Kippen, Nobelpreise und jolifanto bambla – Hannah Arendt, Marie Curie und Emmy Ball-Hennings im Porträt

Bild aus "Alles ist Dada. Emmy Ball-Hennings" (Avant-Verlag)

In den letzten Monaten haben drei Comic-Biografien einige Aufmerksamkeit erfahren, u. a. in der aktuellen Comic-Bestenliste. Drei Porträts berühmter Frauen verschiedener Generationen, die sich allesamt in männlichen Strukturen behaupten mussten, jede mit ganz eigenen Mitteln: Hannah Arendt (1906-1975), Marie Curie (1867-1934) und Emmy Ball-Hennings (1885-1948) haben die Philosophie, die Wissenschaft und die Kunst des 20. Jahrhunderts mitgeprägt.

Krimstein über Hannah Arendt

Die Arendt-Biografie von Ken Krimstein erzählt entlang der philosophischen Freundschaften der politischen Theoretikerin Hannah Ahrendt und bettet deren Leben und Denken in einen persönlichen Zusammenhang ein, der sich wie ein „Who is Who“ der Philosophiegeschichte liest: Martin Heidegger, Walter Benjamin, Herbert Marcuse, Emmanuel Levinas und wieder Martin Heidegger. Immer wieder Heidegger.

Ken Krimstein (Autor und Zeichner): „Die drei Leben der Hannah Arendt“.
Aus dem Englischen von Hanns Zischler. DTV, München 2019. 244 Seiten. 16,90 Euro

Das Leben der deutsch-amerikanischen, jüdischen Philosophin steckt voller Widersprüche: Als Kind spielte sie mit dem Nachbarsjungen Hans, der sie „Jüdin“ schimpfte, als Studentin begann sie eine Affäre mit dem charismatischen Philosophiedozenten Martin Heidegger, der sich im Dritten Reich auf die falsche Seite schlug, den aber ein unsichtbares Band weiterhin mit Arendt verband. Der Comic macht deutlich, dass Heidegger sie bis zu ihrem Tod 1975 nicht mehr loslassen würde.

In kritzeligen Schwarz-Weiß-Skizzen verfolgt Krimstein das Leben Arendts durch das Studium in Marburg über ihre Zeit im trubeligen Berlin und die Flucht vor den Nationalsozialisten nach Prag und Paris, bis sie schließlich endgültig in die USA emigriert. Dort findet sie eine Anstellung beim Schocken Verlag, später eine Professur in Princeton. Als erste Frau.

Krimstein bindet Arendts Thesen zum Totalitarismus, ihr Hauptwerk „Vita Activa“ und – etwas weniger ausführlich – ihre Berichterstattung über den Prozess gegen den Nationalsozialisten Adolf Eichmann, ein, das Buch gerät aber nicht zu einer Werkbeschreibung oder philosophischen Diskussion (wie etwa die Comic-Dissertation „Unflattening“ von Nick Sousanis), sondern fokussiert stets auf ihr Leben.

Als Grundlage der Comic-Biografie dient die Lebensbeschreibung der Arendt-Schülerin Elisabeth Young-Bruehl. Ken Krimstein ist als Karikaturist u. a. für den New Yorker tätig und hat mit diesem Comic seine zweite längere Publikation nach „Kvettch as kvetch can: Jewish Cartoons“ (2010) vorgelegt. Die amerikanische Originalausgabe „The Three Escapes of Hannah Arendt“ ist 2018 bei Bloomsbury erschienen.

Osterfelt und Blaszcyk über Marie Curie

Wesentlich farbenfroher ist die Comic-Biografie der Autorin Frances Andreasen Osterfelt und der Illustratorin Anna Blaszcyk geraten, die im März 2020 bei Knesebeck erschienen ist. Anja C. Andersen hat das Projekt, so die Autorin in einem Interview, beratend unterstützt.

Frances A. Østerfelt (Autorin), Anja C. Andersen (Autorin), Anna Blaszczyk (Zeichnerin): „Marie Curie. Ein Licht im Dunkeln“.
Aus dem Dänischen von Franziska Hüther. Knesebeck, München 2020. 136 Seiten. 22 Euro

In vier Kapiteln schildert Andreasen das Leben der späteren Nobelpreisträgerin Marie Curie, der es nicht nur gelang, diesen Preis als erste Frau zu erhalten, sondern die gleich zwei Mal ausgezeichnet wurde: 1903 für Physik, 1911 für Chemie.

