Mit Ausnahme des Totenrituals
hinterlässt der weitaus größte Teil der bei gesellschaftlichen Übergängen vollzogenen Riten allerdings keine archäologischen Spuren. So bleibt
die Vorstellung, dass neolithische Anlagen wie
das Rondell von Goseck auch im Rahmen von
Initiationsriten genutzt wurden, letztlich spekulativ, auch wenn allein die architektonische Konzeption eine solche Nutzung durchaus zulässt.
Ein wesentlicher Bestandteil einer Initiation ist
das »Verbergen« der mit ihr verbundenen Hand-
lungen vor den Außenstehenden. Die blickdichten Palisaden der Kreisgrabenanlage und die engen Tore würden dafür eine gute Voraussetzung
bilden. Man kann sich vorstellen, dass das Kind
als Nichtwissender das Tor und somit die Grenze
des hinter ihm liegenden Lebensabschnittes passierte, die Initiation erfuhr und als neuer Mensch
in die Gemeinschaft heraustrat.
Goseck: ein multifunktionales Heiligtum
Ohne der wissenschaftlichen Endauswertung
vorzugreifen, kann man bereits jetzt festhalten,
dass es sich um ein multifunktionales Monument
handelt, das primär als Kultplatz bzw. als Heiligtum konzipiert und verwendet wurde. Es diente
sicher nicht nur zur Festlegung kalendarisch wichtiger Daten im bäuerlichen bzw. kultischen Jahresablauf (Winter- und Sommersonnenwende,
Frühjahr), sondern es war gleichsam der Ort, an
dem diese Feste abgehalten und damit verbundene Rituale vollzogen wurden. Kultplätze sind
in der Regel Stellen, an denen sich das Heilige
regelhaft offenbart. Sie dienen als Kommunikationssphäre, als Tore zum Jenseits. Im Fall der
mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen lässt die
besondere Betonung der Abgrenzung auf einen
ausgeprägten Dualismus »innen – außen« bzw.
»sakral – profan« schließen. Trifft dies zu, so wären die Eingangsbereiche eher als Brücken zu
verstehen, die zur Überwindung dieser Grenze
dienen. Die Vorstellung von immer wiederkeh-
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
29
AKTUELLE FORSCHUNGEN
renden Zyklen und die symbolische Betonung
der Übergänge veranlasst uns, Übergangsriten
zu postulieren. Außerdem würde die Blickdichtheit der Palisaden besonders bei Initiationen durchgeführten »rites de passage« an Bedeutung gewinnen, da sie den Außenstehenden den Einblick
über die Aktivitäten im Inneren verwehrten.
Bereits diese wenigen Hinweise zeigen, dass
eine ausschließliche Interpretation des Bodendenkmals als »Sonnenobservatorium« der komplexen Bedeutung eines solchen frühen Heiligtums nicht gerecht wird. Solche Anlagen stellen
in der Regel einen zentralen Bezugspunkt einer
Siedlungskammer dar und wir haben davon auszugehen, dass sie in gemeinsamer Anstrengung
aller Siedler erbaut wurden. Durch die Monumentalität der Anlage konnte das Prestige der Erbauer
für alle sichtbar zum Ausdruck gebracht werden.
Alle wichtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ereignisse der Gruppe waren eng in den
Glaubensvorstellungen verwurzelt. Mit diesen ersten gebauten Heiligtümern Mitteleuropas gaben
sich die Menschen einen Ort, an dem der Alltag
kultisch begleitet bzw. ritualisiert und legitimiert
1 Die genannte Anzahl beinhaltet neben Kreisgrabenanlagen aus der Zeit
von 49oo–46oo v. Chr. auch jüngere
jungsteinzeitliche sowie bronzezeitliche Anlagen.
2 Neben der Gosecker Anlage handelt
es sich hierbei um zwei Anlagen
nördlich von Quedlinburg, Ldkr.
Harz, und eine Anlage bei Kötschlitz,
Saalekreis (vgl. hierzu Schwarz 2oo3,
45 ff.).
3 Für Goseck findet man die nächstgelegenen Anlagen bei Kötschlitz,
Ortsteil von Zöschen, Saalekreis, und
Zwenkau-Eythra, Ldkr. Leipziger
Land (Stäuble 1999).
4 Die offizielle Eröffnung der rekonstruierten Anlage fand am
21.12.2oo5 statt. Die Eröffnung des
Info-Points erfolgte am1o.o5.2oo6.
