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WAHLKAMPF Alias Frahm

aus DER SPIEGEL 35/1961

Eine Flasche Mineralwasser und eine Tafel Schokolade neben sich, bekritzelte Kanzler Konrad Adenauer in der Arbeitskabine der längst ausgerollten Convair-Maschine der Luftwaffe rasch noch einen Merkzettel.

Parteifreund Höcherl mußte sich auf dem Militärflugplatz Manching bei Ingolstadt mit seinem Willkommensgruß gedulden. Und gleich ihm harrten am Montag letzter Woche, 40 Stunden nach dem Brandenburger-Tor-Schluß, über 20 000 Regensburger auf das Erscheinen des Wahlkämpfers Adenauer.

Den für den Vormittag eingeplanten Wahlausflug durch Mittelfranken und die Oberpfalz hatte der Kanzler mit Rücksicht auf die Berlin-Krise abgeblasen. Seinen abendlichen Blitzfeldzug mit Luftwaffenhilfe in das stockkatholische, doch von der SPD regierte Regensburg ließ er sich nicht nehmen.

Die im Regen auf ihn wartenden Regensburger wurden nicht enttäuscht. Kaum hatte der Kanzler 22 Regensburger Würstchen und 22 Rettiche als Gabe für sich und seine 21 Enkel empfangen, kletterte er aufs Podium. Knappe zehn Minuten verschwendete der Regierungschef an die Berlin -Krise. Es folgten 50 Minuten Trommelfeuer auf die Opposition. Konrad Adenauer: »Wir haben viel zu selten und zu rücksichtsvoll von unserer Majorität Gebrauch gemacht.«

Und »damit zum Berliner Trauerspiel auch die Polterszene nicht fehle« ("Süddeutsche Zeitung"), rüpelte der Vater aller Christdemokraten schließlich auch noch den Regierenden Bürgermeister Berlins persönlich an, Herrn Brandt, »der so vornehm tut": »Wenn einer mit der größten Rücksicht behandelt worden ist von seinen politischen Gegnern, dann ist das der Herr Brandt alias Frahm.«

Mit diesem Ausspruch, der sich wie eine Wendung im Polizeijargon für Hochstapler las, spielte der Kanzler mit der ihm eigenen Delikatesse auf den Umstand an, daß der Bürgermeister als uneheliches Kind einer kleinen Konsumverkäuferin geboren wurde und seinen Mutternamen Frahm, Vorname Herbert, trug, bis er nach 1933 zur Täuschung der Gestapo den Namen Willy Brandt annahm.

Willy Brandt, am Muttermal seiner Herkunft nur zu leicht verwundbar, erfuhr von der Regensburger Attacke des Kanzlers am nächsten Tag in einer Sondersitzung des Berliner Senats über die Berlin-Krise. Unfähig, die Konferenz weiter zu leiten, verließ er den Raum. Höhnte die »CSU-Korrespondenz« hinterher: »Wir wußten es immer schon, daß die SPD hart im Geben, aber weinerlich im Nehmen ist.«

»Dazu bleibt zu sagen«, schrieb hingegen die »Stuttgarter Zeitung«, »daß der Berliner Bürgermeister in den Tagen seit dem Ausbruch der schweren Krise um Berlin eine erheblich bessere Figur gemacht hat als der Wahlredner Adenauer alias der Kanzler.«

Selbst Vizekanzler Ludwig Erhard wandte sich öffentlich gegen »persönliche Verunglimpfungen« im Wahlkampf. Und Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier entrüstete sich am Mittwochabend in der Fernsehrunde »Unter uns gesagt« in Gegenwart seines SPD-Vize Carlo Schmid: »Es ist einfach deplaciert, wenn wir jetzt den Wahlkampf mit Überschärfung und vor allem mit persönlichen Unziemlichkeiten belasten.«

Genau zur gleichen Stunde bewies der CDU-Kandidat für den Wahlkreis Bonn, Konrad Adenauer, auf einer Wahlversammlung in der Obus-Abstellhalle der Stadt vor 6000 Zuhörern, was er von solchen zimperlichen Rücksichten hält. Adenauer fiel nun auch noch ein, daß Willy Brandt nicht nur »alias Frahm« sei, sondern sich einmal bei einem illegalen Treffen in Holland Willy Flamme, ein andermal während eines illegalen Aufenthalts in Berlin zur NS-Zeit auch Martin genannt habe.

Wunderte sich Konrad Adenauer: »Was habe ich denn für eine Sünde begangen? Ich wollte doch nur andeuten, Herr Brandt solle auch auf seine politischen Gegner Rücksicht nehmen.«

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