Leben

Infantilisierung von Frauen Der lange Abschied vom "Fräulein"

Erwachsene Frauen wollten nicht länger Fräuleins sein.

Erwachsene Frauen wollten nicht länger Fräuleins sein.

(Foto: dpa)

Fräulein oder Frau, das war lange eine gesellschaftliche Einordnung, die allerdings immer weniger Frauen hinnehmen wollten. Vor 50 Jahren wird das Fräulein aus der Behördensprache verbannt, die dahinter stehende Sicht auf Frauen erweist sich als langlebiger.

Am 16. Januar 1972 erscheint ein Erlass des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher. Darin wird festgestellt, dass die Bezeichnung Frau weder eine Personenstandsbezeichnung, noch ein Teil des Namens oder ein Titel ist, der verliehen werden müsste. Frau sei zudem nicht gleichbedeutend mit "Ehefrau".

Diese Feststellungen lassen nur einen Schluss zu: Dass "im amtlichen Schriftverkehr gegenüber unverheirateten volljährigen Frauen ausschließlich die Anrede 'Frau' verwendet werden" soll. Damit wird das Fräulein aus der deutschen Behördensprache verbannt. Es dauert trotzdem noch bis Mitte der 70er-Jahre, bis der letzte behördliche Vordruck, auf dem noch Fräulein steht, vernichtet oder verbraucht ist.

Die Begründung in dem Papier aus dem Innenministerium ist unmissverständlich: "Es ist an der Zeit, im behördlichen Sprachgebrauch der Gleichstellung von Mann und Frau und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau von ihrer Stellung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen." Was für heutige Ohren sehr selbstverständlich klingt, ist es Anfang der 1970er-Jahre keineswegs.

Lang diskutierte Grundsatzfrage

Der Entscheidung war eine jahrelange Auseinandersetzung vorausgegangen, die auch im Bundestag leidenschaftlich geführt wurde. Die liberale Politikerin Marie-Elisabeth Lüders mahnte schon 1954: "Die Angelegenheit steht seit etwa 100 Jahren auf der Tagesordnung in der Öffentlichkeit" und erntet dafür lautes Gelächter der überwiegend männlichen Abgeordneten. Trotzdem setzt Lüders fort: "Es kann einer ledigen Frau nicht verwehrt werden, sich als Frau zu bezeichnen." Für viele Frauen ist die Frage der Anrede längst zur Grundsatzfrage geworden.

Im Innenministerium treffen reihenweise Beschwerden ein. Ein Fräulein sei eine kleine Frau, die entsprechend behandelt werde, schreiben die Frauen, die genau das oft genug erleben. "Man wird belächelt und als minderwertig behandelt", berichtet beispielsweise eine Frau in einem Brief, der im Bundesarchiv in Koblenz archiviert ist.

Ähnlich hatte es 1871 bereits die Schriftstellerin Franziska Essenther gesehen, die auch schon auf die sprachliche Schieflage verweist. Es sei ja auch nicht üblich, einen unverheirateten Mann als "Herrlein" anzusprechen, begründete sie ihre Forderung, die Verniedlichungsform Fräulein nicht mehr zu gebrauchen und zu der einheitlichen Anrede Frau überzugehen. Dass es 100 Jahre dauern würde, bis sich diese Veränderung durchsetzt, hätte sie vermutlich nicht für möglich gehalten.

Wandel, der sich sprachlich ausdrückt

Doch das Weltbild, das hinter der sprachlichen Form steht, erweist sich als ausgesprochen veränderungsresistent. Das Fräulein als weiblicher Mensch im Wartestand zur Verheiratung ist der Inbegriff geradezu kindlicher Abhängigkeit. Und diesen Umstand wollen vor allem Männer ungern angehen. Die Fräulein vom Amt oder in den Firmenbüros und Haushalten müssen ja nur so lange berufstätig sein, bis ein Ehemann ihre Versorgung übernimmt. Doch Anfang der 1950er-Jahre, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ist die Aussicht auf ein Leben als Ehefrau und Mutter für viele nicht besonders realistisch und auch immer weniger erstrebenswert. Und die Frauen geben sich nicht geschlagen, bis das Fräulein in der Behördensprache Geschichte ist.

Fünfzig Jahre später ist das Wort Fräulein aus dem Sprachgebrauch weitgehend verschwunden. Der Duden beschreibt Fräulein als eine "titelähnliche, auch als Anrede verwendete Bezeichnung für eine unverheiratete weibliche Person", weist aber ausdrücklich darauf hin, dass diese "veraltet" sei. Die Infantilisierung von Frauen ist es auch, ausgestorben ist sie dennoch nicht. Erst vor kurzem schrieb die Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin Katharina Nocun bei Twitter, dass sie Männer, die sie "Mädchen", "Mädel", "junge Dame" oder "Kleine" nennen, direkt blockt. "Ich bin Mitte 30 & hab diese Strategie der Infantilisierung von Frauen, um ihnen Kompetenz abzusprechen, mehr als satt", so Nocun.

Bis heute wird um die sprachliche Einordnung und Sichtbarkeit von Frauen gerungen. Lange galt das generische Maskulinum als Standard. Ärztinnen oder Verkäuferinnen sollten sich bei Arzt oder Verkäufer mitgemeint fühlen. Inzwischen wird gendergerechtes Sprechen und Schreiben in vielen Varianten ausprobiert. Leidenschaftlich und oft auch polemisch wird über das Gendern gestritten. Gleichzeitig kommen vielen Worte wie Studierende oder Pflegekraft leichter über die Lippen. Und in vielen Landesgesetzen wird auf die Gleichbehandlung von Frauen und Männern geachtet. In Vordrucken werden geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen verwendet oder die weibliche und männliche Form. Von Fräulein ist da nirgends mehr die Rede.

Quelle: ntv.de

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