Schreibmaschine
© Markus Winkler

Digitale Bewertungsportale – Ein Fall für mehr Regulierung?

David Klock und Thomas Fetzer, Universität Mannheim

Im Verlauf der letzten Jahre haben Bewertungsportale im Internet in zahlreichen Branchen an immer größerer Bedeutung gewonnen. Während sich Struktur und Funktionsweise dieser Portale im Detail unterscheiden, haben sie doch eine wesentliche Gemeinsamkeit: Eine breite Masse von NutzerInnen erhält unkomplizierten Zugang zu einer Vielzahl von Informationen über Waren und Dienstleistungen. Ziel dieser Portale ist es, den VerbraucherInnen eine möglichst informierte Auswahlentscheidung zu ermöglichen. Sie bilden damit zumindest ein ergänzendes Angebot zur „analogen“ Weiterempfehlung sowie zu unabhängigen Warentests (BKartA 2020, Ranchordas 2018) – man könnte also auch von 'Mundpropaganda 2.0' sprechen.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass deutsche Gerichte immer wieder betonen, dass Bewertungsportale eine wichtige Entscheidungshilfe für VerbraucherInnen sein können und ihr Geschäftsmodell daher gesellschaftlich erwünscht ist (siehe zuletzt BGH, Urt. v. 20. 02. 2020, Az: I ZR 193/18 – Kundenbewertungen auf Amazon).

Ihren verbraucherschützenden Zweck können Bewertungsportale dann am besten erfüllen, wenn sie möglichst unabhängige, repräsentative und transparente Informationen bieten. Selbstverständlich sind VerbraucherInnen aber nicht die einzigen, die besondere Interessen im Hinblick auf Bewertungsportale haben: Da sind zum einen die Bewerteten, die als AnbieterInnen von Waren oder Dienstleistungen naturgemäß ein großes Interesse daran haben – wenn überhaupt – nur positiv bewertet zu werden (Wilkat 2013). Zum anderen sind es die PortalbetreiberInnen selbst, die als Kommunikationsmittler zwischen den VerbraucherInnen auf den Bewertungssystemen fungieren. Als wirtschaftlich agierende Unternehmen haben sie oftmals rein monetäre Interessen (a. a. O.). So generieren sie etwa Einnahmen über Werbung oder kostenpflichtige Zusatzangebote für die Bewerteten (siehe z. B. den Gold- und Platin-Status des Ärztebewertungsportals Jameda, www.jameda.de/fuer-aerzte/). Im Falle sog. hybrider Bewertungsplattformen vertreiben die PortalbetreiberInnen dagegen konkurrierende Waren oder Dienstleistungen, die selbst auch Gegenstand der Bewertungen auf dem Portal sind (Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 2019).

Die beschriebenen Interessen der Beteiligten sind dabei nicht zwangsläufig konfliktfrei. So besteht zunächst ein offensichtliches Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der NutzerInnen und denen der Bewerteten. Dem Bedarf von VerbraucherInnen nach möglichst vielen, unabhängigen Erfahrungsberichten steht das Interesse von UnternehmerInnen gegenüber, möglichst nur gute Bewertungen vorweisen zu können, um attraktiv für neue KundInnen zu sein. Für die Bewerteten besteht deshalb naturgemäß ein gewisser Anreiz, auf Anzahl und Inhalt von Bewertungen Einfluss zu nehmen (BKartA 2020). Ähnliches gilt jedoch auch im Verhältnis zwischen PortalbetreiberInnen und Bewerteten. Das Vorhandensein eines Bewertungssystems mit einer großen Menge an Bewertungen wird aus VerbraucherInnensicht zwischenzeitlich als Standard vorausgesetzt (a. a. O.). Dementsprechend ist es auch für die BetreiberInnen wichtig, vertrauenswürdige Bewertungen anzeigen zu können. Abhängig vom gewählten Portaldesign bestehen ihrerseits aber noch weitere Interessen, das eigene Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Handelt es sich um ein hybrides Bewertungsportal, sind die BetreiberInnen zugleich auch Bewertete und haben deshalb ein Interesse daran, dass die eigenen Angebote in einem guten Licht stehen. Finanziert sich ein Portal dagegen überwiegend durch kostenpflichtige Zusatzangebote für Bewertete, besteht ein Anreiz, die zahlende Klientel nicht durch zu viele negative Bewertungen zu verschrecken.

Vor diesem Hintergrund bieten Bewertungsportale mit zunehmender Verbreitung und Beliebtheit immer öfter Stoff für rechtliche Probleme und gerichtliche Auseinandersetzungen.

Da die Bewertungen auf Portalen in der Regel anonym abgegeben werden und auch bei Registrierung und Abgabe von Bewertungen abgesehen von einer gültigen E-Mail-Adresse häufig keine persönlichen Daten angegeben werden müssen, sind VerbraucherInnen bisher selten Parteien vor Gericht. Vielmehr streiten sich dort nahezu ausschließlich die Bewerteten und die PortalbetreiberInnen – vorrangig um Fragen des Datenschutzes (insbesondere die Löschung von Bewertungsprofilen insgesamt) oder äußerungsrechtliche Probleme (Anspruch auf eine bestimmte Bewertungsdarstellung, Löschung negativer oder Wiederherstellung positiver Bewertungen). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den PortalbetreiberInnen unter Verweis auf die gesellschaftlich erwünschte Funktion und ihre unverzichtbare Position als Kommunikationsmittler (siehe oben) bisher vergleichsweise weite Spielräume bei der Ausgestaltung ihrer Geschäftsmodelle gelassen. So ist insbesondere die unfreiwillige Aufnahme von Bewerteten in ein Bewertungssystem zulässig, solange sich die PortalbetreiberInnen auf die Rolle eines neutralen Informationsmittlers beschränken, d. h. bspw. keine bezahlte Werbung anderer Bewerteter auf den Profilen platzieren (BGH, Urt. v. 20. 02. 2018, Az: VI ZR 30/17 – Ärztebewertung III).

Die betreiberfreundliche Entscheidungspraxis verdeutlicht auch der Fall einer Fitnessstudiobetreiberin gegen das Bewertungsportal Yelp aus diesem Jahr. Die Klägerin war der Auffassung, dass die Darstellung der Bewertungsdurchschnitte auf Yelp (www.yelp.de) zumindest irreführend sei. Diese setzen sich nicht aus der Gesamtheit aller Bewertungen, sondern nur aus den von Yelp ausgewählten „empfohlenen“, für die NutzerInnen nach Ansicht von Yelp „hilfreichen“, Bewertungen zusammen. Ob eine Empfehlung von Yelp als hilfreich angesehen wird, bestimmt ein Algorithmus anhand einer Reihe nicht näher bezeichneter Kriterien. Für das Fitnessstudio der Klägerin führte diese Art der Bewertungsdarstellung dazu, dass nur einige wenige schlechte Bewertungen in ihre Gesamtbewertung einflossen, während mehrere dutzend überwiegend positive Bewertungen überhaupt keine Berücksichtigung fanden. Die Klage wurde vom BGH abgewiesen und Yelp musste keine Details zur Funktionsweise des verwandten Algorithmus offenlegen (siehe insgesamt BGH, Urt. v. 14. 01. 2020, Az: VI ZR 497/18). Das wurde im Nachgang auch für einen von Jameda verwandten Algorithmus bestätigt und mit der Sicherstellung der Funktionsweise des Bewertungssystems begründet. Eine entsprechende Offenlegung eröffne dem Missbrauch durch gefälschte positive Bewertungen Tür und Tor (OLG München, Urt. v. 27. 02. 2020, Az: 29 U 2584/19 –Positive Bewertungen).

Allerdings mehren sich in jüngerer Zeit kritische Stimmen an derartigen Entscheidungen (siehe z. B. Franz 2018) und die Anzeichen, dass die PortalbetreiberInnen bei weitem nicht immer transparent und im Sinne einer möglichst informierten Verbraucherentscheidung agieren.

Dass bspw. häufig gerade das Verhindern von gefälschten oder manipulierten Bewertungen nicht wirksam funktioniert, hat das Bundeskartellamt (BKartA) jüngst in seinem Bericht zur Sektoruntersuchung Nutzerbewertungen problematisiert (BKartA 2020). Gerade für neue oder noch unbekanntere AnbieterInnen bestehe ein erheblicher Anreiz, Einfluss auf Anzahl und Inhalt der Bewertungen zu nehmen. Dies sei nicht zuletzt der großen Bedeutung einer kritischen Menge an positiven Bewertungen für die Auswahlentscheidung der VerbraucherInnen geschuldet, die aber gleichzeitig nur selten bereit wären, selbst auch eine Bewertung abzugeben. (a. a. O.). Die von den PortalbetreiberInnen getroffenen Maßnahmen, um eine derartige Verzerrung des Bewertungsdurchschnitts zu verhindern (z. B. in Form von Algorithmen), seien dagegen oft unzureichend (a. a. O.).

Mit Blick auf hybride Bewertungsportale (s. o.) ergibt sich daneben aus kartell- und wettbewerbsrechtlicher Sicht die Gefahr einer sachlich nicht gerechtfertigten Selbstbegünstigung. So können BetreiberInnen von Handelsplattformen, die gleichzeitig selbst Waren auf der jeweiligen Plattform vertreiben, die eigenen Angebote systematisch bevorzugen, indem sie andere Bewertete in ein schlechteres Licht rücken (siehe z. B. Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 2019). Das gilt umso mehr, sobald die Portale auf dem jeweiligen Markt eine derartige Bedeutung erlangen, dass Angebote außerhalb dieser Portale von VerbraucherInnen nicht mehr wahrgenommen werden (sog. Gatekeeper-Funktion, siehe dazu a. a. O.).

Neben den beschriebenen rechtlichen Problemen stellt sich daher die Frage, ob die Aussage, dass Bewertungsportale einen gesellschaftlich erwünschten Zweck erfüllen und einen wertvollen Beitrag zum Verbraucherschutz leisten, in dieser Pauschalität tatsächlich zutrifft.

Insbesondere aufgrund der unter anderem vom BKartA identifizierten geringen Bewertungsquote im „niedrigen einstelligen [bis zweistelligen] Prozentbereich“ (abhängig von Branche, Portal und NutzerInnen – BKartA 2020) kann man daran zweifeln, ob die abgegebenen Bewertungen überhaupt repräsentativ sind. Ist das nicht der Fall, kann ein stark verzerrter Eindruck entstehen, der im Extremfall zu nicht zufriedenstellenden Verbraucherentscheidungen führt (a. a. O.). Gibt nämlich die breite Masse der VerbraucherInnen keine Bewertung ab, besteht die Gefahr, dass es regelmäßig entweder die besonders zufriedenen oder die besonders unzufriedenen NutzerInnen sind, die eine Bewertung abgeben (a. a. O.). Ein Angebot kann dann in ein übertrieben positives oder übertrieben negatives Licht gestellt werden, so dass die Bewertungen den VerbraucherInnen keine sinnvolle Hilfestellung mehr bieten.

Nicht zuletzt aufgrund der Vielzahl der beschriebenen Problematiken soll im Rahmen von digilog@bw untersucht werden, ob die aktuellen (überwiegend für die analoge Welt konzipierten) rechtlichen Reglungen, einen fairen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der an einem Bewertungsportal beteiligten Parteien sicherstellen oder ob es eines umfassenderen Regulierungsansatzes bedarf. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu berücksichtigen, ob den Beteiligten (insbesondere den VerbraucherInnen) sinnvolle Anreize gesetzt werden können, um die mit Bewertungssystemen in Verbindung gebrachten positiven Effekte zu fördern und zu erhalten. Vieles deutet darauf hin, dass neue Regelungen erforderlich sein könnten, um Missbrauch vorbeugen und damit den Wert der Portale für Verbraucherentscheidungen zu erhalten.

Um die Unabhängigkeit und Integrität der Bewertungen zu schützen, könnte man zur Vermeidung von gefälschten oder mehrfachen Bewertungen (auch durch sog. Bots) bspw. höhere Anforderungen an den Identitätsnachweis bei der Registrierung von NutzerInnen auf Bewertungsportalen stellen (ähnlich, wenngleich aus anderen Gründen Franz 2018). Um nicht von der Abgabe von Bewertungen abzuschrecken, sollte jedoch sichergestellt werden, dass nach Abschluss der Registrierung die anonyme Abgabe einer Bewertung weiterhin möglich ist. Zusätzliche Kontrollmechanismen könnten eine Kennzeichnungspflicht für incentivierte Bewertungen (bspw. bei Produkttests, siehe dazu BKartA 2020) sowie verpflichtende Nachweise dafür sein, dass das jeweils bewertete Angebot auch tatsächlich in Anspruch genommen wurde (bspw. durch Einreichen eines Terminzettels von einem Arztbesuch, eines Kaufbelegs einer Ware etc.). Derartige Nachweispflichten existieren teilweise bereits heute, kommen jedoch immer nur dann zum Tragen, wenn eine Bewertung nachträglich vom Bewerteten angegriffen wird (sog. Notice and Take down-Verfahren, siehe dazu u. a. BGH, Urt. v. 01. 03. 2016, Az: VI ZR 34/15 – www.jameda.de II).

Will man bestimmte Interessenkonflikte von vornherein ausschließen (bspw. Interesse an einer kritischen Masse unabhängiger Bewertungen versus Interesse, zahlende Kunden nicht abzuschrecken; siehe oben) könnte man auch erwägen, bestimmte Geschäftsmodelle im Zusammenhang mit Bewertungsportalen stärker zu regulieren – im genannten Beispiel die Finanzierung von Portalen über kostenpflichtige Zusatzangebote für Bewertete.

Damit gleichzeitig ein fairer Ausgleich mit den Interessen der Bewerteten garantiert ist, könnten den Portalbetreibern unter anderem Transparenzpflichten im Rahmen der Ausgestaltung ihrer Prüfalgorithmen oder der Darstellung von Bewertungsdurchschnitten auferlegt werden (ähnlich seit 2016 bereits in Frankreich, dazu BKartA 2020; ähnlich Franz 2018). Bei hybriden Portalen könnten derartige Maßnahmen auch mit einem Verbot von Selbstbegünstigungen oder einer Ergänzung der kartellrechtlichen Missbrauchsvorschriften kombiniert werden (Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 2019).

 

Literatur:

Bundeskartellamt, Bericht zur Sektoruntersuchung Nutzerbewertungen, Oktober 2020
(abrufbar unter https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Sektoruntersuchungen/Sektoruntersuchung_Nutzerbewertungen_Bericht.html;jsessionid=F2609E7DFBA90547E845293D128300A6.2_cid371?nn=3591568)

Franz, Ulrich, Der digitale Pranger – Bewertungsportale im Internet, Berlin 2018

Ranchordás, Sofia, Online Reputation and the Regulation of Information Asymmetries in the Platform Economy, Critical Analysis of Law 5(1) 2018, 127–147

Bericht der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0, Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, September 2019
(abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/bericht-der-kommission-wettbewerbsrecht-4-0.html)

Wilkat, Anja, Bewertungsportale im Internet, Baden-Baden 2013

Partner

Gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg aus
Mitteln der Landesdigitalisierungsstrategie digital@bw.