Marie Curie, geboren 1867 als Maria Salomea Skłodowska, wächst in Warschau auf und verlässt ihre polnische Heimat 1891 für ein Studium der Physik an der Pariser Sorbonne. Dort lernt sie Pierre Curie kennen, den sie 1895 heiratet und mit dem sie die Geheimnisse der Radioaktivität zu ergründen sucht. 1903 wird ihr, gemeinsam mit Pierre Curie und Henri Becquerel, der Nobelpreis für Physik verliehen.
So facettenreich und abwechslungsreich die Text-Bild-Arrangements von Blaszczyk, die auf Skizzen Osterfelts zurückgehen, auch sind, sie bringen die Figuren nicht zum Sprechen. Meist illustrieren die ganzseitigen Abbildungen nur den reizlosen Text einer tristen Erzählerstimme. Ganz im Gegensatz zu der differenzierten Comic-Biografie über Hannah Arendt wird Marie Curie in dieser allzu glatten Erzählung nicht greifbar, weder als Mensch noch als Wissenschaftlerin.

Viñas und Lázaro über Emmy Ball-Hennings

Mit Emmy Ball-Hennings haben die beiden spanischen Künstler sich eine heimliche Ikone der europäischen Literatur vorgenommen. Emmy Ball-Hennings hat die Dada-Bewegung um Hugo Ball (ihren Ehemann), Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck nicht nur miterlebt, sondern selbst mitgeprägt. Das Züricher Cabaret Voltaire, das als Geburtsort des Dadaismus gelten kann, hat Emmy Ball-Hennings gemeinsam mit ihren Künstlerfreunden ins Leben gehoben.

Fernando González Viñas (Autor), José Lázaro (Zeichner): „Alles ist Dada. Emmy Ball-Hennings“.
Aus dem Spanischen von André Höchemer. Avant-Verlag, Berlin 2020. 232 Seiten. 25 Euro

Aus Flensburg stammend tritt die junge Frau eine Irrfahrt durch Deutschland an, mittellos, ziellos und kopflos, bis sie John Höxter und das Morphium kennenlernt. Beides führt sie nach Berlin und damit in das künstlerische Zentrum der Zeit. Sie lernt den literarischen Expressionismus und expressionistische Literaten kennen, letztere gern intim, so auch den jungen Jakob von Hoddis.

Erich Mühsam, Else Lasker-Schüler, Frank Wedekind – die Dichte an poetischer Prominenz erweckt fast den Eindruck, ein Kammerspiel der Hochkultur der 1910er Jahre mitzuerleben. Längst hatte der Erste Weltkrieg seinen Schrecken über die europäische Landkarte ausgebreitet und die Seelen vergiftet – Emmy Hennings und Hugo Ball verlassen Deutschland und lassen sich in Zürich nieder. Hier gründen sie 1916 den legendären Club Voltaire, diesen morphiumgeschwängerten Kreißsaal der ungezügelten Kreativität, in dem Hugo Ball sich in einem grotesken Kostüm auf die Bühne stellt: „Jolifanto Bambla Ô Falli“.

Die spanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel „El Ángel Dadá“ (2017) bei El Paseo und ist dort bereits in einer zweiten Auflage verfügbar. Fernando González Viñas ist ein Novize auf dem Gebiet grafischer Erzählungen, ist aber als Autor spanischer Romane und Biografien durchaus erfahren. Zudem hat er als Übersetzer bereits das Werk von Emmy Ball-Hennings kennengelernt, sodass hier ein sprachlich geschulter und fachlich versierter Autor am Werk ist. Das merkt man der Sprache auch an. Die monochromen Kohlezeichnungen haben einige Höhepunkte, etwa wenn die Liebesbegegnungen im Stil expressionistischer Maler gezeigt werden, sind aber auch, was Perspektive und Ausschnitt anbelangt, relativ gleichmäßig.

Drei Frauen, drei Lebenswege mit Hindernissen

Die drei Comic-Biografien sind grafisch, erzählerisch und in Hinblick auf ihren Informationswert höchst unterschiedlich, zeigen aber allesamt die schwierigen Biografien von Frauen in männerdominierten Lebensbereichen. Dass sie sich aber auch nicht auf diese Rolle der „toughen Frau“ reduzieren lassen, macht vor allem die Biografien über Ahrendt und Ball-Hennings zu lesenswerten Comics. Glattgebügelte Biografien sind nämlich vor allem eins: langweilig.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Bild aus „Die drei Leben der Hannah Arendt“ (DTV)