5 Die jährlichen Grabungen dienen als
Ausbildung unseres wissenschaftlichen Nachwuchses. Unser Dank gilt
aber nicht nur allen beteiligten Studierenden, sondern besonders den
Eigentümern und Pächtern der
untersuchten Flächen sowie dem
Verein »Gosecker Sonnenobservato-
ANMERKUNGEN
Baumann 1962
W. Baumann, Zwei bandkeramische
Steingerätedepots von DresdenNickern. Ausgr. u. Funde 7, 1962,
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L I T E R AT U R
30
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
bzw. »beeinflusst« werden konnte (Bertemes/
Northe 2oo7).
Natürlich lassen sich auch sekundäre Nutzungen vorstellen. Denkbar ist ebenfalls, dass man
sich an diesem die gesamte Siedlungskammer
dominierenden Ort zu Kommunikationszwecken
versammelte oder aber Markt hielt.
Die anthropogen eingebrachte mittlere Füllschicht des Grabens der Gosecker Kreisgrabenanlage spricht dafür, dass man die Anlage, nachdem sie aufgegeben wurde oder aber ihren
Nutzen verloren hat, wohl absichtlich zerstört
bzw. unbrauchbar gemacht hat. Die Profile zeigen jedoch, dass eine vollständige Einplanierung
nicht intendiert war. Was zu diesem Zeitpunkt
mit den Palisaden passierte, ist unklar. Danach
blieb die Stelle der ehemaligen Kreisgrabenanlage während mehrerer Generationen ungenutzt.
Erst in nach-stichbandkeramischer Zeit wurde
der teilweise verfüllte Graben in ein neues Grabensystem einbezogen, das sehr wahrscheinlich eine
nordöstlich des Rondells angelegte Siedlung dieser Zeit umschloss14.
rium e. V.« für ihre Kooperation und
Unterstützung.
Grabungsleiter vor Ort waren
O. Schröder (LDA) und A. Northe
(MLU).
Die bisherigen Datierungen wurden
durch das Poznań Radiocarbon Laboratory (Polen) durchgeführt.
Zahlreiche großflächig prospektierte
Fundstellen mit Kreisgrabenanlagen
zeigen die Verknüpfung der Rondelle
mit zeitgleichen Siedlungen, weiteren Erdwerken und/oder Bestattungsplätzen (z. B. Bylany, Böhmen [Pavlů
u. a. 1995] oder Osterhofen-Schmiedorf, Niederbayern [Becker 1996]).
siehe Beitrag Stephan in diesem
Band; insgesamt siehe eine geplante
Publikation in der Reihe »Himmelswege« mit Beiträgen von J. Weinig
und B. Zich.
Aufgabe dieser Grabungen waren
bisher die zeitliche und kulturelle
Bestimmung des nördlich der Kreisgrabenanlage befindlichen Grabens
und die Suche einer mit der Kreisgrabenanlage zeitgleichen Siedlung.
11 Wandverputzreste ehemaliger bandkeramischer Häuser sind auch von
anderen Fundplätzen bekannt. Die
Häufung der Funde sowie die Interpretation der Hintergründe ihrer
»Entsorgung« erscheinen bis jetzt
singulär.
12 Die nächsten Vorkommen von
Amphibolit gibt es im sächsischen
Erzgebirge, dem Fichtelgebirge, im
Vogtland und Schwarzwald.
13 Eine bodenkundliche Bewertung der
Fundstelle durch Frau Dr. M. Klamm
(LDA) ergab, dass seit Beginn der intensiven Beackerung des Gebietes
mit einem Bodenabtrag an der ehemaligen Oberfläche von mindestens
o,5 m zu rechnen ist.
14 Sowohl die Ergebnisse der Grabungen 2oo5–2oo7, nördlich und östlich
des Rondells 2oo5 als auch die erwähnte Baubegleitung 2oo5 und die
Feldbegehungen nordöstlich der Anlage weisen auf eine Besiedlung während post-bandkeramischer Zeit hin.
Bertemes 1991
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6
7
8
9
1o
AKTUELLE FORSCHUNGEN
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Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
31
AKTUELLE FORSCHUNGEN
ABBILDUNGSNACHWEIS
1 A. Northe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
(nach Daim/Neubauer 2oo5,
ergänzt)
2–3, 5–8, 11–12, 14–28
A. Northe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
32
Archäologie in Sachsen-Anhalt · 5 · 2010
4, 13 J. Kanew, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
9 F. Bertemes/A. Northe, Martin-Luther-Universität HalleWittenberg
1o A. Northe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
(Kartengrundlage: Landesamt
für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt)